Frau Gundar-Goshen, Sie haben an der israelischen TV-Serie »Kippat Barzel« (»Iron Yarmulke«) über ultraorthodoxe Juden in der israelischen Armee mitgearbeitet. Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?
Das war eine Art Versuch. Mein Partner Yoav Shutan-Goshen (ich nenne ihn »meinen Partner«, nicht »meinen Mann«) hatte die Idee für eine Serie, und wir dachten, dass es nett wäre, zusammen etwas zu schreiben. Aber einen Roman hätten wir sicherlich nicht gemeinsam geschrieben.
Warum nicht?
Ein Roman ist ein Roman …
Das Werk eines Einzelnen …
Ja. Und wenn Sie mich fragen, wo mein Herz war in dieser Zeit, in der ich gleichzeitig an meinem Roman »Lügnerin« und an »Kippat Barzel« geschrieben habe, dann war es viel stärker bei dem Buch. Prosa ist meine Jugendliebe, Fernsehen eher so eine Art Geliebte. Übrigens haben wir zu Hause gar keinen Fernseher.
Glauben Sie, dass in zehn Jahren mehr Charedim Wehrdienst leisten als heute?
Im Moment gibt es eher die Tendenz, das Wehrdienstgesetz abzuschaffen und die Charedim nicht zum Militärdienst einzuziehen. Die Kinder der Ultraorthodoxen, die zur Armee gehen, geraten zwischen Hammer und Amboss: Auf der einen Seite kritisiert die säkulare Gesellschaft die Charedim, auf der anderen Seite nennt die ultraorthodoxe Gesellschaft die Rekruten aus den eigenen Reihen »Verräter«. Was ich außerdem beobachte, ist, was wir auf Hebräisch »Hadata« nennen – die Gesellschaft wird religiöser, auch dadurch, dass Charedim zur Armee gehen. Es gab neulich einen Streit darüber, weil ein religiöser Kommandeur keine Frau als Sprecherin haben wollte. Und tatsächlich wurde ein Mann ernannt.
Sie schreiben Romane und Drehbücher, arbeiten als Psychologin und haben zwei kleine Kinder. Wie schaffen Sie das alles?
Ich schlafe nicht viel. Das habe ich den Kindern zu verdanken. Ich bin sowieso um fünf Uhr morgens wach. Also stehe ich auf, bringe die Kinder in den Kindergarten, kehre zurück, setze mich an den Tisch und schreibe.
Eine Frage der Disziplin.
Ja. Aber natürlich dauert es viel länger, wenn man kleine Kinder hat.
Wann haben Sie angefangen zu schreiben?
Als Kind.
Wollten Sie schon damals Schriftstellerin werden?
Ich habe mir selbst nicht erlaubt, davon zu träumen, eine Schriftstellerin zu sein. Das erschien mir zu groß und zu prestigeträchtig und beängstigend. Ich habe Film an der Sam Spiegel Film & Television School in Jerusalem studiert, gleichzeitig habe ich meinen M.A. in Psychologie gemacht. Mein Lehrer an der Sam-Spiegel-Schule war der Schriftsteller Eshkol Nevo, der gewissermaßen der Pate meines Schreibens wurde. Er hat mir gesagt: Du kannst ein Buch schreiben. Entweder wirst du Erfolg haben oder nicht. Oder du wirst dein ganzes Leben lang bereuen, dass du es nicht versucht hast.
Was war das Wichtigste, was er Ihnen beigebracht hat?
Keine Angst zu haben.
An sich selbst zu glauben …
Das klingt für mich zu sehr nach einer Werbeparole. »An sich selbst zu glauben« hört sich an, als ob Ihnen jemand Coca-Cola verkaufen will. Nein, es geht darum, keine Angst zu haben, auch wenn man nicht an sich selbst glaubt. Nicht daran zu glauben, Erfolg zu haben, ist kein Grund, nicht zu schreiben. Es geht vielmehr darum, nicht andauernd mit der Frage beschäftigt zu sein, ob man Erfolg haben wird oder nicht, sondern sich einfach dem Prozess des Schreibens hinzugeben.
Wie lange hat es gedauert, bis Sie Ihr erstes Buch geschrieben haben, »Eine Nacht, Markowitz«?
Drei Jahre.
Waren Sie überrascht, als Sie für das Buch mit dem renommierten Sapir-Preis für Literatur ausgezeichnet wurden?
Das war einer der glücklichsten Momente meines Lebens.
In dieser Zeit haben Sie schon als Psychologin gearbeitet?
Ja, in dieser Zeit habe ich meine Fachausbildung an der Universität Tel Aviv gemacht und mit Studenten gearbeitet.
Hat der Preis Ihre Arbeit als Therapeutin beeinflusst? Plötzlich konnten Ihre Patienten Sie in den Medien sehen.
Das kommt darauf an. Es gibt Menschen, die keine Bücher lesen ... Sie sehen überrascht aus!
Nein, ich habe an der Uni in Israel viele Studenten getroffen, die keine Bücher lesen.
Es gibt überhaupt viele Nichtleser. Wenn diese Menschen von einem Literaturpreis hören, ist es ihnen völlig egal. Es gibt natürlich auch Menschen, die das beschäftigt und für die es ein Problem darstellt. Andere wiederum freuen sich.
Arbeiten Sie immer noch mit Patienten?
Ja, auch in einer Klinik, und das nimmt zurzeit jede freie Minute in Anspruch. Ich habe auch ein neues Romanprojekt, aber ich nehme an, das wird noch etwa ein Jahr dauern.
Wie trennen Sie zwischen beiden Berufen – Schriftstellerin und Therapeutin?
Aus ethischen Gründen trenne ich das selbstverständlich strikt. Ich würde niemals die Geschichte eines Patienten oder einer Patientin nehmen und darüber schreiben. Aber manchmal denke ich beim Schreiben wie eine Psychologin, und in anderen Fällen merke ich, dass ich in der Klinik die Mittel des Schreibens einsetze.
Wie das?
Manchmal sitze ich als Therapeutin vor einem Menschen, und er erzählt mir eine Lebensgeschichte, die sich anhört wie die Chronik eines angekündigten Todes. Ich brauche die Werkzeuge des Schreibens, um mir eine andere Lebensrealität für diesen Menschen vorzustellen. Und dann frage ich ihn: Gibt es kein anderes Drehbuch? Ich versuche, ihm zu helfen, sich eine Alternative vorzustellen und seine Lebensgeschichte als etwas zu sehen, von dem er selbst entscheidet, wie er es erzählt. Beim Schreiben wiederum kommt es vor, dass ich Werkzeuge aus der Therapie zu Hilfe nehme, wenn ich merke, dass eine Gestalt zu oberflächlich gerät. Dann sage ich: Wenn diese Gestalt zu mir in die Klinik kommen und sich mir gegenüber hinsetzen würde, was würde ich mit ihr anfangen? Wie würde es mir gelingen, mit ihr in Verbindung zu kommen und Sympathie für sie zu empfinden?
Die Hauptfiguren Ihrer Romane »Eine Nacht, Markowitz« und »Lügnerin« sind sich ähnlich: Sie sehen nicht gut aus, sind unbeliebt und verhalten sich unethisch. Markowitz weigert sich, seiner Frau einen Get (Scheidebrief) auszustellen, und das Mädchen Nuphar bringt einen Mann fast ins Gefängnis. Ist das Zufall?
Beides sind wahre Geschichten, die scheinbar »von außen« an mich herangetragen wurden. Ich habe also nicht sie gewählt, sondern sie mich. Aber wir hören so viele Geschichten, und dass man ganz bestimmte auswählt und über sie schreibt, sagt etwas über den Autor. Sowohl Markowitz als auch Nuphar haben in gewisser Weise meine Seele berührt. Die Frage ist in beiden Fällen: Wie weit geht ein Mensch, um endlich gesehen zu werden?
Wie sind Sie auf die Geschichte von Nuphar gekommen – einer Eisverkäuferin, die nach einer Beleidigung durch einen Kunden behauptet, er habe sie sexuell belästigt, obwohl das nicht stimmt?
Von einer Freundin und Rechtsanwältin. Sie hat einen Asylbewerber aus Eritrea verteidigt, der fälschlicherweise wegen Vergewaltigung angeklagt wurde. Ich habe versucht, diesen Fall aus der Sicht einer Psychologin zu sehen, und mich gefragt: Wie unglücklich muss jemand sein, um so etwas zu tun?
Gab es Kritik an Ihrem Buch?
Die Kritiken in Israel waren sehr gemischt. Es ging auch darum, dass das Buch nicht gut zur #MeToo-Bewegung passe. Dass es unverantwortlich sei, ein Buch über eine Frau zu schreiben, die eine Vergewaltigung erfindet, ausgerechnet in Zeiten, in denen sich herausstellt, dass die meisten Vergewaltigungsfälle nicht erfunden sind.
Was ist Ihre Antwort?
Ich finde, es hat eine nicht-feministische Note, einer Frau zu sagen, es sei verboten, eine bestimmte Geschichte zu erzählen, weil jemand diese Geschichte missbrauchen könnte. Dass etwa Vladimir Nabokov in »Lolita« über Pädophile schreibt, bedeutet doch nicht, dass alle Männer pädophil sind. Ich finde, dass man Schriftsteller nicht zur Selbstzensur auffordern sollte. Der Leser ist selbst verantwortlich dafür, wie er eine Geschichte liest.
Sie haben einmal von einer Lüge berichtet, die Sie selbst als Kind erzählt haben ...
Ich bin in einem Viertel aufgewachsen, in dem die Großeltern vieler Kinder Schoa-Überlebende waren. Diese Kinder haben ihre Großeltern oft in die Schule mitgebracht. Die haben dort ihre Geschichte erzählt – und das Kind stand im Zentrum der Aufmerksamkeit. Ich, die als Kind gar nicht im Mittelpunkt stand, habe dann eine Geschichte erzählt, die nicht stimmte. Ich habe meine Großmutter nicht nur zu einer Schoa-Überlebenden gemacht, sondern auch zu einer Partisanin, die zehn deutsche Nazi-Soldaten eigenhändig getötet hat. Diese Hofpause war echt toll. Endlich haben alle mir zugehört. Und dieser Moment war meine Geburt als Geschichtenerzählerin. Aber dann sagten die Kinder: Okay, laden wir deine Großmutter in die Schule ein. Sie soll uns ihre Geschichte erzählen! Ich bin also zu meiner Großmutter gegangen, die eine wunderbare Frau war, und habe sie gebeten, den Kindern meine Geschichte zu bestätigen. Aus der Familie meiner Großmutter, die aus Österreich kam, sind viele Menschen in der Schoa ermordet worden, aber meine Großmutter konnte rechtzeitig fliehen. Und als ich ihr erzählte, was ich getan hatte, bekam ich eine Ohrfeige – das erste und einzige Mal in meinem Leben.
Wie ging es dann in der Schule weiter?
Es kam nicht zum Eklat. Aber ich glaube, dass die Kinder irgendwie wussten, dass ich sehr leicht Fantasiegeschichten erzähle, wenn man mich dazu reizt.
Sie sagen, dass Sie als Kind nicht sehr viel Aufmerksamkeit bekamen. Ist Ihr heutiges Leben ein Gegensatz dazu?
Ich weiß es nicht. Aber die Notwendigkeit, eine andere Welt zu erfinden, hätte wohl nicht bestanden, wenn mir die Welt, die ich hatte, ausgereicht hätte. Geschichten schreibt man, wenn einem etwas fehlt.
Das Bild, das Sie in »Lügnerin« von den israelischen Medien zeichnen, ist nicht sehr schmeichelhaft.
Als ich bei »Yedioth Ahronoth« als Nachrichtenredakteurin gearbeitet habe, habe ich gemerkt, wie gefährlich der Gebrauch von Wörtern durch Menschen sein kann, und wie leicht es ist, eine Realität zu erschaffen, die nicht real ist: Fake News.
Empfinden Sie Israelis in ihrer Wortwahl manchmal verletzender als andere?
Die israelische Mentalität ist sehr direkt. Manchmal ist das beleidigend, manchmal ist es wunderbar. Ich habe jetzt eine Zeit lang in den USA gelebt. Wenn ich zwischen der amerikanischen Höflichkeit und der israelischen Schroffheit wählen müsste, dann fühle ich mich Israel näher.
Sind Sie froh, wieder in Israel zu sein?
Ich habe mich nach dem Geruch des Landes gesehnt, nach seinen Menschen und dem Essen. Aber es war eine Erholung, ein paar Monate nicht hier zu sein, weit weg von Politik, Skandalen und Nationalismus.
Aber in den USA ist es doch nicht besser.
Ja, jetzt ist es das erste Mal, dass ich mich Amerikanern gegenübersehe und denke: Im Wettbewerb um die schlimmste Regierung sind wir nicht auf Platz eins. Aber das tröstet mich nicht wirklich.
Sie haben keinen Fernseher. Haben Sie oft – wie viele Israelis – das Bedürfnis, die politische Realität auszublenden?
Nein, ich fühle mich der politischen Realität sehr verbunden. Natürlich haben der Mittelstand oder die Aschkenasim das Privileg, sich aus Gesprächen über Politik zurückzuziehen. Aber ich finde es wichtig, zu Demonstrationen zu gehen und mich politisch zu engagieren. Gerade weil ich Kinder habe. Meine Tochter ist viereinhalb, mein Sohn ein Jahr und acht Monate alt. Wenn sie 18 sind, werden sie zur Armee gehen. Und ich möchte nicht, dass meine Kinder getötet werden oder selbst jemanden töten.
Mit der Schriftstellerin sprach Ayala Goldmann.