Es gibt viele Geschichten über Woody Allen. Komische und weniger komische. Bei der neuesten weiß man noch nicht, zu welcher Sorte sie gehört: Nach 45 Jahren hat Kontrollfreak Allen seinen deutschen Synchronsprecher, den 83-jährigen Wolfgang Draeger, der seit Mitte der 60er-Jahre Allen in 34 Filmen sprach, rausgeworfen. Der Grund: Eine Kieferoperation, die Draegers Stimme altern ließ. Ist das nun gnadenlos oder professionell?
»Über mich werden so viele Märchen erzählt, es hat schon fast mythologischen Charakter. Vieles ist übertrieben, einiges schlicht unwahr. Manches stimmt natürlich auch.« So spricht der Meister selbst in Robert B. Weides Woody Allen: A Documentary, der diese Woche in die deutschen Kinos kommt. 48 Filme hat Allen bislang als Regisseur gedreht, zu 70 Titeln das Drehbuch geschrieben. 14 seiner Skripte wurden für den Oscar nominiert. Der inzwischen 76-Jährige schreibt seine Drehbücher übrigens bis heute auf einer alten mechanischen Olympia-Schreibmaschine, die er mit 16 Jahren in Brooklyn gekauft hat, und die bis heute funktioniert.
Woody Allen, keine Frage, ist auf seine Art ein Genie, auch ein absurder Kauz, in jedem Fall eine hochinteressante Persönlichkeit. Höchste Zeit also, dass er zum Thema eines Dokumentarfilms wurde. Es ist nicht leicht, Woody Allen zu sein, das ist eines der Ergebnisse von Weides zweistündiger Produktion, der Kinoversion einer Dreistundenfassung, die für die amerikanische Dokumentar-Reihe »American Masters« beim TV-Sender PBS entstanden ist.
unkritisch Der Film, der unter anderem von Allens Schwester Letty Aronson koproduziert wurde, ist ein freundliches, facettenreiches Porträt, das uns die bisher intimsten Einsichten in Allens Person und sein Werk beschert – auch wenn wir kaum je wirklich unter die Oberfläche dieses Charakters, hinter das Bild des öffentlichen Woody Allen kommen. Regisseur Weide hat sich, wie er erklärt, die Mitarbeit Allens mit thematischen Kompromissen und einer unkritischen Grundhaltung erkauft. Natürlich werden auch Themen angesprochen, die für Allen unbequem sind: etwa das weltweit publizierte Ende seiner Beziehung mit Mia Farrow und die Trennungsschlammschlacht inklusive des Vorwurfs des Kindesmissbrauchs seiner Adoptivtochter Soon-Yi, die heute Allens dritte Frau ist. Nur geht es nicht tiefer, wird die Frage nicht aufgeworfen, welche Folgen der Skandal gehabt hat, inwiefern er Allen traumatisiert und sein Werk dauerhaft beschädigt hat.
Für den Zuschauer ist der Film dennoch ein überaus großes Vergnügen, vor allem, weil sein Held oft zu sehen ist und fortwährend Dinge und Ereignisse kommentiert. Weide ist es auch gelungen, wichtige Mitarbeiter Allens für den Film zu gewinnen: Von Diane Keaton, seiner Ex-Lebensgefährtin und Darstellerin in vielen seiner Filme, über Sean Penn und Mira Sorvino bis hin zu Scarlett Johansson und Naomi Watts reicht die Palette der Prominenz. Watts würdigt Allen als Schauspieler-Regisseur: »Der Beste, mit dem ich je gearbeitet habe.« Auch Martin Scorsese, Kollege, New Yorker Mitbürger und Beobachter aus der Distanz ist voll des Lobes: »Nicht viele haben den Biss, und nicht viele haben so viel zu sagen.«
karriere Woody Allen: A Documentary ist konventionell-chronologisch aufgebaut. Es beginnt mit den Jugendjahren in bescheidenen Verhältnissen im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Allen Stewart Ko-nigsberg schrieb bereits mit 16 erste Gags. Den Künstlernamen Woody Allen gab er sich, um in der Schule nicht auf seine Veröffentlichungen angesprochen zu werden. Er war sehr schüchtern.
Aus dieser Kombination von Schlagfertigkeit und Verklemmtheit entwickelte er später seine Bühnenfigur Woody Allen, den schrägen Stadtneurotiker und intellektuellen Tolpatsch. Zu Beginn seiner Karriere trat Allen in Comedy-Clubs auf, wo er auch schon mal mit einem Känguru boxte. Nach Rollen in diversen 60er-Jahre-Filmkomödien wie Was gibt’s Neues, Doc? drehte er 1969 seinen ersten eigenen Film Take the Money and run, deutsch Woody, der Unglücksrabe. Von da an ging’s bergauf, bis zum heutigen unangefochtenen Weltruhm. Der scheint Allen aber wenig zu bedeuten: »Ich will nicht durch meine Filme unsterblich werden, sondern dadurch, dass ich nicht sterbe«, hat er einmal gewitzelt.
offene fragen Allen erzählt Weide auch von seiner einmaligen, sehr eigensinnigen Arbeitsmethode als Filmemacher: »Gib uns zwei Millionen Dollar in einer Papiertüte und dann geh weg. Nach einer Weile bekommst du einen Film«. Das sei die ideale Methode, einen Film zu produzieren.
Natürlich wüsste man gern, ob Woody Allen wirklich so bescheiden ist oder es nur eine Pose ist, wenn er die Bedeutung seiner Arbeit konsequent herunterspielt. Auch andere Fragen bleiben unbeantwortet. Allen sei paranoid und ein Hypochonder, heißt es. Immer nett zu seinen Mitmenschen ist er auch nicht, wird erzählt. Warum sollte er auch?
Aber man würde zu gern mehr darüber erfahren, was hier wahr ist und was Erfindung seiner Feinde und Neider. Der zurückgezogen lebende Allen hat es immer verstanden, sich aus dem Blick der Öffentlichkeit herauszuhalten. In seinen Filmen leuchtet Woody Allen die dunkelsten und die absurdesten Seiten der menschlichen Existenz aus. Seine eigenen Abgründe bleiben auch nach Robert B. Weides Film verborgen.