Stillen ist gesund. Das predigen Hebammen, Mediziner und Ernährungsexperten seit Jahren. Schließlich seien Kinder, die im ersten Lebensjahr Muttermilch zu trinken bekommen, deutlich weniger anfällig für Allergien. Dank der darin enthaltenen Biomoleküle werde ihr Immunsystem auf Vordermann gebracht, so dass sie besser gegen Erkältungskrankheiten oder Durchfallerreger geschützt seien. Kein Wunder, dass seit Jahrzehnten Forscher und Ernährungsunternehmen versuchen, die Wirkung der hochkomplexen Mehrfachzucker der Muttermilch – der sogenannten humanen Milch-Oligosacchariden – zu kopieren. Kuhmilch oder die daraus gewonnene Fertignahrung gelten dagegen nur als Notlösung. Und wer als Säugling damit gefüttert wurde, erkrankt als Jugendlicher sogar eher an Diabetes – das jedenfalls zeigte vor zwei Jahren eine Untersuchung in den USA.
allergien Doch eine aktuelle Studie aus Israel stellt alle diese landläufigen Meinungen nun auf den Kopf. »Frauen, die bereits unmittelbar nach der Geburt ihr Kind mit Babynahrung füttern, die Kuhmilchproteine enthält, verhindern spätere Allergien gegen genau diesen Ernährungsbaustein, der im späteren Alter für sie so wichtig ist«, erklärt Professor Yitzhak Katz von der Universität Tel Aviv. Ein Test an immerhin über 13.000 Säuglingen, die gleich nach der Geburt Kuhmilch bekamen, hatte ergeben, dass diese 19 Mal besser gegen entsprechende Allergien geschützt sind als solche, die erst 15 Tage nach der Entbindung damit ernährt wurden. »Das funktioniert wie eine Art Impfung«, erklärt Katz, der seine Forschungsergebnisse in der jüngsten Ausgabe des »Journal of Allergy and Clinical Immunology« veröffentlicht hatte. Denn eine Allergie gegen Kuhmilchproteine darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Hautausschläge, Atemprobleme, Schockreaktionen bis hin zum plötzlichen Kindstod können die Folge sein.
Dabei entdeckten Katz und sein Team eher durch Zufall den Zusammenhang zwischen dem rechtzeitigen Füttern mit Kuhmilch und dem Schutz vor Allergien gegen den lebenswichtigen Eiweißbaustein. Eigentlich wollten die Forscher die Frage beantworten, ob Säuglinge und Kleinkinder, die Probleme mit Kuhmilchproteinen haben, auch gegen Sojamilch allergisch sein könnten. Zwar gab es dafür zahlreiche Hinweise, doch sollte sich diese These nicht bewahrheiten. »Sojamilch ist deshalb nach wie vor eine vernünftige Alternative für Kinder mit einer Milchunverträglichkeit«, weiß der Forscher zu berichten. Und um Missverständnissen vorzubeugen: Die von Katz propagierte Fütterung mit Babynahrung, die Kuhmilchproteine enthält, ist nur als Ergänzung zu verstehen. Ein einziges Fläschchen pro Tag neben dem klassischen Stillen kann schon ausreichen, um Neugeborenen diesen Schutz für ihr späteres Leben mit auf den Weg zu geben.
kulturkampf Trotzdem widersprechen die Tel Aviver Ergebnisse den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation. Die geht davon aus, dass ein Baby erst im Alter von drei bis fünf Monaten mit Kuhmilch gefüttert werden sollte. Aber laut Katz ist das genau die Phase, die aufgrund möglicher allergischer Reaktionen das höchste Risiko darstellt. »Wenn nicht unmittelbar nach der Geburt Babynahrung auf Kuhmilchbasis verwendet wurde, sollte man warten, bis das Kind ungefähr ein Jahr alt geworden ist«, lautet daher sein Rat. Dennoch hat seine Studie Stoff für viele Diskussionen geliefert. Denn die Frage, was denn nun die beste und gesündeste Säuglingskost ist, gleicht einem Kulturkampf, der nicht nur in den Stillgruppen am Prenzlauer Berg in Berlin oder unter Müttern in Tel Aviv ausgefochten wird, sondern weltweit.