Anmerkung der Redaktion (2. August 2023):
Als dieser Text von Fabian Wolff in der Jüdischen Allgemeinen erschien, glaubte die Redaktion Wolffs Auskunft, er sei Jude. Inzwischen hat sich Wolffs Behauptung als unwahr herausgestellt.
Überall wartete man darauf, jetzt ist es da, und niemand freut sich. Das neue Album von Amy Winehouse erscheint schließlich nur, weil sie gestorben ist. Lioness: Hidden Treasures versammelt zwölf Songs aus dem Nachlass der Sängerin. Der früheste stammt von 2002, noch vor ihrem Durchbruch, der letzte von 2011, kurz vor dem Tod. Es ist nicht das beste Album des Jahres, aber das traurigste.
soul Das jüdische Mädchen aus Southgate, London, das innerhalb weniger Jahre zum Popstar avancierte, wurde ebenso schnell zum Inbegriff vom verlorenen Talent. Amy Winehouse war ein Mensch, der nicht aufhören konnte, ssich selbst zu verletzen. Das kann man selbst in den geschmeidigsten ihrer Songs heraushören.
Die Karriere von Winehouse fiel mit der Retro-Soul-Explosion Anfang des Jahrtausends zusammen. Plötzlich wollten alle klingen wie Otis Redding, die Supremes oder die Temptations. Das Label Daptone Records brachte bevorzugt Vinyl auf den Markt und mischte auf altem Equipment in Mono ab. Allein, die Aura fehlte. Es wirkte alles ein bisschen wie Streber-Soul.
Amy Winehouse war, obwohl von den Dap-Kings, der Daptone-Hausband, unterstützt, anders. Back in Black, ihr zweites Album, spielte mit dem Sound der Vergangenheit, war aber trotzdem eindeutig im Jetzt verankert und konnte auch nur deswegen ein derartiger Hit werden.
Auch auf Lioness ruft ein Lied wie Like Smoke sehr schön das elegante Rumoren eines Songs von Martha & The Vandellas in Erinnerung, ohne wie ein Imitat zu klingen. Und wenn dann Rapper Nas anfängt zu spitten, ist eh klar, in welchem Jahrtausend Amy Winehouse gelebt hat.
Hip-Hop In Interviews sagte sie manchmal: »Ich höre doch nur Musik aus den 60ern.« Der Satz klingt schön, aber er stimmte natürlich nicht ganz. Die aggressive Offenheit, mit der Winehouse in ein paar ziemlich kaputte Ecken ihrer Seele blicken ließ, in finstere Witze verpackt – »They tried to make me go to rehab, but I said no no no« –, hatte sie von Rappern wie Biggie Smalls gelernt. Ohne Hip-Hop hätte es Amy Winehouse nicht gegeben.
Sie war auch Teil einer sehr noblen Tradition: jüdische Liebhaber schwarzer Musik. Von Al Jolson über George Gershwin, Bob Dylan, Rick Rubin, hin zu Mark Ronson, Amys Produzenten: Die Liste von Juden, die aus schwarzen Einflüssen Eigenes geschaffen haben, ist lang. Ob Amy Winehouse denn nun wirklich »schwarz« klang oder nicht, wie gelegentlich gefragt wurde, ist dabei irrelevant. In jedem Fall war ihre Stimme einzigartig.
jazz Von Valerie, ihrem letzten großen Hit, gibt es auf dem Nachlassalbum eine langsamere Version, bei der sich eine Seite von Winehouse zeigt, die oft ignoriert wird. Bei allem Soul und bei allem Blues war sie auch eine große Jazzsängerin, mal klar wie Sarah Vaughan, mal lieblich wie Ella Fitzgerald, mal verletzt wie Billie Holiday.
Auch die Singleauskopplung Body and Soul ist ein Jazz-Standard, als Duett mit Tony Bennett, einem der Überlebenden der Crooner-Ära. Es ist die letzte Aufnahme vor Winehouses Tod und ein merkwürdiger Song. Bennett, inzwischen 85, hört man sein Alter durchaus an. Winehouse kann noch singen, aber da ist wenig Freude in ihrer Stimme. Die ganze Nummer erinnert an Lady in Satin, das späte Album von Billie Holiday – Schmerz, Alter und Krankheit, untermalt von plüschigem Orchester.
Auf A Song For You, dem letzten Track, ist Winehouse verletztlich und gleichzeitig unnahbar. »I was bad« singt sie, und es lässt einen gefrieren, mit wie viel Reue und Trau rigkeit, aber auch merkwürdigem Stolz und Trotz sie diese einfachen Worte füllt. Und dann: »And when my life is over / remember when we were together / we were alone and I was singing this song for you.«
Amy Winehouse war einer der größten Stars ihrer Generation und der erste, der gehen musste. Drei Alben, ein paar verstreute Features – ein umfangreiches Lebenswerk sieht anders aus. Was wir haben, ist gut und groß, aber ihre beste Arbeit lag wohl noch vor ihr. Deswegen ist Lioness so wertvoll: als Skizze dessen, was hätte sein können.
Amy Winehouse: »Lioness. Hidden Treasures«. Island/Universal 2011