So richtig ist Joachim Jäckel nicht mit Stephan Sulke zufrieden. Das Abschlussbild mit Milva passt dem Regisseur der Carmen-Nebel-Show nicht ins Konzept. Rechts posiert die italienische Gesangsdiva, die roten Haare streng nach hinten gekämmt und in einen eleganten schwarzen Hosenanzug gekleidet. Sie hat sich ein großes, farbenfrohes Tuch übergeworfen.
Sulke wirkt daneben etwas unbeholfen. Er sieht noch immer so aus wie ein Liedermacher der 80er-Jahre in Westdeutschland. Verbeulte Hose, ausgelatschte Schuhe, Rollkragenpulli, ein in die Jahre gekommenes Cordjackett und dazu passend der schlunzige Haarschnitt. »Stephan, du musst dir unbedingt noch einen neuen Anzug kaufen. So geht das nicht«, mahnt der Regisseur bei der letzten, der sogenannten heißen Probe den Interpreten. Sulke zuckt verlegen mit den Schultern. Milva lacht, während er ins Mikrofon fragt: »Muss das sein? Ich meine, das mit dem Anzug.«
bühne Das muss doch gehen heißt ein Lied mit einer schönen, eingängigen Melodie. Der Text, den Sulke dazu geschrieben hat, ist ein typischer Sulke-Text. Er kommt etwas klüger und sperriger daher, stimmt nachdenklicher und bleibt dem Zuhörer länger im Gedächtnis, als das, was seine Kollegen produzieren. Sulke beginnt das Stück einhändig am Klavier. In der rechten Hand hält er lässig das Mikrofon.
Nach einigen Takten steht er auf, geht bedächtig drei Schritte hinüber zu Milva. Sie erwartet ihn längst auf einer kleinen Bühne. Die Künstlerin hat sich den von Sulke komponierten Song ausdrücklich gewünscht. Jetzt will sie ihn mit ihm zusammen live im Fernsehen singen. »Er ist manchmal wie ein Kind«, sagt Milva über ihren Kollegen und legt den Kopf an seine Schulter.
löwe Sie wird am nächsten Tag wieder nach Italien reisen. Für Stephan Sulke bildet der Auftritt in der TV-Show den Auftakt zu einer ausladenden Tournee, die ihn noch bis zum Dezember durch ganz Deutschland führen wird. »Es ist Zeit, mal wieder zu singen«, sagt der Liedermacher nach der Probe, mit der er eigentlich ganz zufrieden war. Man hat lange nichts mehr von ihm gehört, mindestens fünf Jahre. Sulke vergleicht sich heute mit einem Löwen, »der erst wieder seinen Hintern hebt, wenn er ordentlich Hunger hat«.
Wann und wo auch immer er auftritt, wird viel über ihn geredet. Zumeist leicht verschämt und hinter vorgehaltener Hand. Der Mann gibt Rätsel auf. Sulke gilt als eigenwillig, viele Journalisten kennen einfachere Interviewpartner. Was man über den Sänger in Erfahrung bringt, sind meist nur verstörende Fragmente eines langen Lebens mit außerordentlich vielen Brüchen. Mit Stationen auf drei Kontinenten, die sich kaum zu einer glatten Biografie zusammensetzen lassen. »Ich wurde am 27. Dezember 1943 in Schanghai geboren. Noch was?« Sulke hebt fragend den Kopf.
schanghai Weil seine Eltern Juden waren, verließen sie ihre Heimatstadt Berlin in Richtung Shanghai. Im Exil handelte der Vater mit Baumwollabfällen, vornehmlich mit den Japanern. Weil das Land im Zweiten Weltkrieg jedoch mit den USA im Krieg stand, erhielt die Familie in Amerika Einreiseverbot.
Das Land ihrer Träume, wohin sie sich eigentlich absetzen wollte, hatte seine Tore für sie fest verschlossen. »Was habe ich daraus gelernt?«, fragt Stephan Sulke, der sich im Interview gerne selbst Fragen stellt. »Zunächst musst du wegrennen, weil dich sonst eine Seite umbringt. Und wenn du weggerannt bist, bekommst du Prügel von der anderen Seite«, reicht er die Antwort nach.
Stephan Sulke betont, dass er nicht gerne von seiner Kindheit und Jugend erzählt. Dass im Alter »alles egal wird«, sagt er auch noch, »und ich deshalb das Altern nicht schlecht finde«. Er hat seine Biografie ins Internet gestellt. Auch deshalb, um nicht immer wieder davon erzählen zu müssen.
Von der Zeit zum Beispiel, als die Sulkes von Schanghai im Jahr 1947 in die Schweiz übersiedelten. Vom schnellen Tod seines Vaters, der zuvor noch sein ganzes Kapital in Aktien investiert hatte. In damals sehr billige Wertpapiere deutscher Firmen wie Siemens oder Daimler, die schon wieder geldhungrig in den Startlöchern standen. Irgendwann verkaufte die Mutter alles. Damit hatte sie Geld. Sie heiratete einen Schweizer und erhielt den ersehnten eidgenössischen Pass.
In den mondänen Hotels von St. Moritz arbeitete sich Sulke als Concierge seine erste Gitarre zusammen. Da war er 14. Nur vier Jahre später nahm er in Paris seine erste Langspielplatte auf, für die er viele Preise, »aber keine Tantiemen« erhielt, erinnert er sich. Das war, neben der Flucht, eine prägende Erfahrung für ihn.
verbrecher Sulke schimpft noch heute auf die raffgierigen Schallplattenfirmen von damals. »Alles Idioten, eine echte Verbrecherbande«, ereifert er sich. Enttäuscht wandte er sich vom Singen ab und studierte Jura in Bern, kehrte erst sehr viel später ins Showgeschäft zurück, nahm eine Country-Scheibe in den USA auf. Und gründete erfolgreiche Firmen, eine für Studiotechnik und eine, die Immobiliengeschäfte tätigte.
»Ich habe zu viele Talente und kann mich nicht entscheiden«, erklärt er seine außergewöhnliche Schaffensvielfalt. Er malte große Bilder und schuf Skulpturen, heiratete eine Jüdin und schrieb Songs, die von Herbert Grönemeyer, Katja Ebstein und Erika Pluhar interpretiert wurden. Lieder, die zu Erfolgen wurden, »und von denen ich gut leben konnte«, sagt Sulke.
enten Einen großen Hit hat er sogar selbst eingesungen, 1981. Uschi mach kein Quatsch ist ein Song über eine emanzipierte Dame. Die legendäre »Uschi« brachte Sulke Ruhm und Geld ein. Er hatte diesmal gute Verträge ausgehandelt. Mit seiner Frau zog er sich aber in ein Schweizer Dorf zurück. Hier arbeitet das Multitalent gerne im Garten und heckt künstlerische Projekte aus. So wie seine neue CD, die den scheinbar seltsamen Titel Enten hätt‹ ich züchten sollen … trägt.
Am Tag der Live-Sendung hat sich Stephan Sulke übrigens doch noch einen neuen Anzug gekauft. Er sah gut aus.