Redezeit

»Grässlich und erfüllend zugleich«

Louis Begley Foto: imago

Redezeit

»Grässlich und erfüllend zugleich«

Der amerikanische Bestseller-Autor Louis Begley über die Last des Schreibens, unvergleichliche Glücksgefühle und gesunden Schlaf

von Philipp Peyman Engel  04.04.2011 11:28 Uhr

Herr Begley, Sie bezeichnen das Verfassen von Romanen als Kampf, als fortwährendes Ringen mit sich selbst. Weshalb tun Sie sich das an?
Es gibt für Menschen kein größeres Glück als jenes, das aus der Übereinstimmung mit sich selbst resultiert. Und da es für mich im Leben nichts Erstrebenswerteres gibt als zu schreiben, nehme ich diese Sisyphusarbeit notgedrungen tagtäglich immer wieder auf mich. Denn letztlich wiegt der Moment, in dem man einen fertigen Roman in Händen hält, alle Schwierigkeiten bei Weitem auf. Es gibt kein vergleichbares Glücksgefühl.

Was genau fällt Ihnen so schwer?
Dass man als Autor in jeder Zeile unzählige Entscheidungen treffen muss. Das kostet, zumal in meinem Alter, unsagbar viel Kraft. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Mensch eigentlich nicht dazu geschaffen ist, sich Romane wie »Schuld und Sühne« oder »Unendlicher Spaß« abzuringen. Zumindest in meinem Leben ist das Schreiben das Unangenehmste und Schwierigste, was ich je getan habe.

Für Sie ist die Schriftstellerei also grässlich und erfüllend zugleich?
Absolut. Für den Marathonläufer ist das Laufen an sich vermutlich auch nicht allzu erquickend. Ist er aber im Ziel, freut er sich über seine vollbrachte Leistung. So in etwa verhält es sich bei mir mit dem Schreiben.

In Ihrem Weltbestseller »Lügen in Zeiten des Krieges« haben Sie die Geschichte Ihrer Verfolgung durch die Nazis verarbeitet. War das ein therapeutischer Prozess?
Das wäre zu viel gesagt. Es war mir vielmehr eine psychologische Notwendigkeit, in literarischer Form aufzuschreiben, wie meine Mutter und ich - als Katholiken getarnt - den Nazis entkamen. Jahrzehntelang ging ich mit der Idee für dieses Buch schwanger. In gewissem Sinne hatte nicht ich die Idee, diese Geschichte zu erzählen, sondern die Geschichte hat mich ausgesucht, sie aufzuschreiben.

Im Alter, heißt es, werden längst vergessen geglaubte Erinnerungen plötzlich wieder präsent. Wie ist das bei Ihnen?
Es ist eine Binse, aber sie ist wahr: Wir können die Vergangenheit vergessen, aber die Vergangenheit vergisst uns nicht. Ich litt lange Zeit unter Albträumen und chronischer Schlaflosigkeit wegen meiner Erlebnisse während des Holocaust in Polen. Angst und Panik waren nachts meine stetigen Begleiter. Die eigene Ohnmacht, das Ausgeliefertsein waren zentrales Motiv der Albträume.

Wie haben Sie die Schlaflosigkeit überwunden?
Bis vor einigen Jahren habe ich vom exzessiven Genuss schottischen Whiskeys über Schlaftabletten bis hin zu Büchern von miserablen Autoren so ziemlich alles ausprobiert, um meine Nerven zu beruhigen. Nur so fand ich, wenn auch mehr schlecht als recht, in den Schlaf. Ab einem bestimmten Punkt wollte ich jedoch wieder selbstbestimmt leben, weshalb ich von einem Tag auf den anderen beschloss, den Alkohol und die Pillen abzusetzen. Seitdem schlafe ich überraschenderweise ganz ordentlich.

Sie sind zurzeit auf Lesereise in Deutschland. Mit welchen Gefühlen besuchen Sie die Bundesrepublik?
Als ich während meines Militärdienstes achtzehn Monate in der Nähe von Stuttgart stationiert und später dann in den 70er-Jahren als Anwalt in Düsseldorf tätig war, fragte ich mich bei jedem Erwachsenen, ob er sich in der NS-Zeit schuldig gemacht hat. Inzwischen ist Deutschland für mich ein Ort wie jeder andere. Vermutlich auch deshalb, weil die meisten Nazi-Täter von damals heute nicht mehr leben.


Louis Begley wurde 1933 als Ludwig Begleiter im polnischen Stryi geboren. Er überlebte den Krieg und emigrierte 1947 mit seiner Familie nach New York. Die Großeltern wurden von den Nazis ermordet. Begley studierte Jura in Harvard, trat als Wirtschaftsanwalt in die renommierte Kanzlei Debevoise & Plimpton ein und veröffentlichte 1991 seinen ersten Roman »Lügen in Zeiten des Krieges«, der auf Anhieb in zahlreichen Ländern ein Bestseller wurde. Sein Roman »Schmidt« wurde mit Jack Nicholson in der Hauptrolle verfilmt (»About Schmidt«). Begleys aktuelles Buch »Der Fall Dreyfus: Teufelsinsel, Guantanamo, Albtraum der Geschichte« ist im Suhrkamp Verlag erschienen.

Antisemitismus

Kanye Wests Hitler-Song »WW3« ist Hit auf Spotify

Der Text ist voller Hitler-Verehrung, gleichzeitig behauptet der Musiker, er könne kein Antisemit sein, weil er schwarz sei

 13.05.2025

JFBB

Die bessere Berlinale

Das 31. Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg sorgte für eine scharfe Kontroverse, aber vor allem für Dialog und gutes Kino

von Ayala Goldmann  13.05.2025

Kulturkolumne

Der Soldat im Speisewagen

Warum hören wir nicht öfter zu? Von einer Begegnung im Urlaub

von Ayala Goldmann  13.05.2025

Imanuels Interpreten (9)

Der bessere Donald

Der Keyboarder, Sänger und Komponist Donald Fagen gibt der Pop-Musik etwas, das sie dringend braucht: eine große Portion Qualität

von Imanuel Marcus  13.05.2025

Leon Botstein

»Ich möchte wunderbare Musik verteidigen«

Der Chefdirigent des American Symphony Orchestra über vergessene Komponisten, Hannah Arendt und die Hochschulpolitik von Donald Trump

von Christine Schmitt  13.05.2025

ESC

Yuval Raphael: »Bin hier, um Hoffnung zu bringen«

Trotz Boykottaufrufen bleibt Israels Kandidatin für den Wettbewerb optimistisch: Mit ihrem Song »New Day Will Rise« will sie ein Zeichen für Hoffnung und Zusammenhalt setzen

 13.05.2025

Berlin

Ruth Ur wird neue Direktorin der Stiftung Exilmuseum in Berlin

In Berlin soll ein Museum über die Menschen entstehen, die vor den Nazis ins Exil flohen. Die Stiftung, die das Vorhaben vorantreibt, bekommt nun eine neue Direktorin

von Alexander Riedel  12.05.2025

Kulturpolitik

Kulturrat berät künftig zu Antisemitismus

Ziel sei es, Handlungssicherheit innerhalb des Kulturbereichs zu gewinnen

 12.05.2025

Tschechien

Holocaust-Museum in ehemaliger Schindler-Fabrik eröffnet

Der Unternehmer Oskar Schindler rettete viele Juden vor den Nazis. Seine Rüstungsfabrik verlegte er 1944 von Krakau nach Brnenec im heutigen Tschechien. Nun ist dort ein Museum eröffnet worden

 12.05.2025