Das noch recht frische jüdische Jahr 5780 kann gleich mit einem ziemlichen Novum aufwarten: Hetty Berg ist nicht zu sprechen! So kennt man die 58-Jährige nun wirklich nicht: Wann immer man in den vergangenen Jahren im Joods Historisch Museum in Amsterdam etwas über eine der Ausstellungen wissen oder einfach nur ein paar Sätze plaudern wollte mit einem Kaffee in der Hand, war die Kuratorin des Museums die Zugänglichkeit in Person.
Zwar ist ihr dieser Wesenszug nicht auf einmal abhandengekommen. Doch nachdem letzte Woche bekannt wurde, dass sie ihren angestammten Platz verlässt, um ab April 2020 das Jüdische Museum Berlin (JMB) zu leiten, will sie vorläufig kein Interview geben.
Die 58-Jährige wird als kompetent, gut vernetzt, humorvoll und frei von Allüren beschrieben.
Wohl lässt Hetty Berg in einer kurzen Stellungnahme wissen, sich »enorm zu freuen auf die Zusammenarbeit mit dem hoch qualifizierten und sehr motivierten Team« und ihre Berufung als »große Ehre« zu empfinden, wofür sie dem JMB-Stiftungsrat danke. Sie nennt auch die neue Dauerausstellung und das Kindermuseum, das kurz nach ihrem Antritt eröffnen wird.
Unwillkürlich kommt einem da der Gedanke: Wie passend! Denn in Amsterdam gibt es ein solches schon seit Jahren. Und auch an innovativen Museumskonzepten war Hetty Berg bereits in leitender Funktion beteiligt.
offenheit Was zeichnet diese Frau aus, die 1961 in Den Haag geboren wurde, Theaterwissenschaft und Management studierte und seit 1989 am Joods Historisch Museum (JHM) ist? Fast konnte man denken, sie sei so etwas wie Kuratorin auf Lebenszeit, so beständig war ihre Anwesenheit dort. Zugleich blieb Hetty Berg, auch wenn ihr Haar mit den Jahren kürzer und silberner wurde, immer die gleiche beschwingte Erscheinung: humorvoll, aufgeschlossen, interessiert, frei von Allüren und mit einer irgendwie jugendlich wirkenden Stimme.
Man kann sich davon leicht selbst ein Bild machen: Auf Videos, die im Internet kursieren, sieht man die Kulturhistorikerin über die Schauspielerin Sarah Bernhardt erzählen, der das JHM einst eine Sonderausstellung widmete, oder über die Comics, die unter dem Titel Superhelden und Schlemiele dem Publikum präsentiert wurden.
Mit detaillierter Sachkenntnis und Begeisterung eruiert Hetty Berg Supermans jüdische Werte als Vorkämpfer einer besseren Welt, schwärmt von den Werken Joe Kuberts oder Will Eisners und wie sie deren Vita widerspiegeln. Nicht zuletzt zeichnet sich ihre Arbeit durch einen breiten Ansatz aus. Würde es das Wort »multidisziplinär« nicht geben, man müsste es erfinden für diese Kuratorin: Fotografie und Malerei, Film und Theater, Geschichte, Politik – all diese Bereiche waren unter ihrer Ägide im »Joods Historisch« vertreten.
portfolio Natürlich spielt jemand mit einem solchen Portfolio auch eine tragende Rolle beim letzten wegweisenden Großprojekt im Umfeld des Museums: dem »Joods Cultureel Kwartier« (JCK), das 2012 in einem Teil des einstigen jüdischen Viertels lanciert wurde. »Vier Orte mit demselben Ticket«, so hat Hetty Berg das Konzept einmal beschrieben, und man hörte an der Formulierung, dass sie dort auch eine Management-Funktion hat.
Es umfasst das Museum, die gegenüber gelegene portugiesische Synagoge, die Gedenkstätte »Hollandsche Schouwburg«, von wo aus Juden in KZs deportiert wurden, und das im Aufbau befindliche Nationaal Holocaust Museum. Die Stärke dieses innovativen räumlichen Konzepts, so formulierte es Berg, liege darin, dass die Gebäude selbst Teil der zu erzählenden Geschichte sind. Zu ergänzen ist, dass sie durch die regelmäßig genutzte sefardische Synagoge auch mit dem aktuellen jüdischen Leben Amsterdams verbunden sind.
Solcherlei Erfahrungen sind fraglos ein imposantes Bewerbungsschreiben für die Leitung des JBM. Ganz abgesehen davon, dass »Hetty«, wie sie hier weithin genannt wird, bei Mitarbeitern und Weggefährten hohe Wertschätzung genießt. Moncef Beekhof, ehemaliger Marketing-Manager des JCK, nennt sie »eine der professionellsten Museumskollegen, die ich je erlebt habe«. Was sie auszeichnet? »Sie ist sehr engagiert und hat enormes Fachwissen. Das hat uns geholfen, viele Ausstellungen zu bekommen. Nicht zuletzt durch sie haben wir als Museum international eine Rolle gespielt.«
Berg soll das Museum nach der glücklosen Ära von Peter Schäfer wieder in ruhige Bahnen lenken.
Der Filmemacher Ruben Gischler arbeitete 2018 mit Hetty Berg zusammen. Es ging um die Ausstellung Exodus, die zum 70. Geburtstag Israels im Nationaal Holocaust Museum lief. »Es ist sehr angenehm, mit ihr zu arbeiten«, erinnert er sich. »Sie ist entspannt und schafft eine stimulierende Atmosphäre für ihre Mitarbeiter. Sie ist offen und ehrlich, ohne verborgene Absichten hinter dem, was sie sagt. Und ihr liegt nichts daran, über die Hierarchie ihre Macht auszuspielen.«
bds Daneben bringt die neue Direktorin noch andere Eigenschaften mit, die sich gerade nach der glücklosen Ägide des bisherigen Museumschefs Peter Schäfer im zuletzt so unruhigen Umfeld des JMB mit BDS- und Mullah-Skandalen gut machen dürften. Berg entspricht dem oft gehörten Wunsch, ein jüdisches Museum brauche eine jüdische Leitung.
Und nicht nur das: Emile Schrijver, Direktor des Joods Historisch Museum, bezeugt: »Neben ihrer enormen Ausstellungserfahrung ist ihr auch an deren jüdischen Inhalten gelegen, was ja in Berlin öfters eines der Probleme war. Sie braucht die politische Bühne nicht, um zu glänzen, und sie neigt nicht zur Provokation. Zudem hat sie ein sehr umfangreiches jüdisches Wissen und ein gesundes Verhältnis zu Israel, mit einer Normalität in den kulturellen Beziehungen, was sehr wichtig ist.«
Dass ihr Abgang in Amsterdam auch mit einem weinenden Auge gesehen wird, zeigt ein anderer Kommentar Schrijvers: »Es gibt zwei Menschen in unserem Team, die ich das Gewissen des Museums nenne. Hetty Berg ist einer davon.«