Rat und Inspiration von jenen, die es in der Forschung ganz nach oben gebracht haben – das erhofften sich 600 Nachwuchswissenschaftler, die in der vergangenen Woche anlässlich des 60. Lindauer Nobelpreisträgertreffens an den Bodensee gereist waren. An der Inselhalle von Lindau, in der der Kongress stattfand, bildeten sich Trauben von Jungwissenschaftlern um die meist älteren Herren mit den hellblauen Bändern um den Hals, die sie als Nobelpreisträger auswiesen. Auch Diskussionsveranstaltungen fanden die ganze Woche statt, vormittags kamen die fast 700 geladenen Teilnehmer zusammen, um im großen Saal Vorträge ausgesuchter Laureaten zu hören.
Dort auf der Bühne eröffnete die israelische Biologin Ada Yonath am Montagmorgen den Kongress mit dem ersten wissenschaftlichen Vortrag. Ihr Thema, schon seit Jahrzehnten, ist die Entschlüsselung des Ribosoms – diese für das Leben selbst so grundlegende Struktur übersetzt die Arbeitsanweisungen aus dem Erbgut in Proteine, jene Biomoleküle, die nahezu alle wichtigen Funktionen der Zelle erfüllen. Es ist die Arbeit, die ihr im Jahr 2009 den Nobelpreis für Chemie bescherte, und zwar für die Erschaffung eines Kristalls, den herzustellen zuvor als nahezu unmöglich galt.
aufbau Mit einem Kristall aus einem Molekül klärt man dessen molekulare Struktur auf, denn in ihm liegen die Atome in regelmäßigen Schichten, an denen sich Röntgenstrahlen spiegeln. Sie erzeugen ein Muster aus Reflexen, aus dem sich der genaue Aufbau des Stoffes ablesen lässt. Das Ribosom, bestehend aus etwa 100.000 Atomen, ist jedoch so groß, dass es nur in extremen Ausnahmefällen die nötigen Kristalle bildet, und nach eben diesen Ausnahmen suchte Yonath.
Fündig wurde sie beim Eisbären, dessen Ribosomen sich zu Beginn des Winterschlafs in der Zelle zusammenlagern, und später bei dem wärmeliebenden Bakterium Geobacillus stearothermophilus. Von dessen Ribosom produzierte Yonath 1980 den ersten Kristall und den ersten, noch unscharfen Blick auf die Struktur der Proteinfabrik.
Doch nicht nur um ihren Erfolg in der Wissenschaft ging es Yonath in Lindau. Stolz präsentierte sie den Preis für die »Beste Großmutter der Welt«, verliehen von ihrer Enkelin, eine Auszeichnung, die sie sich jedes Jahr wieder verdienen müsse, wie sie sagte. Dass das auch für erfolgreiche Forscherinnen möglich ist, dafür stand sie in Lindau, und sie rät insbesondere den jungen Frauen, in die Forschung zu gehen – es mache wahnsinnig viel Spaß.
abbau Das bestätigte auch der zweite Nobelpreisträger aus Israel. Aaron Ciechanover, Chemie-Nobelpreisträger von 2004, arbeitete am anderen Ende des Weges, auf dessen Beginn Ada Yonath Licht warf. Er erforschte die organisierte Zerstörung von Proteinen in der Zelle. Auch er ist noch aktiver Wissenschaftler, und will es auch so lange wie irgend möglich bleiben.
Ciechanover ist ein Gegen-den-Strom-Schwimmer. Als die gesamte Biologie daraus zu bestehen schien, wie unter Anleitung der Erbmoleküle DNA und RNA das Material der Zelle aufgebaut wurde, beschäftigte er sich unter der Leitung des Biochemikers Avram Hershko mit dem Abbau der komplexen Eiweißmoleküle.
Ursprünglich nahmen die meisten Forscher an, dass die molekularen Bausteine des Körpers statisch seien und nur auf- und abgebaut würden, um den unvermeidbaren Verschleiß auszugleichen. Sie hätten kaum weiter von der Wahrheit entfernt sein können: Alle Proteine der Zelle werden kontinuierlich auf- und abgebaut, etwa wie ein Haus, in dem permanent Wände eingerissen und neu gebaut werden. Oder wie zwei Parzen, griechische Schicksalsgöttinnen, die unaufhörlich den aus unzähligen Proteinen bestehenden Lebensfaden der Zelle spinnen und wieder aufdröseln und so über Wohl und Wehe des Organismus entscheiden.
Protein Dazu besitzen die Zellen einen eigenständigen Mechanismus zum Proteinabbau und investieren sehr viel Energie in den Prozess. Herzstück der »Maschine« ist das kleine Protein Ubiquitin. Es heftet sich an andere Proteine und fungiert als eine Art Aufkleber mit unterschiedlichsten Funktionen.
Die wichtigste Bedeutung allerdings, entdeckt von Ciechanover und seinen Kollegen, ist folgende: Ausschuss. Etwa ein Drittel aller produzierten Proteine passieren die zelleigene Qualitätskontrolle nicht und werden auf diese Weise für das Recycling markiert. Diese Aufgabe übernimmt eine Eimerkette aus drei spezialisierten Enzymen, die dafür sorgen, dass alles, was die Maschine der Proteinerzeugung fehlerhaft verlässt oder aus anderen Gründen zerstört werden muss, in einen tonnenförmigen Häcksler namens Proteasom wandert.
Zukunft Yonath und Ciechanover wuchsen beide im jungen Staat Israel auf und gehören zu jener Generation, die dafür sorgte, dass das Land trotz seiner geringen Bevölkerungszahl eine Spitzenposition in Forschung und Technik eingenommen hat. »Israel hat eine herausragende Generation hervorgebracht«, sagt Ciechanover, und die Ursache dafür seien vor allem entschlossene Investitionen in Bildung und Forschung gewesen. Eine Lektion, an die sich Israel bald wieder erinnern möge, denn, so Ciechanover: »Inzwischen aber mache ich mir Sorgen, dass wir all das verfallen lassen.«
Der Autor ist Wissenschaftsjournalist und koordiniert die Weblogs der Zeitschrift »Spektrum der Wissenschaft«.
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