Lange wurde geschwiegen, verdrängt, beschönigt und ignoriert. Seit Jahren aber häufen sich gewalttätige Übergriffe und Schikanen gegen jüdische Kinder an deutschen Schulen. Oft so intensiv und aggressiv, dass jüdische Eltern ihre Töchter oder Söhne an eine andere Schule bringen. Problem »gelöst«?
Inzwischen erahnt mancher Lehrer die Dimension hinter den Ausfälligkeiten, will mehr wissen über die verheerende Mischung aus Juden- und Israelhass, die sich in Klassenzimmern und auf Schulhöfen ausbreitet. »Ich hasse Israel« zählt dort inzwischen zu den harmloseren Sprüchen.
Antisemitismus Israelbezogener Antisemitismus sei sowohl in der Schüler- als auch in der Lehrerschaft weit verbreitet, konstatiert Julia Bernstein, Soziologieprofessorin in Frankfurt am Main und Leiterin mehrerer empirischer Studien an pädagogischen Einrichtungen verschiedener Bundesländer.
Zahlreiche Studienergebnisse flossen schon in ihr 600-Seiten-Buch aus dem Vorjahr, Antisemitismus an Schulen in Deutschland, ein. Nun aber, ein Jahr später, will Bernstein näher an die Wurzeln des Übels, und mehr noch: Lehrer sollen befähigt werden, israelbezogenen Antisemitismus leichter erkennen und wirksamer bekämpfen zu können.
Interessierte Leser werden in Bernsteins neuem Buch Israelbezogener Antisemitismus zunächst mit Genese und Kontinuitäten von klassischen Stereotypen vertraut gemacht – Bilder von Juden als »Kindermörder«, »Wucherer« und »Weltzerstörer«, die häufig irrational und paranoid erscheinen, in subtilen Versionen aber selbst in Qualitätsmedien aufscheinen und sich jederzeit anschlussfähig zeigen, wenn es um polemische Angriffe auf Israel geht.
Struktur Ähnlich wie die Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel geht Bernstein davon aus, dass der Antisemitismus im Israelbezug strukturgleich zu früheren Formen der Judenfeindschaft ist und sich in dämonisierenden Formen ausagiert. »Einen besonderen Ausdruck findet diese Dämonisierung Israels gegenwärtig in universitären, intellektuellen und aktivistischen Kreisen, in denen der Zionismus als ›Kolonialprojekt‹, Israel als ›Kolonialstaat‹ oder als ›Siedlerkolonialismus‹ im Anspruch ›postkolonialer Theorie‹ delegitimiert werden«, schreibt die Autorin.
Gleichwohl behält sie im Blick, dass die Anfälligkeit von Eltern und Schülern für anti-israelische Emotionen und Reflexe sich häufig auch aus der Wirkung von Bildern – nicht selten alt-neuen antisemitischen Karikaturen – speisen kann. Auf zwei Dutzend Seiten belegt sie im systematischen Bildervergleich die Kontinuitäten antisemitischer Feindbilder – vom Streicher-»Giftpilz« im NS-Kinderbuch von 1938 bis zum »Friedenstauben vergiftenden« Premier Netanjahu im deutschen Tagesmedium, von Spinnen-, Kraken- und Ungezieferdarstellungen, einst »nur« mit Davidstern, nun mit israelischer Flagge.
Konflikt Fast 50 Seiten in Bernsteins Buch geben aber auch eine solide Einführung in die Grundzüge des israelisch-palästinensischen (Dauer-)Konflikts, bevor Lehrer, Pädagogen und andere Interessierte im sechsten Kapitel konkrete Handlungsempfehlungen für den alltäglichen Umgang mit israelbezogenem Antisemitismus in die Hand bekommen. Hier finden sich auch kurze und prägnante Argumentationshilfen gegen besonders verbreitete anti-israelische Unterstellungen wie die Schaffung eines »Freiluftgefängnisses Gaza«, den »Völkermord an den Palästinensern« und die These von Israel als »Apartheid«- und »Kolonialstaat«.
Ein engagiertes, differenzierendes und versachlichendes Buch liegt vor, das an Schulen, in Fortbildungsveranstaltungen und universitäre Seminare gleichermaßen gehört.
Julia Bernstein: »Israelbezogener Antisemitismus. Erkennen – Handeln – Vorbeugen«. Beltz Juventa, Weinheim 2021, 266 S., 29,95 €