Am Montag kommender Woche, den 12. Januar, findet im Münchener Stadtbezirk Milbertshofen, zu dem auch das ehemalige Olympische Dorf gehört, ein Einwohnertreffen statt. Thema ist eine geplante Gedenkstätte für die Opfer des Olympia-Attentats 1972. Die Bürger wollen mit einer Abstimmung verhindern, dass das Mahnmal in der Connollystraße errichtet wird, wo die israelischen Olympioniken untergebracht waren und als Geiseln genommen wurden. Denn der Hügel dort dient heute den Kindern als beliebter Rodelberg im Winter.
graffiti Ich bin im Olympischen Dorf aufgewachsen. 1973, ich war damals drei Jahre alt, zogen meine Eltern dorthin. Vorgehabt hatten sie das schon vor dem Attentat, und mein Vater wollte wegen der Ereignisse seine Pläne nicht ändern.
Wir nacholympischen Bewohner genossen das Leben im Dorf. Es war (und ist immer noch) eine urbane Oase, wo wir Kinder, dank eines teilweisen Fahrverbots für Autos, ohne Gefahr und unbeaufsichtigt spielen konnten. Im Winter ging ich mit meinen Freunden rodeln, auf eben dem Hügel an der Connollystraße, der jetzt als Standort für das Denkmal vorgesehen ist, und von wo aus 1972 Reporter und Neugierige die blutigen Ereignisse beobachteten.
Was damals geschehen war, vergaß man hier jedoch, zumindest in den ersten 20 Jahren. Es wurde weder erwähnt noch für die meisten Bewohner in Erinnerung gerufen, mit Ausnahme jener, die im hinteren Teil der Connollystraße lebten. Jedes Jahr am 5. September pilgerten Beamte des Landes und der Stadt sowie Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde zur Connollystraße 31 und legten Kränze an dem Haus nieder, in dem das israelische Team gewohnt hatte.
Bei Besuchen israelischer Verwandter begleiteten wir sie oft in die Connollystraße und standen minutenlang vor der Gedenktafel. Ich wusste schon früh, dass hier etwas geschehen war, das diese Angehörigen sehr bewegte, auch wenn ich den Zusammenhang erst später verstand. 1984 – ich war mitten in der Pubertät und in der Identitätsbildung – schmierte ich an mehrere Wände mit schwarzer Farbe und in Großbuchstaben »Vergesst nicht 5.9.1972«.
Ich wurde von einem Passanten erwischt, der mir wütend den Topf schwarzer Farbe wie Pech auf den Kopf schüttete. Nachdem ich viele Jahre später aus dem Dorf ausgezogen war, gehörte für mich fast obligatorisch bei jedem Besuch in München der Gang zur Gedenktafel in der Connollystraße dazu.
sportschützen Ich müsste lügen, wenn ich nicht zugeben würde, dass ich meist sehr gute Kinderjahre im Olympischen Dorf gehabt habe, mit seinen vielen Spielmöglichkeiten. Und wäre ich nicht jüdisch, würde mich auch das Originalposter der Olympischen Sportschützen von 1972 nicht stören, das man vor zehn Jahren der Nostalgie wegen im Eingangsflur eines der zehngeschossigen Häuser in der Straßbergerstraße aufhängte. Immer wenn ich es sehe, denke ich, wie ironisch das ist, war es doch gerade der Mangel an kompetenten Scharfschützen bei den bayerischen Sicherheitskräften, der zu dem Desaster mit beitrug.
Der Olympiapark ist heute Austragungsort vieler Sportereignisse und ein beliebtes Freizeitziel der Münchener. Aber wer aus München, aus Bayern und aus Deutschland herauskommt – ich lebe seit 1991 in London –, weiß, dass Olympia 1972 in der Welt vor allem für eines steht: den gewaltsamen Tod von elf israelischen Sportlern.
Anders als zu der Zeit, als ich meine Parolen an die Wände schrieb, wird das auch in der bayerischen Landeshauptstadt nicht mehr unterschlagen. 1995 wurde ein großes Denkmal vor dem Olympiastadion aufgestellt, auf dem die Namen der Ermordeten, darunter auch ein deutscher Polizist, auf Hebräisch und Deutsch stehen. Seit ein paar Jahren gibt es beim nördlichen Ausgang U-Bahnstation Olympiazentrum auch einen Wegweiser mit Bild und Text, der auf die Gedenktafel vor dem Haus in der Connollystraße hinweist. An diesem Wegweiser müssen alle, die ins Olympiadorf wollen, vorbei. Er gleicht in diesem Sinne meinen Graffiti aus dem Jahre 1984.
Der größte Teil der Wohnungen, in denen vor 42 Jahren die israelischen Athleten untergebracht waren und wo sie zu Opfern der Terroristen wurden, gehört seit Längerem der Max-Planck-Gesellschaft, die sie als »Münchner Gästewohnungen« nutzt. Vielleicht könnte man diese Wohnungen der Max-Planck-Gesellschaft abkaufen und in eine Gedenkstätte verwandeln. Die Groteske des »Gästehauses« eines wissenschaftlichen Institutes am Ort des Terrors sollte jedenfalls ein für alle Mal aufhören. Aus denkmalschutzrechtlichen Gründen mag allerdings ein großer Umbau zu einer Gedenkstätte dort schwierig werden, denn das gesamte Olympische Dorf ist seit 1998 geschützt.
standort Hier deshalb ein Alternativvorschlag: Wie wäre es, wenn man die ehemalige und seit einigen Jahren brachliegende Bushaltestelle des Olympiazentrums in eine Erinnerungs- und Mahnstätte verwandelt? Über der U-Bahn-Station Olympiazentrum gelegen, wäre sie ein idealer Standort, auch wenn man von dort aus keinen direkten Blick auf die Wohnungen der israelischen Olympioniken hat. Dazu reicht jedoch ein kleiner Spaziergang.
Keiner kann die Toten wieder zum Leben erwecken. Doch die Erinnerung an die ermordeten israelischen Sportler wird ewig auf dem Olympischen Dorf lasten. Es geht um mehr als eine Gedenktafel oder ein Denkmal, ob nun auf dem alten Busbahnhofgelände, auf dem Connollyrodelberg oder ein paar Hundert Meter östlich davon, wie seit Neuestem überlegt wird. Das Olympische Dorf in München steht eben nicht nur für Leichtigkeit und »heitere Spiele«, wie es 1972 so schön hieß, sondern auch für den im Wortsinn blutigen Ernst der Geschichte.
Das sollte genauso zur Erziehung der Kinder, die im Dorf aufwachsen, gehören, wie das sorglose Rodeln im Winter. Alle, die dort leben, mögen ihr Leben genießen an diesem besonders freundlichen Ort ohne Autos, mit Ladenzentrum, künstlichen Springbrunnenanlagen und viel Grün. Doch sie sollten bitte auch im Blick behalten, dass das Olympische Dorf von 1972 für viele Menschen etwas anderes ist – der Ort eines schrecklichen, unvergessenen Massakers.