Das Parlament in Athen hält an seiner Forderung fest, dass Deutschland an Griechenland Reparationszahlungen für die Kriegsschäden und -verbrechen im Zweiten Weltkrieg zu leisten hat. Die deutsche Bundesregierung steht hingegen auf dem Standpunkt, dass alle rechtmäßigen Forderungen abgegolten, darüber hinausgehende Ansprüche verjährt sind und das Thema damit juristisch abgeschlossen ist.
Auch wenn sich die Streitfrage auf juristischem Wege wohl tatsächlich nicht mehr klären lässt, lohnt ein Blick darauf, wie die Bundesrepublik seit den 50er-Jahren mit den Verbrechen von Wehrmacht und SS in Griechenland umgegangen ist.
Armee Nach einem ersten – von der griechischen Armee zurückgeschlagenen – Versuch des faschistischen Italien im April 1939, Griechenland zu besetzen, marschierte die deutsche Wehrmacht am 6. April von Bulgarien aus in Griechenland ein, übergab einen Teil des Landes den bulgarischen und einen Teil den italienischen faschistischen Bundesgenossen und installierte in einem dritten Teil das deutsche Besatzungsregime.
Griechenland kapitulierte am 20. April 1941, deutsche Truppen marschierten am 27. April 1941 in Athen ein und besetzten am 20. Mai Kreta. Parallel zu einer Missernte 1941 begann ein gigantischer Raubzug der Nazis sowohl von Rohstoffen als auch von Lebensmitteln, aber auch mithilfe des Instruments der Zwangsanleihe wurden Milliarden als sogenannte Besatzungskosten und angebliche Darlehen geraubt.
Deutschland bemühte sich, Kriegsverbrecher zurückzuholen.
So kam es im Winter 1941/42 zu einer Hungersnot, durch die geschätzt 250.000 Menschen umkamen. Im Januar 1942 gab es täglich 1000 Tote allein in Athen. Deutsche Firmen wie Krupp und Rheinstahl, aber auch das Tabakunternehmen Reemtsma setzten sich zwecks Ausbeutung der griechischen Wirtschaft und von Teilen der griechischen Bevölkerung nun in Griechenland fest. Eine griechische Kollaborationsregierung wurde installiert. Angeworbene oder zwangsverpflichtete Arbeiter wurden nach Deutschland gebracht.
WIDERSTAND Die griechische Widerstandsbewegung wurde mit massivem Terror und Geiselerschießungen bekämpft. Dieser Terror ist in Griechenland vor allem mit dem Dorf Distomo verbunden, in dem 218 Bewohner ermordet, die Frauen vor der Ermordung von der deutschen Soldateska vergewaltigt und alle Häuser niedergebrannt wurden. Insgesamt wurden bis zu 1500 Dörfer ganz oder zum Teil niedergebrannt und zerstört. Zudem gab es in allen besetzten Ländern Konzentrationslager. 14.000 Griechen wurden in KZs außerhalb Griechenlands festgehalten.
Das bekannteste KZ in Griechenland ist Chaidari, in dem Partisanen, Widerstandskämpfer und 1700 Juden inhaftiert waren. Von dort wurden Teile der jüdischen Bevölkerung Griechenlands nach Auschwitz deportiert. Auch hier kam es zu Geiselerschießungen: Für einen verwundeten deutschen Soldaten wurden in diesem KZ 50 Personen ermordet, für einen getöteten deutschen Soldaten wurden 100 Menschen ermordet. Die Schätzungen gehen von 30.000 von den Nazis hingerichteten Geiseln aus.
Gestützt auch auf griechische faschistische Kräfte und Kollaborateure wurde auf Druck der deutschen Behörden in der bulgarisch besetzten Zone die große Mehrheit der jüdischen Bevölkerung nach Treblinka zur Ermordung deportiert. Mit Thessaloniki als Mittelpunkt wurden die anderen Teile der jüdischen Bevölkerung in Griechenland erfasst. Von den 70.000 bis 80.000 griechischen Juden wurden 80 Prozent ermordet. Vorangegangen war die systematische Erfassung der jüdischen Bevölkerung. Es kam zur Sammlung der jüdischen Bevölkerung im Ghetto von Thessaloniki, von wo aus Eisenbahnschienen direkt nach Auschwitz führten.
Nach der Kapitulation Italiens übernahmen Wehrmacht und SS auch den zuvor italienisch besetzten Streifen Griechenlands. Der Massenmörder des Warschauer Ghettos, Jürgen Stroop, organisierte nun auch hier die Deportation. Die Partisanen halfen der jüdischen Bevölkerung, in die Berge zu entkommen; auch der Rabbiner von Athen wurde so gerettet. Das gelang jedoch nur einem kleinen Teil der jüdischen Bevölkerung. Auch der orthodoxe griechische Bischof bemühte sich zu helfen und erlaubte, Taufscheine und Ehebescheinigungen auszustellen.
KOLLABORATION Für das Verständnis der weiteren Entwicklung in Griechenland ist es wesentlich zu wissen, dass es eine Kollaborationsregierung mit all ihren Unterabteilungen und der staatlichen Verwaltung gab. Im Kampf gegen die kommunistisch orientierte Partisanenbewegung nach Abzug der Wehrmacht gab es noch einmal circa 150.000 Tote, und 100.000 Griechen flohen ins Exil. Im Kampf gegen die linken Partisanen kam es rasch zu einer Zusammenarbeit im neu gebildeten griechisch-monarchischen Staatsapparat mit den Kollaborateuren der Nazis. 12.000 Griechen, die sich als SS-Söldner oder Hilfstruppen der Nazis konstituiert hatten, gingen nun gemeinsam mit den Regierungstruppen gegen die Partisanenbewegung vor. Ende 1945 waren 50.000 Personen des linken Widerstands in Haft.
Der Bund unterstützte Initiativen, einzelnen Opfern zu helfen.
Aus den KZs kehrten einige Tausend jüdische Überlebende nach Griechenland zurück, ihre Wohnungen waren längst vermietet, und es kam zu Konflikten, wie man sie 1946 auch aus Polen kannte. Der Überlebende Frederic Kakis berichtete, dass er so empfangen wurde: »Schade, dass man nicht auch dich zu Seife gemacht hat.« Die Hälfte der überlebenden 10.000 griechischen Juden verließ schließlich Griechenland in Richtung USA, Israel und einige andere Länder. Viele verzichteten dabei angesichts der unglaublichen Zustände auf ihre eigentlich vorhandenen Vermögensansprüche infolge der umfassenden »Arisierung«.
PROZESSE Weil die Alliierten beschlossen hatten, dass die Nazi-Verbrecher an jene Länder ausgeliefert werden, in denen sie ihre hauptsächlichen Verbrechen begangen hatten, kam es zu einer Reihe von Prozessen. Nicht nur in Griechenland, auch in Polen, Jugoslawien und anderen Ländern Osteuropas wurden führende Nazimilitärs hingerichtet. So auch der in Griechenland an Verbrechen beteiligte Massenmörder Stroop in Polen. Auch in Griechenland kam es bis 1946 zur Verurteilung und Hinrichtung einiger führender Nazi-Verbrecher. Doch 1951 waren hier nur noch drei Nazi-Verbrecher in Haft, die dann auch rasch freigelassen wurden. Wie kam es dazu?
Eine ausgezeichnete Studie von Katerina Králová mit dem Titel Das Vermächtnis der Besatzung – Deutsch-griechische Beziehungen seit 1940 (Köln 2016) berichtet ausführlich, wie sich die Bundesregierung intensiv darum bemühte, den inhaftierten Wehrmachtsgeneral Alexander Andrae und den Obersturmführer der Waffen-SS, Heinz Zabel, freizubekommen. In den Akten des Auswärtigen Amtes ist die Rede davon, dass sich um »eine generelle, schnelle und möglichst geräuschlose Bereinigung der sogenannten Kriegsverbrecherfrage« bemüht würde.
Überlebende des Massakers von Distomo kämpften dennoch weiter.
Bemüht wurde von der Bundesregierung der Hinweis auf die »deutsch-griechischen Beziehungen«, um die Freilassung zu erreichen. Andrae wurde 1951 begnadigt und kam 1952 unbehelligt nach Deutschland. Was Zabel angeht, wurde die Auslieferung beantragt, und um den Eindruck zu erwecken, er würde in Deutschland abgeurteilt, leitete die Staatsanwaltschaft Konstanz formal sogar ein Ermittlungsverfahren ein.
Meinungsfreiheit Die griechische Regierung war Anfang der 50er-Jahre durchaus an guten Beziehungen mit Deutschland interessiert, hatte aber ein Problem mit der öffentlichen Meinung in Griechenland. Dennoch wurde Zabel 1952 an Deutschland ausgeliefert, und gleichzeitig wurden die griechischen Ermittlungen gegen 470 Beschuldigte eingestellt, da die Akten komplett an Deutschland übergeben wurden.
Der bekannteste Fall, wie ein bedeutender Kriegsverbrecher wieder auf freien Fuß gelangte, war der Fall des »griechischen Eichmann«, Max Merten, der vor allem in Thessaloniki für »Arisierung«, judenfeindliche Hetze und schließlich die Deportation der jüdischen Bevölkerung mit zuständig war. Mertens war in Griechenland inhaftiert und zu 25 Jahren Haft verurteilt worden; aber er wurde 1959 an Deutschland ausgeliefert und von den deutschen Behörden lediglich elf Tage in Untersuchungshaft genommen. Er fungierte dann als in Deutschland vernommener Entlastungszeuge im Eichmann-Prozess. Merten arbeitete bis 1971 unbehelligt als Rechtsanwalt in der Bundesrepublik. Er erhielt von den deutschen Behörden auch eine sogenannte Heimkehrerentschädigung – die Höhe ist nicht bekannt.
1943 und 1944 wurden nicht nur sämtliche Verbrechen der Nazis systematisch in Kommissionen der Alliierten erforscht und zusammengestellt, es wurden auch die materiellen Schäden gesondert aufgeführt. Die Zahlen für Griechenland beinhalten nicht nur 558.000 Tote, sondern auch 880.000 Invaliden. Direkt geraubt wurden allein 37.000 Kilogramm Münzgeld, davon die Hälfte in Silber. Der Gesamtschaden wurde auf ungefähr zwölf Milliarden Dollar (1938) beziffert.
ZAHLUNGEN Zur ganzen Geschichte gehört auch, dass der deutsche Botschafter in Griechenland, Karl Hermann Knoke, in den 50er-Jahren ausdrücklich die in Griechenland entstehenden Initiativen für Entschädigung insbesondere auch der Holocaust-Überlebenden und der Überlebenden der Massaker unterstützte. Der Frankfurter Anwalt Henry Ormond vertrat die jüdischen Überlebenden von Thessaloniki, aber alle Anträge und Verfahren wurden abgelehnt. Es wurde auf das Londoner Schuldenabkommen von 1954 verwiesen, in dem es hieß, dass endgültige Regelungen erst nach Abschluss eines Friedensvertrages erfolgen könnten.
Auch der Weg, in Italien zu klagen – dort bekamen die Überlebenden Recht –, wurde von der deutschen Regierung durchkreuzt.
Allerdings kam es zu privaten karitativen Initiativen, die zum Teil auch mit Geldern des Bundes unterstützt wurden. Es ging hier etwa darum, dass Waisenkinder, deren Eltern ermordet worden waren, einen Ausbildungsplatz in der BRD erhalten sollten. Aber, so hieß es, »es gehe nicht an, Söhne von Partisanen und damit potenziellen Mördern deutscher Soldaten« in den Genuss dieser karitativen Maßnahmen kommen zu lassen.
Es gab dann einzelne Zahlungen oder anerkannte Rechtsansprüche für wenige Überlebende, aber nicht an die jüdischen Gemeinden Griechenlands insgesamt. Für KZ-Häftlinge gab es eine spezielle Regelung: Wer in Griechenland länger als sechs Monate in einem KZ war, erhielt 2,50 D-Mark pro Hafttag. Wer in Deutschland in KZ-Haft war, erhielt 5 D-Mark Entschädigung für jeden Tag – aber auch nur, wenn er länger als sechs Monate in Haft war.
In den Akten des Auswärtigen Amtes finden sich vier Gründe für die Ablehnung der weitergehenden Entschädigungsforderung: 1.) Inzwischen sei in vielen Fällen Verjährung eingetreten; 2.) Griechenland habe nach einigen Abkommen auf alle Ansprüche verzichtet (was nicht stimmte, wie die griechischen Behörden nachwiesen); 3.) Griechenland habe nach 1945 von Deutschland bereits viele Kredithilfen sowie Rüstungsgüter im Wert von einer Milliarde D-Mark erhalten; 4.) Deutschland habe sehr zum Beitritt Griechenlands in die europäische Wirtschaftsgemeinschaft beigetragen und auch sehr beim NATO-Beitritt geholfen.
FRIEDENSVERTRAG Entscheidend aber war der Verweis auf den ausstehenden Friedensvertrag, der Voraussetzung für Reparationsforderungen sei. Daher wurde 1990 der »Zwei-plus-Vier-Vertrag« auf deutschen Wunsch und mit Zustimmung der Alliierten ausdrücklich nicht als Friedensvertrag abgeschlossen. Außenminister Genscher erklärte 1991, es gebe auch in anderen Ländern keinen Präzedenzfall, dass nach 50 Jahren noch Reparationen gezahlt würden.
Überlebende des Massakers von Distomo kämpften dennoch weiter. Schließlich akzeptierte 1997 ein griechisches Gericht deren Klage, Deutschland legte Revision ein, die aber abgewiesen wurde. Im Jahr 2000 sollte es zur Zwangsvollstreckung kommen. Dazu kam es aber nicht, da nach formaljuristischen Regeln der griechische Justizminister seine Zustimmung hätte geben müssen, was er aber nicht tat. Das Argument war die »Belastung bilateraler Beziehungen«.
In den Akten des Auswärtigen Amtes finden sich Gründe für die Ablehnung der weitergehenden Entschädigungsforderung.
Auch der Weg, in Italien zu klagen – dort bekamen die Überlebenden Recht –, wurde von der deutschen Regierung durchkreuzt. Der Bundesgerichtshof, das Bundesverfassungsgericht waren dagegen, der Europäische Gerichtshof sah sich nicht zuständig – bis Deutschland im Februar 2012 vor dem Haager Gerichtshof schließlich erreichte, dass die Klage der Distomo-Überlebenden nicht zulässig sei, da es auch für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine sogenannte Staatsimmunität gebe.
Der Autor lehrt als außerplanmäßiger Professor an der Goethe-Universität Frankfurt/Main.