Jubiläum

Großmarkt des Erinnerns

Künftige Zeichendeuter könnte das doppelte Omen dieser heute so überwältigend erfolgreichen, zweimal gegründeten Institution noch beschäftigen. Die erste Eröffnung eines Berliner Jüdischen Museums hatte am 24. Januar 1933 in der Oranienburger Straße 31 stattgefunden. Im Schatten der Machtübernahme Hitlers entwickelte es sich, getragen von der Jüdischen Gemeinde, bis zu seiner Schließung am 10. November 1938.

»Das erste Jüdische Museum der Moderne« sei diese Einrichtung gewesen, heißt es jetzt in einer Ausstellung des Centrum Judaicum. Es habe über fünf Jahre »eine Art Scheinblüte« gezeigt, doch der bedrängten jüdischen Gemeinschaft »gleichermaßen Liebe zur Kunst wie Zuflucht geboten«.

AUTONOMIE Die Eröffnung des Jüdischen Museums Nr. 2 an der Kreuzberger Lindenstraße war geplant für den 11. September 2001, wurde aber wegen der Anschläge in New York verschoben. Dem geplatzten Start vorausgegangen war ein 20-jähriger erinnerungspolitischer Kulturkampf um den Ort, die Anbindung, das Gewicht und die Inhalte. Museum Nr. 1 hatte seinerzeit die Formulierung jüdischer Identitäten auch über die Präsentation zeitgenössischer Kunst erstrebt; an der Frage, ob nun Museum Nr. 2 eher ethnologisch-religiös, stadthistorisch oder global auf Reflexe aus der Welt der Künste ausgerichtet sein sollte, verkeilten sich Berliner Interessen.

Die Verwaltungspläne, das Museum als Souterrain-Abteilung im Stadtmuseum »integrativ« unterzubuttern, hatte der 1997 entlassene Gründungsdirektor Amnon Barzel zu stören gesucht.
Doch Daniel Libeskinds Zick-Zack-Bau geriet einem Mahnmal so ähnlich, dass eine »jüdische« Gesamtnutzung des Neubaus nicht mehr zu verweigern war.

Michael Blumenthal als Direktor, starkem Strippenzieher und begnadetem Fundraiser gelang es dann schließlich, dem Jüdischen Museum Berlin (JMB) Autonomie, den Status einer Bundesinstitution zu verschaffen: für den Libeskind-Bau samt angrenzendem barocken Collegienhaus, das bis dato zum Stadtmuseum gehörte.

Das zweite Omen, »9/11«, bescherte dem JMB strenge Sicherheitsregeln, die bis heute einen leidigen Kontrast bilden zur Service-Nettigkeit des Betreuerteams, zur bunt-flockigen Anmutung mancher Ausstellungsbereiche und Programmangebote. Inhaltlich dürfte das terroristisch mobilisierte Kampf-der-Kulturen-Gespenst die Position des JMB als Bollwerk jüdischer Geschichtsdarstellung und Selbstbehauptung gestärkt, zugleich seinen Einsatz für Toleranz und Menschenrechte angeregt haben.

dauerausstellung Doch wann immer Leistungen des JMB gerühmt werden, stehen meistens stolze Zahlen im Vordergrund. Über sieben Millionen Besucher haben die Dauerausstellung seit 2001 besichtigt, ein Drittel davon unter 30 Jahre alt. Beim Blick auf die Inhalte beeindruckt indes, dass es dem JMB und seiner Programmdirektorin Cilly Kugelmann eben auch gelungen ist, manche der einst konträren Ansätze unter einen Hut zu bringen, die Karten des »Was ist jüdisch«-Spiels öfter neu zu mischen.

Die Dauerausstellung zeigt sakrale Judaica, neuerdings auch die interaktiven Inseln »Glaubenssachen«, aber zugleich eine Menge deutsch-jüdisch-universaler Kulturgeschichte; in Wechselausstellungen, die auch Sigmund Freud, der Kabbala oder Heimatbildern gewidmet sein können, präsentiert man ebenso Reflexionen zeitgenössischer Kunst und klassischer Moderne.

Für Berlins Stadthistorie, die Wegweisendes über das Judentum in Deutschland enthält, fühlt man sich allerdings wenig zuständig. Von inspirierender Interaktion mit dem Stadtmuseum kann keine Rede sein. Was nicht nur am JMB liegt: Die Wunden des Museumsstreits um »Autonomie« oder »Integration« sind noch nicht verheilt.

labyrinth Wer an einem Sommertag durch das kühle Labyrinth flaniert, hat die lästige Security-Kontrolle bald vergessen. Im Untergeschoss Monitore, Leinwände, Hörstationen, das Learning Center. Ein Kellerkorridor heißt »Achse des Exils«. An der Wand Vitrinen mit Siebensachen aus Flucht-Geschichten. Wieder hinauf. Runter, rauf, Zick und Zack geht der Parcours. Angrenzend: Holocaust-Turm, Garten des Exils, im anderen Stock die Leerstelle des Gedenkens.

So viel symbolische Markierung müsste der Besucher mit Assoziationen füllen. Zwei stattliche Fluchten für Wechselausstellungen. Plaketten zu Ehren der Spender an zahlreichen Stellen des Hauses. Ganz oben, am Ende der langen Treppe, das Entrée zur 3.000-Quadratmeter-Dauerausstellung, die sukzessive verbessert wird. Die kolorierte Schulbuch-Atmo des Mittelalter-Bereichs, den grobe Blow-ups alter Illustrationen dominieren, befremdet.

Der Slogan »Zwei Jahrtausende deutsch-jüdischer Geschichte«, mit dem das JMB seine Stadtmuseums-Genesis abstreifte, ist real kaum einzulösen. Da bilden unterschiedlichste Dokumente und Objekte im großzügig neu gestalteten Komplex zur Aufklärungsepoche, in den Räumen zum 19. und 20. Jahrhundert, ästhetisch eine angenehmere Baustelle. Hier freilich multipliziert sich Zickzack mit Objektfülle: Wuselgefahr. Zwischendurch werden Epochen und Prozesse durch Kurzporträts von Promis oder Unbekannten personalisiert.

Wer sucht, findet seine Story; das JMB ist ein Entdeckungspark. Zurück im Collegienhaus gibt es noch das Restaurant Liebermanns, den Museumsshop, den Glashof, einen lauschigen Wandelgarten.

ausbau Wer vor dem Publikumsportal des barocken Hauses unter der zierlichen Schrift »Jüdisches Museum Berlin« steht und begreift, dass der schöne Altbau vor allem Service-Funktionen hat, mag diese Expansion des JMB, den Verzicht auf die hautnahe Nachbarschaft mit dem Stadtmuseum der Ex-Reichshauptstadt, als verpasste Chance bedauern. Doch die nächste Expansion steht bevor. Auf der anderen Straßenseite entsteht nach Daniel Libeskinds Entwurf – unter dem Betonskelett einer vom Architekten des Amerika-Hauses, Bruno Grimmek, 1965 gebauten Blumengroßmarkthalle – die Akademie des JMB als »Haus im Haus«.

Bildungsarbeit und wissenschaftliche Kooperation (mit einer Filiale des New Yorker Leo Baeck Instituts und der Londoner Wiener Library für Holocaust-Forschung) waren längst räumlicher Einschränkung unterworfen. Nun sollen Libeskinds Kuben Schulungsräume aufnehmen; das Leo Baeck Institut zur Erforschung deutsch-jüdischer Geschichte wird seine Präsenz ausbauen, nicht nur Dokumentkopien, ganze Originalsammlungen unterbringen.

Die Themen Integration und Migration kommen bevorzugt zur Geltung, ein jüdisch-islamisches Forum findet Platz und ein »Garten der Diaspora«. Neben dem Vortragssaal und der Bibliothek mit Freihandbereich werden bis Mitte 2012 Büros, Depots, Archivraum für Emigranten-Nachlässe entstehen. Vom Bund kommen dafür 6,6 Millionen, 4,3 Millionen von einem Spender aus den USA.

Mit den knapp budgetierten jüdischen Regional-Museen in Deutschland oder Österreich, deren Perspektiven oft ungeklärt erscheinen, hat dieser volkspädagogische Komplex beiderseits der Lindenstraße wenig gemein. Entsteht hier, raumgreifend und provokativ, das zentrale Quartier der »Nie-wieder!«-Staatsräson? Willkommen im Großmarkt der Erinnerung: eine Chance für die Entdecker guten Willens.

www.jmberlin.de

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