»Die Vorwürfe treffen zu. Herr W., ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen. Es tut mir leid. Ich habe das Video gelöscht.« Mit diesen vier Sätzen hatte Gil Ofarim im November 2023 gestanden, den Antisemitismus-Skandal um seine Davidstern-Kette nur erfunden zu haben. Anderthalb Jahre blieb dieses Geständnis das letzte Wort zu einem Skandal, der nicht nur Ofarims Glaubwürdigkeit geschadet hat, sondern auch der von Opfern von Antisemitismus in Deutschland.
Jetzt hat der Musiker mit dem »Stern« für eine Reportage über ihn gesprochen, die den Eindruck erweckt, dass Ofarim nur aus Angst ein Geständnis abgelegt hat. Angst davor, das Sorgerecht für seine zwei Kinder zu verlieren, aber auch davor, die horrenden Prozesskosten nicht bezahlen zu können.
Rückblick: Gil Ofarim hatte im Oktober 2021 ein Video vor dem Eingang des Hotels Westin auf Instagram veröffentlicht. Darin behauptete er den Tränen nahe, er sei an der Rezeption vom Hotelmanager Markus W. abgewiesen worden, weil er eine Kette mit Davidstern getragen habe. Der Manager würde ihn erst einchecken lassen, wenn er die Kette wegstecke, log Ofarim in dem Video.
Die Staatsanwaltschaft Leipzig ermittelte erst gegen Markus W., kam aber dann zu der Einschätzung, dass sich der Vorfall nicht so zugetragen hat. Das Verfahren gegen den Hotelmanager wurde eingestellt, kurz darauf eines wegen Verleumdung gegen Ofarim eröffnet.
»Er hat immer wiederholt, dass er nicht lügen könne«
Die Beweise und Zeugenaussagen sprachen nicht eindeutig gegen Gil Ofarim. Rezeptionist Markus W. verstrickte sich bei seiner Vernehmung in einen Widerspruch: Er will nicht gewusst haben, wer da vor ihm gestanden habe. Gleichzeitig habe er Gil Ofarim zuvor gegoogelt, weil der auf der VIP-Liste des Hotels gestanden habe.
Auch die Aufnahmen der Überwachungskameras, auf denen kein Davidstern um Ofarims Hals zu sehen gewesen sei, sind lückenhaft. In einem der Videos fehlen zweieinhalb Sekunden. Die Gutachter haben dem »Stern« zufolge außerdem nur komprimierte Kopien der grobkörnigen Aufnahmen bekommen.
Ofarims Anwälte hätten nur mit einer Verfahrenseinstellung gerechnet, nicht aber mit einem Freispruch. Denn der Musiker hätte beweisen müssen, dass er eben doch antisemitisch diskriminiert wurde.
Dann machten die Richter Gil Ofarim ein Angebot: Wenn der Musiker ein Geständnis ablegt und 10.000 Euro an die Jüdische Gemeinde Leipzig und die Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz zahlt, wird der Prozess eingestellt und Ofarim bleibt formal unschuldig.
»Wir haben ihm versucht zu erklären, dass dieser Deal das juristisch Beste ist, was in Anbetracht der Situation machbar war und er das nicht ausschlagen sollte«, sagt Ofarims Anwalt Alexander Stevens, einer von vier Verteidigern im Prozess, dem »Stern«.
Trotzdem habe sich Ofarim zunächst gegen den Rat seiner Anwälte gewehrt. »Er hat immer wieder wiederholt, dass er nicht lügen könne, dass es einen anderen Weg geben müsse«, so Stevens. »Sie können schreiben, dass Ofarims Anwälte ihn zum Geständnis geprügelt haben. War mühsam.«
Das Gespräch wurde dem Nachrichtenmagazin von anderen Teilnehmern, darunter Gil Ofarim selbst, bestätigt. Die Worte seiner Anwälte seien wie Blitze in seinen Körper eingeschlagen. Sie hätten gesagt, »dass auf mich im Falle einer Verurteilung rund 100.000 Gerichtskosten zukämen. Dabei wusste ich ja zu der Zeit schon nicht mehr, wie ich die Anwälte weiterbezahlen sollte«, so Ofarim.
Vor allem habe er aber Angst gehabt, das Sorgerecht für seine Kinder zu verlieren, sollte während der Verhandlung eine psychiatrische Begutachtung angefertigt werden. Denn nach eigenen Angaben hatte Gil Ofarim ein Alkoholproblem, nachdem sich die Ermittlungen und die Berichterstattung gegen den Musiker gedreht hatten.
Nachdem die Polizei vorbeigekommen sei, um ihm zu sagen, dass seine Familie in Gefahr sei, habe er nicht mehr geschlafen. »Ich hatte Panikattacken. Also habe ich getrunken, jeden Tag«, erzählt Ofarim den Reporterinnen des »Stern«.
Der Musiker verlor durch seine falschen Anschuldigungen fast alles: Auftritte wurden abgesagt, er konnte die Wohnung in München, in der Nähe seiner Ex-Frau, nicht mehr bezahlen, musste die meisten seiner Wertsachen verkaufen, sich Geld bei Freunden leihen. 2024 habe Gil Ofarim acht Monate in einer psychiatrischen Tagesklinik verbracht, um sich gegen eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung, Depressionen und seine Alkoholprobleme behandeln zu lassen. Seit Oktober lebe er mit seiner Freundin in einer Wohnung in Schwaben, die ihren Eltern gehört.
»Das Instagram-Video war der größte Fehler meines Lebens«
»Das Instagram-Video war der größte Fehler meines Lebens«, sagt Ofarim heute. Dem »Stern« zufolge scheint sich der Musiker aber nicht seiner Verantwortung für die möglichen Folgen seiner Anschuldigungen bewusst zu sein. Auf die Frage, ob es ihm egal gewesen sei, dass Markus W. durch das Video hätte ruiniert werden können, verteidigt sich Ofarim damit, dass er den Namen des Mitarbeiters absichtlich nicht genannt habe.
Allerdings: Am selben Tag wurde der Name des Hotelmanagers öffentlich. W. bekam Morddrohungen, musste sich verstecken. Den Gerichtsakten zufolge litt auch er danach unter einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Ofarim hofft auf zweite Chance
Der Prozess wurde rund neun Monate nach dem letzten Verhandlungstag eingestellt, nachdem Gil Ofarim endlich das Geld für die vom Gericht auferlegten Zahlungen überwiesen hatte. Für den Musiker scheint der Fall aber noch nicht vorbei. Seine Anwälte sind der Meinung, dass ihr Mandant durch eine Unterlassungserklärung vieles nicht sagen dürfe.
Auf die Frage, ob er sich nicht traue, für sich selbst zu sprechen, sagt Gil Ofarim: »Na ja, in der Vergangenheit waren meine Entscheidungen nicht so gut.« Schließlich erzählt er den Reporterinnen aber doch eine Episode aus der Schule. Dort habe jemand zu seinem Sohn gesagt, dass sein Papa doch im Gefängnis sei. Irgendwie stimme das auch, er sei nicht frei, findet Ofarim.
Gleichzeitig plant er auch als Musiker ein Comeback. Gil Ofarim will bald eine Single namens »Korrektur der Zeit« veröffentlichen. Im April ist das erste Konzert seit dem Prozess geplant. Der Vorverkauf läuft schleppend. Ofarim hofft auf eine zweite Chance.
Nach eigenen Angaben habe er nur einen Wunsch: »Ich will einfach wieder auftreten dürfen, damit ich mir eine Wohnung in München bei meinen Kindern leisten kann.« ja