Das Cover für den »New Yorker« vom 29. März 1976 ist sicherlich das berühmteste Bild von Saul Steinberg (1914–1999): Der Blick des Zeichners geht von Manhattan aus über die 9. und 10. Avenue und den Hudson River nach New Jersey, wandert über die USA hinweg, trifft auf den Pazifischen Ozean und am Horizont auf drei winzige Inseln, China, Japan und Russland. Eine unorthodoxe Landkarte.
Am 15. Juni jährt sich der Geburtstag des rumänisch-amerikanischen Zeichners und Karikaturisten zum 100. Mal, er starb 1999.
Steinbergs Blick auf New York, in der die übrige Welt nur Nebensache ist, wurde immens populär. Das Motiv ist tausendfach auf Postern und Postkarten zu finden und wurde zum Ärger Steinbergs immer wieder nachgeahmt und variiert. Die Übertragung des Motivs auf andere Städte sollte diesen eine ähnliche Bedeutung zusprechen wie der US-Metropole. Diese Imitationen aber seien falsch, schrieb der Kritiker Arthur C. Danto. Denn nur wer in New York lebe, habe »die Gewissheit, im Zentrum der Welt zu wohnen«.
Erdball Steinberg allerdings hat zehn Jahre später selbst eine Variante zu seinem berühmten Bild gezeichnet: Nun wandert der Blick um den ganzen Erdball, bleibt scheinbar willkürlich da und dort hängen, nicht nur an Kontinenten und Staaten, sondern auch an Städten und sogar an Straßen. Es ist ein typisches Beispiel für Steinbergs Bildaufbau, der oft einem Irrgarten gleicht.
In dieser Landkarte aber ist eine gezeichnete Autobiografie versteckt. Deutlich hervorgehoben: Bukarest, wo Steinberg aufwuchs und mit dem Studium begann, und Mailand, wo er in den 30er Jahren Architektur studierte, erste Berufserfahrungen als Zeichner sammelte und schließlich als Jude Berufsverbot bekam.
Auch China, Indien und Nordafrika, wohin es ihn im Zweiten Weltkrieg verschlug, haben Platz gefunden. Bei Brüssel ist das Jahr 1958 vermerkt, dort war er an der Weltausstellung beteiligt. Steinberg schuf die Wandarbeit »The Americans«, eine mehr als 70 Meter lange Collage, die im vergangenen Jahr noch einmal komplett im Museum Ludwig in Köln zu sehen war.
Rumänien Geboren wurde Saul Steinberg am 15. Juni 1914 in der kleinen rumänischen Stadt Ramnicu Sarat, er starb am 12. Mai 1999 in New York. In die USA kam er zum ersten Mal 1942 mit einem Pass, dessen Stempel er selbst gefälscht hatte. Nach den chaotischen Kriegsjahren normalisierte sich sein Leben. 1943 heiratete er die Malerin Hedda Sterne. Die Ehe ging in den 70er Jahren auseinander, wurde aber nie geschieden.
Knapp 60 Jahre hat Steinberg für das Magazin »The New Yorker« gearbeitet, fast 90 Titel und 1.200 Zeichnungen sind in dieser Zeit entstanden. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher, die auch in der Bundesrepublik bei Rowohlt herauskamen und jetzt vergriffen sind.
Sein spätes Hauptwerk »Die Entdeckung Amerikas« erschien 1992 bei Diogenes. Auch Ausstellungen machten ihn populär. »Seine Kunst mischt sich unter das Volk«, schrieb schon 1961 der Österreicher Paul Flora, selbst ein begnadeter Zeichner.
Surrealismus Steinberg schaffte den Spagat zwischen der Gebrauchskunst Karikatur und einer Zeichenkunst in der Tradition des Kubismus und Surrealismus. Er gehörte keiner künstlerischen Richtung an, war ein Einzelgänger. Typisch sind die Kritzeleien auf vielen seiner Bilder, aber auch die eckigen Bewegungen seiner klobigen Figuren, der Menschen und auch der Hunde.
Er war durchaus fasziniert vom American Way of Life, schüttelte aber immer wieder den Kopf über das Land, konnte sarkastisch sein. Die Vereinigten Staaten gehen bei Steinberg an ihrem Reichtum, ihrer Überfülle zugrunde. Er zeichnet Autos, wohin man schaut. Und immer wieder Banken und Postämter, die Festungen gleichen – der Künstler vereinigte Architektur- mit Gesellschaftskritik.
Selbst die US-Idole können in Steinbergs Zeichnungen nicht mehr helfen: Abraham Lincoln und George Washington sind nur noch schäbige Statuen, Mickey Mouse und Minnie Mouse sind Terroristen geworden.