»Das Paradies der Erde«, so unterstreichen es Friedrich von Bodenstedts Lieder des Mirza-Schaffy (1851), »liegt auf dem Rücken der Pferde, in der Gesundheit des Leibes und am Herzen des Weibes.« Für das genannte Pferd, das auf der ganzen Welt in etlichen Rassen existiert, gibt es etliche Bezeichnungen: Gaul ist im südfränkischen, Mähre im oberdeutschen, Page im niederdeutschen Dialektgebiet üblich; Rune, Ruun oder Raune ist im Plattdeutschen ein Wallach; Tööt ist im Nordniedersächsischen eine Stute; das fränkisch-alemannische Hutsch für ein Fohlen kennt man auch in Österreich: Wer sich dort freut, strahlt wie ein frisch lackiertes Hutschpferd (Schaukelpferd).
Für das Wort Zosse oder Zossen, das auch für das Hauspferd benutzt wird, gibt Heinz Küppers Wörterbuch der deutschen Umgangssprache (Berlin 1955, Nachdruck 2005) an, es sei »über rotwelsche Vermittlung (1754 ff.) zu den Soldaten 1870/71 gewandert« und seither vorwiegend in Berlin und im sächsischen Raum üblich.
GEORG HERMANN Literarisch gibt es dafür etliche Belege, zum Beispiel bei dem aus einer alteingesessenen Berliner Familie stammenden Autor Georg Hermann (eigentlich Georg Hermann Borchardt, 1871–1943), den man den »jüdischen Fontane« nannte und der 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Er gehörte, wie Tilman Krause in der »Welt« schrieb, »als Feuilletonist, Flaneur, Kunstsammler … und irgendwann dann eben auch Autor viel gelesener Romane zu jenem Humus deutsch-jüdischer Geistigkeit in einem liberalen, urbanen Sinne, dem auch Figuren wie Franz Hessel und Kurt Tucholsky entsprossen«. Die Andere Bibliothek hat das Verdienst, Hermanns Roman Kubinke (2010) und seinen Doppelroman Die Nacht des Dr. Herzfeld/Schnee (1912/1921) wiederaufgelegt zu haben.
In Hermanns Roman Henriette Jacoby (1908) lesen wir, wie der Protagonist Ferdinand vom unglücklichen Kauf eines kranken Pferdes berichtet: »›Nu‹, meinte Eli, ›das hättst du mir gar nich erst sagen brauchen, so was kann natürlich nur dir passieren. Da werden se dir schon wieder ’nen netten Zossen aufgehangen haben!‹«
Agathe Lasch stellte in ihrer sprachgeschichtlichen Untersuchung (Berlinisch, 1928) zur Wortherkunft von Zosse klar: »Zosse, Pferd, hat nichts, wie man früher oft las, mit dem Zossener Pferdemarkt zu tun, sondern ist das alte rotwelsche Soßgen, Sossen, zusem (hebräisch sus). Dass gerade dieses Wort in die Alltagssprache übergehen konnte, erklärt sich aus dem starken Anteil, den Zigeuner am Pferdehandel hatten.«
MASEMATTE In der Tat gibt es viele sondersprachliche Belege: Margret Strunge und Karl Kassenbrock, die in ihrer Arbeit zur Masematte (1980) das Leben und die Sprache der Menschen in Münsters vergessenen Vierteln beleuchten, führen unter anderem auf: »die zintis, die hatten manchmal nur ein’ koten zossen vor ihren wuldi« (»die Zigeuner hatten manchmal nur ein kleines Pferd vor ihren Wagen gespannt«). Klaus Siewert präsentiert in seinem Werk über Grundlagen und Methoden der Sondersprachenforschung (2003) eine Vielzahl von Komposita mit zosse bei Masematte-Sprechern, so unter anderem Knäbbelzossen (»Arbeitspferd«), Zossenpegeler (»Pferdeschlächter«) und Zossensport (»Pferdesport«).
Ann Christin Schulte-Wess betont in ihrer Arbeit über Die Viehhändlersprache in Westfalen und im nördlichen Rheinland (2007), dass der Begriff des Rotwelschen vom Begriff der Rotwelsch-Dialekte zu trennen sei, der Sondersprachen bezeichnet, »die rotwelsch, aber auch jüdisch-deutsch und sintes/romanes geprägt sind und sich unter Einflussnahme der jeweiligen Ortsmundart mit einer geheimsprachlichen Tendenz entwickelt haben«.
VIEHHÄNDLERSPRACHE Aus der Viehhändlersprache, die »zu über 90 Prozent durch Verdunklungswörter aus dem Jüdisch-Deutschen geprägt ist«, nennt die Autorin unter anderem die Wendungen »das Szuss ist toff« (»Das Pferd ist schön«), »das Szuss ist ein Auchelehz« (»das Pferd ist ein Krippenbeißer«) und »das Szuss hat kein Barsel am Regel« (»Das Pferd hat kein Hufeisen«).
Dass das Wort noch in jüngerer Zeit umgangssprachlich verwendet wird, zeigt Herbert Pfeiffers Das große Schimpfwörterbuch (1996) zum Begriff Zosse: »Eigentlich ein altes oder schlechtes Pferd, selten verächtlich für eine heruntergekommene (weibliche) Person.« Das hier mitschwingende pejorative Element ist landschaftlich nicht durchgängig verbreitet. So verzeichnen zum Beispiel das Thüringische Wörterbuch (1983ff.) und das Mecklenburgische Wörterbuch den Zossen als »erstklassiges Pferd«.
Das Pferd selbst kann zu diesen Kommentaren natürlich nicht Stellung beziehen, denn – so heißt es in einem jiddischen Sprichwort: »Ven dos ferd volt gehat vos tsu zogn, volt es geredt« – »Hätte das Pferd etwas zu sagen, würde es reden«.