Wahres und authentisches Glück? Wer seine eigene Website so nennt – »authentic happiness« –, der hat wahrhaftig Chuzpe. Doch Martin E. P. Seligman, Professor für Psychologie an der University of Pennsylvania in Philadelphia, hat noch mehr: Er hat ein Glückskonzept.
Erkundigt man sich beim Buchhändler nach »Glück«, so kann man derzeit 4.000 Bücher kaufen, von 100 Glücksmomente, die den Alltag schöner machen bis zur Klage über die Tyrannei des Glücks. Geht man einen anglophonen Suchschritt weiter und lässt global »happiness« ermitteln, dann meldet die führende Suchmaschine 319 Millionen Funde – von Festivals bis zu Einträgen, die zur ernüchternden Erkenntnis führen: »can’t buy happiness«.
Viele leichtgewichtige Sachbuchautoren und Seminarscharlatane haben diese Einsicht ins Gegenteil verkehrt und sind durch das Glück reich geworden. Wundert es da, dass auch die seriöse wissenschaftliche Psychologie seit zwei Jahrzehnten das Glück zu kartieren versucht? »Positive Psychologie« nennt sich diese Richtung. 1997, mit der Ernennung Seligmans zum Präsidenten der altehrwürdigen American Psychological Association, erfuhr diese junge therapeutische Richtung einen entscheidenden Schub.
Pädagoge Der 70-jährige Seligman lehrt seit vier Jahrzehnten an der renommierten University of Pennsylvania. Er hatte viele Posten bei Fachzeitschriften wie in Standesorganisationen der amerikanischen Psychologie inne und war 25 Jahre lang neben Lehren, Ausbilden, Forschen und Schreiben auch aktiv als Therapeut tätig. Und er ist leidenschaftlicher Pädagoge, dies merkt man jedem seiner Sätze an. Denn ein mit so viel Verve und Selbstironie geschriebenes psychologisches Buch ist nicht häufig zu finden. Vor allem nicht aus der Feder eines Ordinarius an einer Eliteuniversität.
Seligman, der spannend und plastisch erzählen kann, tritt mit einer großen Entspanntheit auf, ohne sich dabei allzu sehr anzubiedern. Auch wenn man nach den ersten Seiten das Buch gleich wieder zuklappen möchte. Denn dessen Inhalt, liest man da in überschäumender Metaphorik, »wird Ihnen helfen, zu blühen und zu gedeihen«. Zuvor heißt es apodiktisch: »Positive Psychologie macht Menschen glücklich« und »vermag, Ihr Leben zu verändern«.
Selbstkritik Glücklicherweise verlässt Seligman, vor zehn Jahren auf der von der »General Review of Psychology« erstellten Liste der bedeutendsten Psychologen der letzten 100 Jahre als 31. platziert (als 11. von insgesamt 39 Juden), nach dem Vorwort sofort den Duktus des Glücksstifters – mit einer überraschenden Volte, nämlich Selbstkritik. Denn er stellt die Aussagen seines Buches Der Glücksfaktor, das 2002 erschien, nicht nur auf den Kopf oder ergänzt sie. Sondern er revidiert seine damaligen Thesen grundlegend, ja er bezeichnet sie als unzureichend, löchrig, falsch, weil viel zu limitiert. Und dabei frönt er, was eine fast noch größere Leistung ist, nie einem eitlen Narzissmus.
Die Bausteine des Glücks waren für Seligman damals »positives Gefühl, Engagement und Sinn«, Dinge, »die wir um ihrer selbst willen wählen«. Entzücken, Flow-Gefühl, Behaglichkeit und Sinnstiftung, zumindest Lebenszufriedenheit, waren in der »Theorie des authentischen Glücks« anno 2002 die entscheidenden Punkte.
Nun zieht Seligman das Wort »Glück« ganz zurück. Das ist keine semantische Scharade oder ein verbaler Taschenspielertrick. Erfolg beziehungsweise Leistung um ihrer selbst willen nimmt er dafür als entscheidende Kriterien mit auf. Zusammen ergeben sie die »Theorie des Wohlbefindens«. Die ist bei Weitem nicht so starr und, wie Seligman amüsiert schreibt, strukturell so liberal wie das Wetter oder die Freiheit: »Kein einzelnes Maß definiert es erschöpfend.«
therapie In zehn Kapiteln stellt der Autor dann aber immer erhellendere, weil immer verblüffendere Fragen. Und er präsentiert immer überzeugendere Lösungen. Er behandelt den Zusammenhang von Bruttoinlandsprodukt und Glück, von Erfolg und Wohlbefinden, von schulischer Ausbildung und Aufblühen – Letzteres vor allem anhand von Erfahrungen mit Positiver Psychologie an einem australischen Internat, das damit Verbesserungen im Miteinander wie bei den individuellen Leistungen bewirkte. Diese Lehre eines wissenschaftlich fundierten Optimismus umreißt Seligman mit Enthusiasmus, und er führt weitere messbare – und nachgewiesene – positive Wirkungen seines Konzepts auf: bei schwer Depressiven oder bei traumatisierten Soldaten. Hilfreich für eine Selbsttherapie sind Seligmans online abrufbaren Selbsttests, zu finden unter der Rubrik »Der Schatz echten Glücks«. Denn schließlich, so der Titel eines anderen Buches von Martin Seligman: Pessimisten küsst man nicht.
Martin Seligman: »Flourish. Wie Menschen aufblühen. Die Positive Psychologie des gelingenden Lebens«. Kösel, München 2012, 480 S., 22,99 €