Die Berliner Ausstellung Gesichter der Renaissance hat gerade ihre Tore geöffnet. Im Bode-Museum präsentiert sich in wertvollen Porträts eine illustre Gesellschaft voller Stolz und Selbstgewissheit. Die meisten der Dargestellten haben vor rund 500 Jahren zur Oberschicht in Mittelitalien gehört, viele davon sind Florentiner.
juwelierin Waren eigentlich auch Juden Teil dieser gesellschaftlichen Gruppe? In der Ausstellung wird man keinen finden. Dabei gibt es durchaus jüdische Porträts aus der italienischen Renaissance. Denn Juden waren zu dieser Zeit nicht generell unterprivilegiert. Während in Rom die jüdische Gemeinde vom Papst Jahr für Jahr gedemütigt wurde, hatten in oberitalienischen Städten wie Ferrara, Mantua und Venedig manche Juden lange Zeit einen angesehenen Stand. Ihre Spitzen verkehrten bei Hofe.
Dieser war in seiner Finanzwirtschaft auf Rat und Hilfe jüdischer Bankiers angewiesen. Auch jüdische Ärzte und Handwerker genossen hohes Ansehen. Ein Porträt von Bartolomeo Veneto etwa zeigt eine Juwelierin mit ihrem Werkzeug; es ist die Braut eines jüdischen Künstlers. Beide arbeiteten kunsthandwerklich für den Herzogshof in Ferrara und andere Herrscherhäuser. Selbst Kaiser Karl V. besaß ein Prunkschwert aus der Werkstatt des Ercole de Fideli (1465-1518/19). Von dessen Gattin Eleonora de Fideli bezog Isabella d’Este, die Frau des Markgrafen Francesco II., einen Teil ihres Schmucks.
impresario Das elegante Bild, das heute in einer Privatsammlung in Mailand hängt, ist das erste jüdische Porträt der italienischen Renaissance, aber beileibe nicht das einzige. Dem israelischen Historiker Shlomo Simonsohn vom Diaspora Research Institute der Universität Tel Aviv verdanken wir die Sichtung des umfangreichen, erhalten gebliebenen Aktenmaterials in Mantua. Dabei berichtet er von einem Impresario namens Abraham Farissol, von dem man nur das Todesjahr 1526 kennt. Farissol gehörte zu den »Provenzali«, das heißt, er war aus der französischen Provence nach Italien eingewandert.
Seinen Lebensunterhalt verdiente er mit dem Kopieren wissenschaftlicher Bücher. Auch veröffentlichte er eigene Werke zur Theologie und Geografie. Es ist anzunehmen, dass Farissol auch Vorleser oder Kantor der jüdischen Gemeinde in Mantua war, denn das zierliche Gerät, das er auf dem eleganten Porträt im Museo Thyssen-Bornemisza Madrid in der Hand hält und das von manchen Kunsthistorikern für einen Zahnstocher gehalten wird, ist allem Anschein nach ein Torazeiger. Mit diesem fuhr man beim Lesen die Buchstabenreihe entlang, um nicht mit dem Finger die Heilige Schrift zu entweihen.
bankier Porträts von Juden entstanden jedoch auch aus wenig erfreulichen Anlässen. Dana Katz berichtet in The Jew in the Art of the Italian Renaissance (Philadelphia 2008) von einer Aufwiegelung der Unterschicht Mantuas 1496 durch einen Franziskanerpater während der Abwesenheit von Herzog Francesco II. Der Mob zwang den jüdischen Bankier Norsa, sein Haus abzutreten, damit darin als »Sühne« für angebliche jüdische Gotteslästerung eine Kirche eingerichtet werden konnte. Das für diese Kirche gemalte Altarbild zeigt an der Basis vier Brustbilder der Norsa-Familie – eine bewusste Demütigung.
Doch die Norsas konnten sich von der Attacke erholen. Moses, der Sohn des angegriffenen Bankiers, erhielt 1513 sogar die Erlaubnis Francescos II., in seinem Haus eine Synagoge einzurichten. Selbstbewusstsein strahlt er auf einem Porträt aus, das heute im Kunstmuseum Budapest hängt.
Der Name des Porträtierten ist dort nicht genannt, ebenso wenig wie bei den beiden anderen genannten Porträts. Doch dass es sich um Moses Norsa handelt, verrät eine Medaille an seinem flott aufgesetzten Barett. Sie zeigt den biblischen Mose mit den Gesetzestafeln. Manche Kunsthistoriker hat das mutmaßen lassen, es handle sich bei dem Dargestellten um einen (christlichen) Juristen. Doch warum sollte in Italien, einem Land mit katholischem Kirchenrecht, Moses eine fachliche Rolle spielen?
Die jüdischen Spuren in der Kunstgeschichte der Renaissance waren lange verschüttet. Erst langsam werden sie wieder entdeckt. Vielleicht wird bei einer künftigen Porträtausstellung auch das Bild eines Juden oder einer Jüdin mit dabei sein, so wie Juden auch Teil der Gesellschaft jener Epoche waren.
Christoph Wilhelmi ist der Autor des Buchs »Porträts der Renaissance. Hintergründe und Schicksale«, Reimer Verlag, Berlin 2011, 192 S., 83 Abb., 19,95 €