Jeder Mensch ist anders», erklärt Eran Segal. Auf den ersten Blick klingt dieser Satz reichlich banal und nach Kalenderweisheit, auf den zweiten Blick aber macht der Satz des Professors für Computational Biology am renommierten Weizmann-Institut in Rechovot durchaus Sinn. «Im Rahmen unserer Forschungsarbeit haben wir festgestellt, dass Menschen auf Lebensmittel sehr unterschiedlich reagieren können.» Selbst wenn sie haargenau dasselbe zu sich nehmen, so verarbeitet jeder Körper alles auf seine Weise.
Diese Erkenntnis gilt selbstverständlich auch für das Thema Diäten. Egal, ob sie Low-Carb, Low-Fat oder Trennkost heißen, es gibt einfach keine Patentlösungen, die bei allen funktionieren, so der Experte aus Israel. Denn manche nehmen erfolgreich ab, wenn sie tagelang nur Rohkost futtern oder einfach nur die Finger von Nudeln und Süßem lassen, bei vielen aber zeigt sich kaum eine Veränderung auf der Waage. «Und andere legen sogar an Gewicht noch kräftig zu, obwohl sie sich brav an alle Anweisungen und Empfehlungen im Rahmen eines Diätplans gehalten haben.»
Dafür muss es doch einen Grund geben, dachten sich Eran Segal und sein Kollege Eran Elinav. Rasch fanden sie heraus, dass dafür die Darmflora verantwortlich ist. Anscheinend gleicht keine der anderen, wenn es um die Zusammensetzung der Mikroorganismen geht, was auch die unterschiedlich ausfallenden Resultate einer Diät erklären würde. «Die Beziehung zwischen unserem Körper und der ganz individuellen Mixtur aus Darmbakterien spielt eine wichtige Rolle dabei, wie die Ernährung uns beeinflusst», bringt es Elinav auf den Punkt. Die Darmbakterien sind offenbar nicht nur dafür zuständig, dass unsere Nahrung verdaut wird, sondern auch wie.
Essverhalten Um diese Wechselwirkung näher zu untersuchen, stellten die Forscher aus Israel eine groß angelegte Versuchsreihe auf die Beine. Über eine Woche lang protokollierten sie das Essverhalten von 800 Versuchspersonen, checkten regelmäßig deren Blutwerte und nahmen Stuhlproben – insgesamt wurden 46.898 Mahlzeiten und Snacks registriert.
Wie zu erwarten, trieben bestimmte Nahrungsmittel bei den Probanden den Blutzuckerspiegel gewaltig in die Höhe, nachdem sie ordentlich Süßes verspeist hatten. Die Überraschung: Nicht bei allen war dies der Fall. Zahlreiche Versuchspersonen zeigten überhaupt keine erhöhte Insulinproduktion, selbst wenn sie munter Torten oder Pudding naschten. «Dafür reagierten sie bereits auf einige Scheiben Weißbrot», so Eran Segal. «Und bei einer Person trieben ausgerechnet Tomaten, die doch gemeinhin als gesund und unproblematisch gelten, den Blutzuckerspiegel nach oben.»
Während einige Teilnehmer an der Testreihe eine ganze Packung Kekse verdrücken konnten, ohne dass sich die Werte wesentlich veränderten, reagierte deren Körper bereits auf eine einzige Banane auffällig. Bei anderen Personen beobachteten sie das genaue Gegenteil. Daraus zogen Segal und Elinav den Schluss: «Auch jede Kalorie ist wohl anders.» Und genau diese Erkenntnis stellt das gängige Credo der Ernährungswissenschaft infrage.
Diese hatte nämlich vor Jahrzehnten bereits den sogenannten glykämischen Index entwickelt, der kohlehydrathaltige Lebensmittel nach ihrer Wirkung auf den Blutzuckerspiegel kategorisiert. «Doch das sind pauschale Angaben, die offensichtlich nicht auf alle übertragbar sind.» Segal selbst machte den Test. Und siehe da: Dunkle Schokolade oder eine gehörige Portion Eiscreme sorgten bei ihm kaum für größere Ausschläge. «Dafür ging bei mir der Blutzuckerspiegel regelrecht durch die Decke, wenn ich Sushi aß.»
Algorithmen Folgerichtig suchten die Wissenschaftler nach einer Lösung. Zum einen sammelten sie von den Versuchspersonen alle möglichen Daten über Alter, Gewicht und Essgewohnheiten. Zum anderen baten sie Freiwillige, die aus allen Schichten der israelischen Gesellschaft stammten, zwei Wochen lang ein standardisiertes Frühstück zu sich zu nehmen, das entweder einen hohen Brotanteil oder reichlich Traubenzucker enthielt. Alle weiteren konsumierten Nahrungsmittel samt Mengenangaben sollten sie mittels einer eigens entwickelten Smartphone-App aufzeichnen.
Auf Basis all dieser Daten entwickelten Elinav und Segal Algorithmen für eine maßgeschneiderte und individualisierte Diät, die vor allem den Blutzuckerspiegel berücksichtigt. So wurde für eine schwer übergewichtige Frau mittleren Alters, die bereits alle möglichen Diäten hinter sich hatte und sogar erste Anzeichen einer Diabetes zu entwickeln begann, ein Ernährungsplan erstellt, der ihr einige vermeintlich gesunde Lebensmittel verbot, andere dagegen, die eigentlich gemeinhin als Dickmacher gelten, ausdrücklich empfahl. Mit Erfolg: Ihre Blutwerte verbesserten sich deutlich, und einige Kilos purzelten.
«Weg von den Pauschallösungen und hin zu individualisierten Konzepten, das scheint mir der richtige Ansatz zu sein», kommentierte Tim Spector die Forschungsarbeiten aus Rechovot. «Auch wir haben bereits entdeckt, dass selbst eineiige Zwillinge unterschiedlich auf dieselben Nahrungsmittel reagieren», so der Professor für Genetische Epidemiologie und Autor des Buches The Diet Myth. Ferner hält er das Konzept deshalb für so interessant, weil es die Motivation derjenigen steigert, die abnehmen wollen. «Wenn man Menschen zusätzlich einige gute Gründe nennen kann, warum sie etwas tun sollten, dann verhalten sie sich eher entsprechend eines Plans oder einer Empfehlung.»
Und wer weiß, was gut für seinen Blutzuckerspiegel ist und was nicht, muss vielleicht kein schlechtes Gewissen haben, weil er an Chanukka zu viele Sufganiot und Latkes gegessen hat.