Meinung

Gut gemeint?

Das antisemitische Werk »People’s Justice« wurde auf der documenta abgehängt. Foto: picture alliance/dpa

»Es hat sich allmählich herumgesprochen, daß der Gegensatz von Kunst nicht Natur ist, sondern gut gemeint; Stil ist eine bösartige Neubildung, eine letale.« So lautet das Originalzitat von Gottfried Benn aus dem »Roman des Phänotyp« in »Der Ptolemäer« von 1949. Auch die verkürzte Form »Gut gemeint ist das Gegenteil von Kunst« wird dem umstrittenen Dichter zugeschrieben.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet das Zitat eines wegen seiner anfänglichen Nähe zum Nationalsozialismus immer noch umstrittenen Autors – er distanzierte sich ab 1934 von den Nazis – die documenta15 ebenso treffend charakterisiert wie große Teile des medialen Umgangs mit den Kasseler Ereignissen.

doku Im allergünstigsten Fall gut gemeint mag auch Grete Götzes Film »Die Story im Ersten: Der Documenta Skandal« gewesen sein, der jüngst in der ARD gezeigt wurde und noch ein Jahr lang in der ARD-Mediathek gestreamt werden kann.

Zwar kamen scharfe Kritiker der Vorkommnisse in Kassel und deren gescheiterter Aufarbeitung in Gestalt von Josef Schuster, Daniel Botmann, Klaus Holz, Mirna Funk und Ulf Poschardt zu Wort. Im Gesamtkontext des Films kamen ihre wichtigen Einschätzungen allerdings viel zu kurz. Der Grund? Entweder man zieht handwerkliche Mängel als Erklärung heran – oder aber ihre Einschätzungen wurden in der Fülle der apologetischen Gegenstimmen proaktiv versenkt.

Sogenannte Antisemitismusexperten negieren und reden den Antisemitismus im Kontext der documenta15 klein.

In erster Linie kommen nämlich sogenannte Antisemitismusexperten zu Wort, deren dramaturgische Aufgabe in dem Film a priori darin besteht, Antisemitismus im Kontext der documenta15 zu negieren oder kleinzureden. Ob es sich dabei um den ideologisch gefestigten Joseph Croitoru handelt, BDS-Versteher und glühender Gegner der weltweit anerkannten IHRA-Definition von Antisemitismus, oder um den stets um Moderation bemühten Meron Mendel, der bereits als Berater gründlich zwischen die Mahlsteine dieser documenta geraten war: Diese 45 Minuten in der ARD hinterlassen einen mehr als faden Beigeschmack.

Permanent geht es um Apologetik, nie um die so schlichte wie klare Feststellung, dass die indonesische Kuratorengruppe ruangrupa im Gepäck ihrer Kunstwerke aus dem »globalen Süden« eine ganze Menge antisemitischer Schmierereien auf unterstem Niveau dabeihatte.

Dass Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik, eine Art Jeanne D’Arc des BDS und »der Palästinenser«, permanent den Bundestagsbeschluss zum BDS diskreditieren und darauf hinweisen darf, dass wenn er ein Gesetz wäre, er der Meinungsfreiheit widerspräche, lässt die fundierte Kritik an ruangrupa, der documenta-Leitung und der Politik als Polemik dastehen, den radikalen Antizionismus der BDS-Befürworter hingegen als künstlerische Freiheit.

Judenhass So viel Infamie beim Schneiden und Abnehmen eines Films als Zufall oder handwerkliche Schwäche hinzunehmen, fällt schwer. Zwischen der »wissenschaftlichen« Untermalung werden die Macher jenes 20 Jahre alten Wandbildes zitiert, das den vielleicht plakativsten Judenhass abbildete.

Zitat aus dem Film: »Taring Padi bedauern, dass in den vergangenen Monaten nur wenige Journalisten und Politiker echtes Interesse an ihrer Perspektive gezeigt hätten.«

Diese 45 Minuten in der ARD hinterlassen einen mehr als faden Beigeschmack.

Perspektive? Ihre Schmierereien erfüllen nach deutschem Recht mehrere Straftatbestände. Das wiederum wussten die Kuratoren dieser documenta 15 wohl auch nicht, als sie die Bahnen für die Reise nach Kassel zusammenwickeln ließen. Überhaupt wissen die Herrschaften anscheinend eh recht wenig – schon gar von deutschen Zusammenhängen.

Das Gütesiegel »Globaler Süden« reichte den documenta-Machern und ihren teils staatlichen Geldgebern anscheinend völlig aus. Jedenfalls geben sich die Herren Kuratoren von ruangrupa leutselig vor der Kamera wie jenes pittoreske Trio, das nichts gesehen, nichts gehört und nichts gesagt haben will.

BDS? Was ist das? Nie gehört! Und dann, im O-Ton: »Für uns stellt sich auch die Frage: Warum hat uns niemand davon erzählt?« Ja, warum eigentlich nicht? Vielleicht, weil die Fördergelder lieber in antizionistische Schulungen des documenta-Personals investiert wurden? Weil man gar kein Interesse daran hatte, die Herren aus Indonesien mit deutschen Befindlichkeiten wie der Schoa und der Verantwortung für Israel zu belästigen?

Diese documenta jedenfalls – so viel ist sicher – hat die Dokumentation erhalten, die zu ihr passt.

Diese documenta jedenfalls – so viel ist sicher – hat die Dokumentation erhalten, die zu ihr passt. Mit einer Claudia Roth, die sich vor Grete Götzes Kamera über das Negieren der Verantwortung in den documenta-Gremien echauffiert und mal flugs vergisst, wer als oberste kulturelle Instanz des Landes für derlei Versagen geradezustehen hätte.

Mit jammernden Kuratoren, apologetischen »Experten«, die alles nur für ein Diskursproblem halten und einer permanent verharmlosenden Darstellung von (islamischem) Antisemitismus, BDS und Israel, die eine öffentlich-rechtliche Systematik vermuten lassen.

Da bleibt nur der etwas fad anmutende Trost, dass in unserem Rechtsstaat derlei tendenzielle Berichte und Fehleinschätzungen, Israelfeindlichkeit, BDS-Verteidigung und andere unschöne Dinge im jüdischen Kontext nicht mehr systemisch sind, sondern bedauerliche Fehltritte. Es bleibt zu hoffen, dass das kein gut gemeinter Trugschluss ist.

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