Frau Menasse, selten gab es im deutschen Literaturbetrieb so viel Zustimmung für die Vergabe des Friedenspreises wie in diesem Jahr. Ganz anders die Reaktion großer Teile der israelischen Medien, die beanstandeten, Grossman werde nicht für sein Werk, sondern für seine Kritik an Israel ausgezeichnet. Wie stehen Sie zu der Verleihung?
David Grossman ist ein ganz besonders würdiger Preisträger - sowohl in literarischer als auch in politischer Hinsicht. Mehr als andere große Künstler und interessante Intellektuelle steht er mit seinem ganzen Leben im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern und versucht dennoch irgendwie, den Kopf friedlich oben zu halten. Und sein aktueller Roman »Eine Frau flieht vor einer Nachricht« ist unbestritten ein hochbedeutendes Werk.
Grossman erzählt darin die Geschichte von einem Soldaten und dessen Mutter, die von Zu Hause flieht, damit die schreckliche Botschaft vom Tod ihres Sohnes, falls sie denn kommt, sie nicht erreichen kann.
Ja, und diese an sich simple Handlung ist ein Beispiel dafür, auf welch geniale Art und Weise ein Autor die Verbindung von Literatur und Politik meistern kann. Es ist eminent wichtig, dass es Menschen wie David Grossman gibt, die die kriegerische Sprache aufbrechen, die verdeutlichen, was der Krieg mit einem macht. Ich bewundere dieses Werk sehr, nicht zuletzt auch deshalb, weil er die Kraft fand, diesen Roman zu vollenden. Das ist angesichts dessen, was ihm und seiner Familie 2006 zugestoßen ist …
… Grossmans Sohn Uri wurde in den letzten Stunden des zweiten Libanon-Krieges von einer Rakete der Hisbollah getötet …
… mehr als bemerkenswert. Das ist eine Leistung, die man nur bewundern kann. Denn Schreiben ist immer auch ein ungeheuer anstrengendes Stochern in der eigenen Seele und ihren Abgründen.
Zusammen mit dem Schriftsteller Amos Oz ist David Grossmann einer der prominentesten Vertreter der israelischen Linken, die in den letzten Jahren nach und nach an Bedeutung und Einfluss verloren hat. Wie beurteilen Sie die Möglichkeit, dass Grossmans Vision von einer Zwei-Staaten-Lösung in nicht allzu ferner Zukunft Wirklichkeit werden wird?
Es wird nicht anders gehen, als dass jede Seite von Positionen abrückt, die heute als absolut unverrückbar gelten. Natürlich müssen die Palästinenser einen eigenen Staat bekommen! Und natürlich muss Jerusalem aufgeteilt werden! Es wird aber wohl noch wahnsinnig lange dauern, bis diese Erkenntnis in den Köpfen aller angekommen ist. Ich selbst habe es damals für ein verrücktes Wunder gehalten, als Ariel Scharon den Gaza-Streifen hat räumen lassen. Überhaupt hätte das niemand bei diesem früheren Kriegstreiber für möglich gehalten. Und doch hat er es getan. Genauso muss man darauf hoffen, dass es plötzlich wieder so einen Ruck gibt und irgendetwas Unerwartetes geschieht. Früher oder später muss so etwas geschehen und das Ganze eine glücklichere Wendung nehmen.
Das Gespräch führte Philipp Engel.