Er war ein großer Ironiker: Als »Mr. Freeze« gönnte sich Otto Preminger zwei kurze Auftritte in der trashigen Batman-TV-Serie Mitte der 60er-Jahre. Dort bringt er alles zum Gefrieren und treibt so sein Spiel mit dem Image, das ihm in Hollywood anhaftete: Der »Ottokrat«, der kalte, alles zersetzende Kino-Anatom, der seine Schauspieler quält und seine Umgebung verachtet. Schon zuvor erstarrte das Publikum bei einem seiner Auftritte: In Stalag 17, Billy Wilders zu Unrecht unbekannter schräger Komödie über ein deutsches Gefangenenlager für US-Soldaten im Zweiten Weltkrieg spielte ausgerechnet der vertriebene europäische Jude Preminger den gnadenlosen NS-Kommandanten.
hollywood Das waren Ausflüge eines Schlitzohrs, der hinter der Maske des Unbarmherzigen auch ein Sentimentaler war: Kind aus dem jüdischen Bürgertum des späten Habsburgerreiches, in dem der Vater als Magistratsbeamter Karriere machte, kam Otto Preminger, geboren 1905 in Czernowitz, mit zehn Jahren nach Wien, wo er aufwuchs und Jura studierte. Dann wechselte er ans Theater, spielte unter Max Reinhardt, wurde Regisseur, emigrierte rechtzeitig 1935 nach Amerika. In den 50er- und frühen 60er-Jahren galt er neben Hitchcock, Hawks und Lang als einer der Allergrößten der Traumfabrik.
Das Filmfestival im schweizerischen Locarno vom 1. bis 11. August widmet Otto Preminger seine diesjährige Retrospektive. Zu sehen sein wird dort natürlich auch der Film, der die fraglos größte historische Bedeutung hat: Exodus. Mit der 1960 entstandenen stargespickten Verfilmung von Leon Uris’ Bestseller über das berühmte Flüchtlingsboot und die Zeit der Staatsgründung, prägte Preminger das positive Israelbild einer ganzen Generation von Amerikanern.
Unter seinen 37 Regiearbeiten finden sich weitere Klassiker wie Porgy und Bess, Fluß ohne Wiederkehr und Der Mann mit dem Goldenen Arm. Schoa-Überlebende, Schwarze, Drogensüchtige – es sind oft Minderheiten, und Outsider die Preminger zeigt. Aber auch wo er sich im US-Mainstreammilieu bewegt, geht es um das Ungeliebte, Verschwiegene: Depressionen und Laster, Amoral, Gewalttätigkeit, Lügen und andere Kleinigkeiten, die im damaligen Kino ungern zur Sprache gebracht wurden.
schlüssellochblick Wer diese Filme wiedersieht, dem drängt sich geradezu auf, sie auch aus Premingers Herkunft zu erklären: Dem Wien der Jahrhundertwende, den Salons eines überspannten, überfeinerten Bürgertums und nicht zuletzt der psychoanlytischen Praxis des Dr. Sigmund Freud. Premingers Sicht ist der kühle voyeuristische Blick durchs Schlüsselloch, hinter die Fassaden, hinein in die Seele der Menschen. Er schaut genau hin, niemals weg, und entlarvt seine Akteure durch kleine Gesten. Das Publikum macht er zu seinen Verbündeten. Wie bei Hitchcock sehen die Zuschauer oft mehr als die Protagonisten. Und wie Hitchcock prägt dieses Entlarvungskino eine große Portion sarkastischen Humors. Das dämpft die Härte des Eindrucks und schafft Distanz.
Was sind Premingers beste Filme? Ohne Laura (1944) wird keine Aufzählung auskommen: ein mythischer, perfekter Film noir, ein absolutes Meisterwerk, mit dem der Regisseur den Durchbruch schaffte, und das bereits alles enthält, was seine Filme bis zum Ende auszeichnen sollte. Man bekommt alles gezeigt, weiß vieles, und versteht doch wenig. So zeigt Premingers Kino eine Welt, in der nichts mehr heil ist, und statt Versöhnung hinterlässt er Verstörung und Irritation – hierin viel radikaler als Hitchcock. Dann natürlich Bonjour Tristesse (1958), ein Melodram, in dem die unvergessliche Jean Seberg, die von Preminger für den Film entdeckt wurde, eine Hauptrolle spielt.
Jean-Luc Godard, der Preminger verehrte, adoptierte die Seberg für seinen eigenen Außer Atem, der unmittelbar danach entstand und nichts anderes war, als die Fortsetzung von Premingers Zersetzung bürgerlicher Familienverhältnisse. Schließlich das bezaubernde Spätwerk Bunny Lake is missing, gedreht 1965 in London, eine Detektivgeschichte mit Laurence Olivier, die die Abgründe späterer Kriminalthriller mit der Nostalgie für das »Swinging London« jener Zeit verbindet.
nouvelle vague »Hübsche Mädchen hübsche Dinge machen lassen« – Premingers Motto machten Godard und die anderen Franzosen der Nouvelle Vague zur Formel ihrer frühen Filme. Auch in der Konzentration auf feine Unterschiede und dem Willen zur Gegenwärtigkeit lernten sie von ihm. Noch gegen Ende seines Lebens – Preminger starb 1986 in New York – verweigerte er sich den Fragen der Filmhistoriker: »Es ist nicht meine Art, zurückzughen. Ich hätte viel lieber, Sie würden schreiben, wie ich heute bin!«
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