Im Foyer des Mannheimer Technoseums, dem Landesmuseum für Technik und Arbeit, knackt und knistert es: Etwa 60 zumeist ältere Männer und Frauen an Stehtischen knabbern Mazzen. Dazu gibt es koscheren Wein, einen Elsässer Riesling, versehen mit dem Zertifikat des Straßburger Rabbinats. Eben hat die Kunsthistorikerin Esther Graf von der örtlichen Agentur Altenburg & Graf einen Vortrag über jüdische Speisevorschriften gehalten. Hat die Unterscheidung in fleischige und milchige Lebensmittel erklärt. Und dass das Geschirr entsprechend getrennt wird, dass nur Säugetiere verzehrt werden, die Wiederkäuer sind und gespaltene Hufen haben, und dass auch nicht alle Teile von Rind, Kalb, Schaf oder Ziege erlaubt sind.
fragestunde »Des sinn jo eschreckend viele Tiere, die ma als Jude nit essen darf«, kommentiert ein Besucher. »Ich finde das nicht erschreckend«, sagt Esther Graf. »Wir haben immer genug zu essen.« Beim Mazzen-Knabbern ist Zeit für Fragen. »Warum«, will eine Frau wissen, »werden nur bestimmte Teile des Fleisches gegessen? Ist der Rest nicht gut genug?« Graf: »Nein, aber so steht es in der Tora. Es dient der Mäßigung und der rituellen Reinheit.« »Und wenn nur Juden da sind, was machen sie dann mit dem restlichen Fleisch?« Graf: »Wo gibt es nur Juden? Überall leben auch Andersgläubige oder Nichtgläubige, an die das Fleisch verkauft werden kann.« »Was passiert, wenn man sich nicht an die Vorschriften hält?«, fragt ein Mann. Graf: »Nichts. Nur das eigene Gewissen zählt.
Wir hatten ja die Aufklärung. Jeder ist sich selbst verantwortlich.« »Braucht man in der koscheren Küche zwei Geschirrspüler?«, meldet sich ein junges Mädchen zu Wort. Das ist eigentlich die cleverste Frage, denn sie hat das Prinzip der Kaschrut verstanden. Graf: »Streng genommen ja.« Aber natürlich sieht der Alltag anders aus. Auch Esther Graf befolgt als Jüdin nicht alle Regeln. Sie bezeichnet sich als »bedingt praktizierend«, lebt die Traditionen, die ihr wichtig sind: den Schabbat halten und die Feiertage. Und in ihrer Küche trennt sie eben auch Fleischiges von Milchigem.
Im Rahmen des Interreligiösen Trialogs steht Esther Graf häufig Rede und Antwort zusammen mit christlichen und muslimischen Referenten. Manche Leute wundern sich darüber, dass Vertreter der drei Religionen überhaupt gemeinsam auftreten. Es ist nicht immer leicht, die Religion des anderen zu verstehen. Welten liegen dazwischen. »Wir bieten eine Angriffsfläche. Die Leute sollen uns Löcher in den Bauch fragen und keine Bilder aufbauen.« Klischees sind immer noch und immer wieder da, weiß Esther Graf. Reaktionen wie: »Sie sind jüdisch? Ach, Sie sehen gar nicht so aus!« Oder: »Aber Sie sind ja noch so jung!«
alltag Seit 2008 betreiben Esther Graf und Manja Altenburg, beide Absolventinnen der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, ihre »Agentur für Jüdische Kulturvermittlung«. Davor hatten beide lange Jahre als Museumskuratorinnen gearbeitet. Das war ihnen irgendwann zu begrenzt: »Ein Museum kann nicht alles abdecken. Wir wollen die Vielfalt und den Reichtum des Judentums erlebbar machen. Vieles ist durch die Schoa in Vergessenheit geraten, sie ist zwar integrativer Bestandteil unserer Geschichte, aber wir definieren uns nicht darüber.
Das Judentum definiert sich über das Leben«, sagt Esther Graf. Es geht den beiden Frauen um Alltagskultur, den »jüdischen Way of life«: Feiertage, jüdischer Lebenszyklus, Kleidung, Musik, Tanz und hebräische Literatur. Aber auch weniger bekannte Geschichten über jüdische Piraten, jüdische Mafiabosse oder jüdische Fußballfunktionäre, Vorträge über den jüdischen Humor oder das sogenannte Bilderverbot. Bewusst bieten sie keine politischen Themen an, das überlassen sie anderen. Stattdessen vermittelt die Agentur ganz Praktisches: koscheres Catering, Hebräisch für Geschäftskontakte, israelische Filme, jüdische Musikgruppen.
normalisierung Manja Altenburg gehört zur zweiten deutsch-jüdischen Generation nach der Schoa. »Mit 16 war ich zionistisch ohne Ende und trug den Davidstern an einer Halskette. Meine Großmutter, die einzige Überlebende unserer Familie in Deutschland, ist schier wahnsinnig geworden. ›Tu das nicht‹, hat sie gesagt, ›du wirst vermöbelt.‹ Und heute gehen junge Juden im Deutschlandtrikot samt Fahne zur Fußball-EM. Da hat ein echter Wandel stattgefunden.« Das Gefühl, auf gepackten Koffern zu sitzen, ist nicht mehr da, sagt sie. »Mit der historischen Distanz sind wir gelassener geworden.«
Auch Esther Graf, die ursprünglich aus Wien stammt, erlebt das so. Sie hat einen großen nichtjüdischen Bekanntenkreis, wird zu Konfirmationen und Firmungen eingeladen. Und ebenso sind ihre nicht-jüdischen Freunde bei ihr und anderen Juden zu Gast, bei Hochzeiten, bei Barmizwa oder Batmizwa. »Ich genieße das sehr«, sagt Graf. »Wir können hundert Vorträge halten und an interreligiösen Diskussionen teilnehmen, aber bewähren muss es sich im Alltag!«
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