Vor Kurzem forderte der Ex-Nationalmannschafts- und FC-Bayern-Kapitän Philipp Lahm laut Süddeutscher Zeitung, »von seinem mancherorts ja als reichlich großkotzig empfundenen Verein mehr als plumpe Millionentransfers: eine Philosophie, eine fußballerische Identität«.
Was heißt hier »großkotzig«? Die meisten Wörterbücher nennen für das Adjektiv statt einer semantischen Bestimmung Synonyme wie »angeberisch«, »großspurig«, »prahlerisch«, »überheblich« oder »wichtigtuerisch« und charakterisieren es als »salopp-abwertend«. Auffällig ist, dass sich das Wort in Berlin besonderer Beliebtheit erfreut, wo der »Großkotz« in Peter Schlobinskis Berliner Wörterbuch (1993) als »Prahler« und »überheblicher Mensch« definiert wird: »So’n großkotz’jer Typ!«
fürst Mit Brechreiz hat das Wort, auch wenn es danach klingt, nichts zu tun. Es ist aus dem Jiddischen über das Rotwelsche ins Deutsche gelangt. Als »Koozen« findet es sich in F. L. A. v. Grolmanns Wörterbuch der in Teutschland üblichen Spitzbuben-Sprachen (1822), während Wilhelm Polzers Gauner-Wörterbuch für den Kriminalpraktiker (1922) die Bezeichnung »Kotz« für den Prahler anführt.
Abraham Tendlau verdeutlicht in Jüdische Sprichwörter und Redensarten (1860) die etymologische Herkunft: »Kozen, Kazin heißt biblisch: Richter, Führer, Fürst; im späteren Hebräismus ein reicher Mann: ein dicker, fetter Kozen.« Dort werden auch etliche Sprüche über Wohlhabende genannt, etwa: »Mer soll sein letscht Hemd dran wende’, um e Kozin (reicher Mann) zu werde.« Wobei das auch Risiken birgt: »E Kozen un e Schoochet – bleibt nix übrig als e weiter Hals«, das heißt, »am Ende bleibt dem Reichen von seinem Reichtum dasselbe, was dem Schächter von seinem Berufe bleibt: ein weiter – durch das häufige und gute Essen ausgedehnter – Hals.«
Auch Werner Weinberg steuerte in Die Reste des Jüdischdeutschen (1973) eine beliebte Redensart bei: »Der kozen lässt’s klingen, der dalfen lässt’s springen«. (Der Reiche gibt mit seinem Geld an, der Arme gibt seines aus.) Der Plural des jiddischen »kozen« ist »kezienem«, woraus sich der leider in Vergessenheit geratene schöne Begriff »kezienemkratzer« herleitet – einer, der den Reichen schmeichelt.
literatur Deutschsprachige Literaten gingen, speziell in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts, fantasievoll mit dem Wort um und prägten einige heute ungewöhnliche Bildungen.
In Artur Landsbergers Roman Bankhaus Reichenbach (1928) findet sich dieser amüsante Dialog: »›Aber‹, sag ick zu den Milljonähr, was soweit ‹n janz feiner Mann is, ›wenn der uff Tour jeht, jeh ick och.‹ – ›Jeh man‹, sagt er. ›Nee‹, sag ick, ›nich ohne dir. Dass de hier ‹n Kotzigen machst und wenn nachts de Wache kommt und det Nest leer sind, uns verpfeifst. Nich zu machen‹, sag ick und piek so an von wejen, ob er nich och irjendwo ne Jeliebte hat.«
Im Roman Die Vaterlosen oder Der Gefängnisarzt (1934) des österreichischen Arztes und Schriftstellers Ernst Weiß sagt ein Untersuchungsrichter über einen Delinquenten: »Ein Mensch, jung und stark und dauernd im Tran. Grüne Seidensocken, Goldarmband, Wildlederhandschuhe und Tag und Nacht dun, ist das nicht überkotzig?«
Kluge-Seebolds Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache (2002) definiert »großkotzig« als vergröbernden Ausdruck für «jemanden, der in großem Bogen spuckt«. Der Großkotz spuckt eben große Töne!