Das Jerusalem Symphony Orchestra, die Bochumer Symphoniker, der Rundfunkchor Berlin: Steven Sloanes Abschiedskonzert in Bochum Ende vergangener Woche war schon allein mit Blick auf die Besetzung etwas ganz Besonderes.
Und es galt auch für den Ort, an dem die Musiker Gustav Mahlers 2. Symphonie spielten: Die Jahrhunderthalle Bochum, einst Teil eines Stahlwerks, ist eigentlich die zentrale Spielstätte der Ruhrtriennale, bei der Sloane und sein Orchester 2006 mit der Neuproduktion von Bernd Alois Zimmermanns Oper Die Soldaten einen ihrer größten Erfolge feierten. Umso tragischer war es für Sloane, der immer einen engen, ja, sehr herzlichen Kontakt zu seinem Bochumer Publikum pflegte, dass nun wegen der Corona-Pandemie nur wenige Menschen bei seinem Abschied vom Ruhrgebiet live dabei sein konnten.
»Die Pandemie«, sagt Sloane im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen am Rande des Konzerts, »hat vieles von dem, was ich gemeinsam mit meinem Team für meine Abschiedssaison geplant hatte, unmöglich gemacht, und es war bis vor kurzer Zeit auch gar nicht klar, ob wir in diesen letzten Tagen überhaupt gemeinsam konzertieren können. Insofern bin ich traurig, dass ich mich nicht mit vielen Konzerten und einem großen Fest von den Bochumern verabschieden kann, ich bin aber auch froh, dass der Livestream von Mahlers 2. Symphonie mit Hunderten Zuschauern doch möglich wurde.«
rückblick Als Steven Sloane im Jahr 1994 als Generalmusikdirektor nach Bochum kam, sah er Plakate in der Stadt, auf denen stand: »Please welcome Mr. Sloane!« Jetzt, nach 27 Jahren, gab Sloane den Gruß zurück. In der ganzen Stadt ließ er »Steven Sloane thanks you!« plakatieren.
»Das stärkste Gefühl ist das der Dankbarkeit – für eine wunderbare Zeit.«
Steven Sloane
»Das stärkste Gefühl ist das der Dankbarkeit – für eine wunderbare Zeit, viele tolle musikalische Projekte, für das Geschenk, mit den Bochumer Symphonikern zusammen wachsen zu dürfen, für das Gefühl der Heimat. Ich werde für immer Bochumer sein«, sagt Sloane. Und trotzdem oder gerade deswegen sei es gut, wenn nun Neues kommt, sowohl für die Bochumer Symphoniker als auch für ihn selbst. »Wir haben so viel miteinander erreicht, jetzt ist es Zeit für neue Impulse, für neue Wege.«
NAHBAR Steven Sloane und Bochum, das passte. Sloane ging ohne Attitüde auf die Menschen und ihre Stadt zu. Mit den Symphonikern gab er jeden Sommer im Bochumer Amüsierviertel »Bermudadreieck« ein Open-Air-Konzert. Tausende standen vor der kleinen Bühne am Konrad-Adenauer-Platz und hörten klassische Musik, aber auch bekannte Melodien aus Hollywoodfilmen. Man sah ihn seinen Kaffee im Café Tucholsky trinken. Zusammen mit Herbert Grönemeyer trat er im Ruhrstadion auf. Er litt und feierte mit dem VfL Bochum. Ein Künstler zum Anfassen.
Sloane war zugleich aber auch immer ein Künstler mit größeren Ambitionen als alle seine Vorgänger: Ihm gelang es, die klamme Stadt und ihre Bürger davon zu überzeugen, ein Konzerthaus zu bauen und Millionen an Spenden einzusammeln. Sein Programm wurde zweimal vom Deutschen Musikverlegerverband in der Kategorie »Das beste Konzertprogramm« ausgezeichnet, eine CD des Orchesters war sogar für einen Grammy nominiert.
Steven Sloane und Bochum, das passte. Sloane ging ohne Attitüde auf die Menschen zu.
Das Konzert in Bochum nun schlug eine Brücke von der Vergangenheit in die Zukunft. Seit einem Jahr leitet Sloane parallel zu seinem Bochumer Engagement das Jerusalem Symphony Orchestra, zum 1. Juli endet seine Zeit als Generalmusikdirektor im Ruhrgebiet. Er ist glücklich, beide Orchester jetzt für die beiden Termine zusammengeführt zu haben. »Es ist etwas ganz Besonderes, auf diese Art und Weise die eigene künstlerische Vergangenheit und Zukunft miteinander zu verschränken. Wie wunderbar es ist, mit meinem alten und neuen Orchester Gustav Mahlers Auferstehungssymphonie zu spielen, das macht mich wirklich stolz.«
neuanfang Aufgewachsen in Los Angeles, war Steven Sloane immer ein musikalischer Grenzgänger. Als Jugendlicher spielte er Bratsche in klassischen Orchestern, sang in Chören – und machte in einer Rockband mit: »Wir spielten jüdischen Rock.« Sloanes Familie war in einer jüdischen Reformgemeinde aktiv.
Mit 17, nach seinem Highschool-Abschluss, besuchte er zum ersten Mal Israel, für ein ganzes Jahr, lernte Hebräisch in Jerusalem und lebte später in Tel Aviv. »Dort erwachte meine wirklich tiefe Beziehung zu Israel. Es war für mich als Jude sofort ein ganz besonderes Land.«
In Israel wartet nun viel Arbeit auf ihn. Und wie sein Abschied in Bochum wird auch der Neuanfang dort von Corona bestimmt.
In Israel wartet nun viel Arbeit auf ihn. Und wie sein Abschied in Bochum wird auch der Neuanfang in Israel von Corona bestimmt. »Auch in Israel hat die Pandemie in der Kulturlandschaft tiefe Spuren hinterlassen«, weiß Sloane. »Es wird gelten, alte Strukturen wieder zu festigen und neue aufzubauen. Unsere ersten, sehr erfolgreichen Konzerte nach Corona und natürlich auch die Deutschlandreise mit Auftritten in der Elbphilharmonie Hamburg, dem Konzerthaus Berlin und im Musikforum in Bochum weisen da in die richtige Richtung.«
gott Als die Besucher des Abschiedskonzerts vergangene Woche aus der Jahrhunderthalle hinaus in einen milden Sommerabend treten, sind sie von dem Konzerterlebnis noch sichtlich begeistert und bewegt. »Wenn am Ende der ganze Chor den Vater ruft, aber es kommt nichts zurück, es gibt niemanden, der uns rettet, das ist schon sehr eindrücklich«, sagt etwa Konzertbesucher Christopher Brackmann. »Mahler konvertierte ja, wurde Katholik und hat als Jude diese Musik geschrieben. Vielleicht lindert die Musik unseren Schmerz.«
Dass Sloane nach fast 30 Jahren nun Bochum verlässt, nach so langer Zeit aus kreativen Gründen vielleicht auch verlassen muss, sieht Brackmann ein: »Irgendwann muss es ja sein, aber ich werde ihn sehr vermissen.« Die Chancen stehen allerdings gut, dass Steven Sloane immer mal wieder in Bochum auftreten wird. Zu eng sind die Stadt, ihre Bürger und der Dirigent miteinander verbunden, als dass es eine Trennung auf immer geben wird. Wohl eher eine Trennung auf Zeit. Hoffentlich.