Vor ziemlich genau einem Jahr wurde der Neubau der Hochschule für Jüdische Studien (HfJS) in Heidelberg eröffnet – aber erst jetzt ist er komplett. Am Mittwoch wurde das Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland eröffnet, das im Anbau in der Landfriedstraße 12 in der Heidelberger Altstadt untergebracht ist. Statt einer modernen Zentrale gab es jahrzehntelang über die ganze Stadt verteilt mehrere Standorte, die Arbeitsbedingungen waren bescheiden. Irgendwie passte das alles nicht zu dem Ruf, den die HfJS seit ihrer Gründung 1979 erworben hat.
Zukunft Doch mit dem 6,5-Millionen-Euro-Neubau wurde fast alles besser: Die national wichtigen jüdischen Einrichtungen in Heidelberg sind nun unter einem Dach, das Zentralarchiv durfte endlich aus einer Mietwohnung in der Altstadt in den Neubau ziehen. Aber ganz ohne Provisorien geht es auch in Zukunft nicht: Die meisten Dokumente lagern weiterhin in einem Außenlager in Eppelheim, einer Kleinstadt bei Heidelberg. Die wichtigsten, darunter die Akten des Zentralrates der Juden in Deutschland, sind innerhalb der Heidelberger Altstadt in das neue Gebäude umgezogen. Schließlich ist das Archiv eine Einrichtung des Zentralrats, der auch die HfJS trägt. Zentralratsvizepräsident Salomon Korn zitierte bei der Eröffnung Bertolt Brecht und wies auf die große Bedeutung des Erinnerns hin.
Meist sind es Historiker, die das Archiv nutzen, deutlich seltener die HfJS-Studenten. Hin und wieder wenden sich die jüdischen Gemeinden an das Archiv, das seit knapp 20 Jahren von Peter Honigmann geleitet wird. Es sei, sagte HfJS-Chef Johannes Heil, das jüdische »Gedächtnis der jüngsten Zeit«, denn aus den Jahren vor 1945 sind kaum Akten erhalten.
Gemeindeblätter Praktische Proben aus Arbeit und gelegentlichem Leid im Archiv bekamen die Festgäste bei der Eröffnung geboten: Elijahu Tarantul archiviert die vielen Mitteilungsblätter der jüdischen Gemeinden. Eines der großen Probleme ist, wie man mit heiligen Texten umgeht, die gelegentlich in den Blättern auftauchen – und sei es auch nur als Fotografie einer Steinplatte mit den Bundestafeln. Nach jüdischer Lehre müssen nicht mehr gebrauchte heilige Texte beerdigt werden. Aber was macht man mit der Masse an Gemeindeblätter-Dubletten, die niemand mehr will? Auch beerdigen? Einige Rabbiner wurden befragt, und die gaben den Tipp: einfach wegwerfen. Denn Texte werden erst dann heilig, wenn man sie richtig studiert. Und das kann man von einer Bundestafel-Fotografie wohl kaum sagen.
Der Heidelberger Historiker Klaus Kemter arbeitet gerade an einer Biografie von Joseph Wulf, dessen Nachlass im Zentralarchiv liegt. Wulf, ein galizischer Jude, der Auschwitz knapp überlebte, war einer der ersten, die nach dem Zweiten Weltkrieg den Holocaust überhaupt thematisierten. Er wies immer wieder darauf hin, dass die damaligen Eliten viel mehr Mittäter als Mitläufer waren. Diese Erkenntnis, so Kemter, hat man lange verdrängt. Daher wundert man sich aktuell umso mehr über die aktive Rolle, die das Auswärtige Amt beim Holocaust spielte. Aber genau das konnte Wulf schon in den 50er-Jahren belegen.
Idee Neuerdings enthält das Zentralarchiv auch die Dienstpapiere des Mannes, auf dessen Initiative die Gründung der HfJS zurückgeht, des langjährigen badischen Landesrabbiners Nathan Peter Levinson. Ursprünglich hatte er 1971 die Idee, eine Ausbildungsstätte für Rabbiner einzurichten. Levinsons Akten haben eine bemerkenswerte Odyssee hinter sich: Als Levinson nach 20 Jahren im Rabbinat 1985 Heidelberg verließ, um auf Mallorca zu leben, nahm er seine Papiere mit. Nun kehrten sie wieder dorthin zurück, woher sie stammen.