»Seret«

Golda und koschere Küsse

Steht im Zentrum des Dokumentarfilms von Sagi Bornstein, Udi Nir und Shani Rozanes: Israels Ministerpräsidentin Golda Meir (1898–1978) Foto: dpa

Im Mai 1978, genau vier Jahre nach ihrem Rücktritt und ein halbes Jahr vor ihrem Tod, wird Golda Meir von zwei Journalisten im israelischen Fernsehen interviewt. Nach Beendigung des Interviews nimmt die Kamera weiter auf. Golda fragt noch einmal nach, ob auch niemand hören wird, was sie nun sagt.

»Nein«, versichern ihr die Journalisten, »das hier wird nicht gesendet.« Jetzt beginnt der entspannte Teil des Gesprächs – und vor allem der interessanteste. Es wird geraucht und geredet und geraucht. In Schwarz-Weiß natürlich. Und der Kameramann filmt weiter und weiter.

Das Biopic »Golda« gehört zu den besten Filmen des Festivals.

Nun ist es natürlich überhaupt nicht in Ordnung, Interviewmaterial zu veröffentlichen, das von der interviewten Person ausdrücklich nicht freigegeben wurde. Andererseits kann man sich unschwer vorstellen, dass die Regisseure des neuen Dokumentarfilms Golda derartige Skrupel schnell überwanden, als sie diese bislang unveröffentlichten Filmaufnahmen fanden. Und vielleicht würde Golda Meir heute, nachdem sie einige Zigaretten lang überlegt hätte, das Material ja tatsächlich freigeben.

höhepunkte Und tatsächlich sind diese nicht autorisierten Aufnahmen der alten Dame Höhepunkte des Films. Golda ist einer der besten Filme auf dem diesjährigen »Seret«-Filmfestival, das 2012 von Liebhabern des israelischen Kinos gegründet wurde, am 1. September beginnt und nun schon zum fünften Mal in Deutschland stattfindet.

Der rund anderthalbstündige Dokumentarfilm Golda konzentriert sich auf die Regierungszeit von Golda Meir, also auf die Jahre 1969 bis 1974. Den Filmemachern Sagi Bornstein, Udi Nir und Shani Rozanes ist es gelungen, ein ebenso fesselndes wie faires Porträt Goldas zu zeichnen.

Unterstützt werden sie dabei von Interviewpartnern wie Uri Avnery, dem ehemaligen Mossad-Chef Zvi Zamir und natürlich Professor Meron Medzini, der fünf Jahre der Sprecher der Premierministerin war und die wohl beste Biografie über Golda Meir verfasst hat.

macht Nachdem Ingrid Bergman Golda Meir 1982 in einem preisgekrönten zweiteiligen Biopic verkörpert hatte, war es allmählich an der Zeit, dass ein gut recherchierter Dokumentarfilm über die immer noch verkannte erste israelische Premierministerin gedreht wurde. Für die jüngeren Zuschauer innerhalb und außerhalb Israels scheint der Film vielleicht sogar ein wenig wirklichkeitsfern.

Denn Golda war ein Typus des Politikers, den es heute nur noch selten gibt: Als die Arbeitspartei sie dazu drängte, sich für den Posten des Regierungschefs zur Verfügung zu stellen, weinte Golda. Sie wollte nicht Premierministerin werden. Sie war damals bereits 71 Jahre alt, längst Pensionärin und krebskrank.

Golda Meir war nicht auf der Suche nach Macht, Geld oder Karriere.

Golda Meir war nicht auf der Suche nach Macht, Geld oder Karriere. Und sie betrachtete es nicht als ihre Aufgabe, ihr Volk zu belügen. In dieser Hinsicht ist Golda wirklich ein etwas nostalgischer Film geworden.

Der zweite Überraschungsfilm des diesjährigen Seret-Festivals ist The Prophet, ein Porträt des in Brooklyn geborenen, so charismatischen wie berüchtigten Aktivisten und Politikers Meir Kahane, der 1990 in Manhattan einem Attentat zum Opfer fiel.

provokateur Dem jungen israelischen Filmemacher Ilan Rubin Fields ist es gelungen, einen erstaunlich ruhigen und zurückhaltenden Film über den aggressiven Provokateur Kahane zu machen, in dem er sowohl Gegner als auch Anhänger Kahanes ausführlich zu Wort kommen lässt. Auch Meir Kahane selbst, von Kritikern als »Faschist«, »Rassist« und »Nazi« charakterisiert, gibt der Regisseur reichlich Raum, seine kruden Ideen zu erläutern.

1988 wurde die von Kahane gegründete Kach-Partei nicht mehr zur Wahl zugelassen. Der Film dokumentiert ausführlich, dass damals alle israelischen Parteien Kahane und dessen Ideen ablehnten. Er schließt mit einem Epilog, der andeuten soll, wie die von Kahane propagierte Gewaltideologie und seine grundsätzliche Ablehnung der westlichen Demokratie angeblich weiterhin das politische Leben in Israel beeinflussen.

Auch wenn das Gesetz es bisher zu verhindern wusste, dass offen rassistische Politiker Knessetabgeordnete werden dürfen, so weicht die Front gegen die Kahanisten allmählich auf: Tatsächlich versuchte Premier Benjamin Netanjahu mit der kahanistischen Partei »Otzma Yehudit«, dessen führende Vertreter auch im Film zu Wort kommen, Anfang 2019 einen Deal zu machen, um sich Stimmen zu sichern.

russisch Das Seret-Festival in Deutschland zeigt auch Yair Levs preisgekrönten Dokumentarfilm You Only Die Twice, der die erstaunliche Geschichte einer gestohlenen Identität erzählt. Levs Film wird ebenso wie The Prophet und Golda nicht nur in ausgewählten Kinos, sondern coronabedingt auch online zu sehen sein.

Das Festival findet darüber hinaus auch dieses Jahr in den Niederlanden, Großbritannien und Chile statt.

Das Festival findet darüber hinaus auch dieses Jahr in den Niederlanden, Großbritannien und Chile statt. Leider mit jeweils unterschiedlichen Beiträgen. Deshalb müssen die Deutschen auf einige sicher sehr interessante Dokus verzichten: The Rabbi from Hezbolla (!), King Bibi und Spotting Yossi, ein Porträt des 2006 verstorbenen Sängers und Schauspielers Yossi Banai.

Die meisten Beiträge auf dem diesjährigen Seret-Filmfestival in Deutschland sind Kurzfilme oder Spielfilme: die Komödien Forgiveness, Honeymood, Kiss me Kosher, Peaches and Cream und Zero Motivation, das Drama The Art of Waiting und der ausgezeichnete, nicht kategorisierbare Film Golden Voices des Regisseurs Evgeny Ruman. Der zum größten Teil russischsprachige Film erzählt die Geschichte eines Ehepaares, das in den späten 80er-Jahren, während des ersten Golfkriegs, endlich aus der Sowjetunion nach Israel auswandern darf.

Die Filme werden in fünf deutschen Städten und online gezeigt.

Beide, Viktor und Raya, waren in der Sowjetunion gefeierte Synchronsprecher und müssen sich nun in der allzu fremden Heimat ein neues Leben einrichten. Ein stiller, völlig unpathetischer, humorvoller und intelligenter Film, der sich zu Recht ausschließlich auf seine wunderbaren Hauptdarsteller Maria Belkin und Vladimir Fridman verlässt. Allein für die Chance, Golden Voices zu sehen, ist man den Macherinnen des Festivals dankbar.

Die Filme des »Seret«-Festivals laufen zwischen dem 1. und 10. September in Berlin, Köln, München, Frankfurt und Hamburg.
www.seret-international.org

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. Februar bis zum 27. Februar

 21.02.2025

Berlinale

»Das verdient kein öffentliches Geld«

Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner hat seine Karte für die Abschlussgala zerrissen – und will die Förderung für das Filmfestival streichen

von Ayala Goldmann  21.02.2025

Bayern

NS-Raubkunst: Zentralrat fordert schnelle Aufklärung

Der Zentralrat der Juden verlangt von den Verantwortlichen im Freistaat, die in der »Süddeutschen Zeitung« erhobenen Vorwürfe schnell zu klären

 20.02.2025

Kolumne

Unentschlossen vor der Wahl? Sie sind in guter Gesellschaft – mit Maimonides

Der jüdische Weise befasste sich mit der Frage: Sollten wir als Kopfmenschen mit all unserem Wissen auch bei Lebensentscheidendem dem Instinkt vertrauen?

von Maria Ossowski  20.02.2025

Berlin

Eine krasse Show hinlegen

Noah Levi trat beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. In die nächste Runde kam er nicht, seinen Weg geht er trotzdem

von Helmut Kuhn  20.02.2025

NS-Unrecht

Jüdische Erben: »Bayern hat uns betrogen« - Claims Conference spricht von »Vertrauensbruch«

Laut »Süddeutscher Zeitung« ist der Freistaat im Besitz von 200 eindeutig als NS-Raubkunst identifizierten Kunstwerken, hat dies der Öffentlichkeit aber jahrelang verheimlicht

von Michael Thaidigsmann  20.02.2025

Literatur

»Die Mazze-Packung kreiste wie ein Joint«

Jakob Heins neuer Roman handelt von einer berauschenden Idee in der DDR. Ein Gespräch über Cannabis, schreibende Ärzte und jüdischen Schinken

von Katrin Richter  20.02.2025

Berlinale

Auseinandergerissen

Sternstunde des Kinos: Eine Doku widmet sich David Cunio, der am 7. Oktober 2023 nach Gaza entführt wurde, und seinem Zwillingsbruder Eitan, der in Israel auf ihn wartet

von Ayala Goldmann, Katrin Richter  19.02.2025

Berlin

»Sind enttäuscht« - Berlinale äußert sich zu Antisemitismus-Skandal

»Beiträge, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, überschreiten in Deutschland und auf der Berlinale eine rote Linie«, heißt es in einer Erklärung des Festivals

von Imanuel Marcus  19.02.2025