Karl Kraus

Gegen Heuchler, Phrasendrescher und Kriegstreiber

Eine neue umfangreiche Biografie über den österreichischen Autor und Satiriker hat das Zeug zu einem Standardwerk

von Wilfried Mommert  26.05.2020 11:00 Uhr

Karl Kraus Foto: dpa

Eine neue umfangreiche Biografie über den österreichischen Autor und Satiriker hat das Zeug zu einem Standardwerk

von Wilfried Mommert  26.05.2020 11:00 Uhr

Er kämpfte für die »Trockenlegung des Phrasensumpfes« in Politik und Medien und gegen eine Verrohung der Sprache als Vorstufe zur Gewalt. Der 1936 gestorbene österreichische Autor und Satiriker Karl Kraus (Die letzten Tage der Menschheit), Herausgeber der legendären Zeitschrift »Die Fackel«, erscheint aktueller denn je. Für den Literaturnobelpreisträger Elias Canetti war Kraus der größte Satiriker deutscher Sprache, wobei der Berliner Kurt Tucholsky nicht vergessen werden sollte.

Jetzt ist eine umfangreiche Karl-Kraus-Biografie von dem Germanisten und Theaterwissenschaftler Jens Malte Fischer erschienen (Paul Zsolnay Verlag).

DETAILS Die über 1000 Seiten umfassende Biografie ist eine Fundgrube für jeden Kraus-Fan, ein neues Standardwerk zu Kraus für Literaturwissenschaftler sowieso. Die Biografie macht es aber in ihrer detailversessenheit den übrigen Lesern nicht gerade leicht, durchzuhalten. Daniel Kehlmann spricht in seiner Rezension (in der »Zeit«) von den »happy few«, die zu Kraus gefunden haben, weil Kraus »immer ein Schriftsteller für wenige« sein werde. Schade eigentlich.

Die über 1000 Seiten umfassende Biografie ist eine Fundgrube für jeden Kraus-Fan.

Der Publizist und frühere Verleger Michael Naumann, der eine Dissertation über Kraus geschrieben hat, nennt die neue Biografie »eine Art Cinemascope-Reise durch die Wiener Jahrhundertwende, auch viel Klatsch dabei«, wie er der dpa sagte.

Naumann hatte in seiner Amtszeit als Kulturstaatsminister eine Million Mark mobilisiert, um den Park von Schloss Janowitz in Tschechien renovieren zu lassen, wo Kraus im Hause der von ihm verehrten Sidonie Nadherna von Borutin verkehrte, die auch viele andere Berühmtheiten wie Rainer Maria Rilke und Karel Capek in ihrem Salon versammelte.

VERÄSTELUNG Die damaligen österreichischen innenpolitischen Verhältnisse und Ereignisse sind zwar für das Verständnis von Werk und Autor durchaus von Bedeutung, aber sicher nicht in dieser weitverzweigten Verästelung, jedenfalls für Leser außerhalb Österreichs. Fischer übertreibt jedenfalls, was wohl seiner eindeutigen, wenn auch nicht durchweg unkritischen Affinität zu Kraus geschuldet ist, wer würde sonst über 1000 Seiten schreiben.

Arnold Schönberg, Theodor Adorno und Sigmund Freud bewunderten Karl Kraus.

Aber der Polemiker und Caféhaus-Literat Kraus erscheint auch bei Fischer nicht immer nur im besten Licht und summa summarum ist seine Biografie eine oft auch spannende historisch-kulturpolitische Lektüre einer dramatischen Epoche unserer jüngeren Geschichte.

Kraus war in seiner Art tatsächlich fast einzigartig. Er konnte mit seinem schauspielerischem Talent Säle füllen, wohlgemerkt mit Lesungen, die nach heutigen Vorstellungen mehr Performances glichen, noch dazu aus eigenen Werken. An Gegnern hat es Kraus nicht gemangelt, und sein ausgeprägter Hang zur Rechthaberei und zum Prozessieren (gleichermaßen gegen den Wiener Polizeipräsidenten wie gegen den Berliner »Kritikerpapst« Alfred Kerr) machte ihn vielen Zeitgenossen auch nicht gerade sympathischer.

BEWUNDERER Aber Kraus hatte auch prominente Bewunderer, wie Arnold Schönberg, Theodor Adorno und Sigmund Freud, wie Fischer in seiner Biografie hervorhebt. Bertolt Brecht gehörte zeitweise zum Kollegenkreis.

Die »Fackel« hatte zeitweise auch ein Büro in Berlin (im Impressum stand in diesen Jahren »Wien-Berlin«) und als Kraus öffentlich mit dem Gedanken spielte, dauerhaft nach Berlin umzusiedeln, gab es eine Solidaritätsaktion in der Wiener Presse, Kraus unbedingt an der Donau zu halten, erfolgreich. Doch viele seiner Theaterprojekte und Rundfunkproduktionen fanden in Berlin statt. Aber auch bei seiner Zeitungslektüre in den Wiener Caféhäusern, seinem »zweiten Zuhause«, verfolgte Kraus das Geschehen in der deutschen Reichshauptstadt, vor allem die zunehmende Brutalisierung in Nazi-Deutschland.

CAFÉHAUS Dem Wiener Caféhaus-Literaten genügten die genaue Lektüre deutscher Zeitungen und die Berichte von Besuchern aus Deutschland, um sich ein realistisches Bild zu verschaffen. Dazu gehörte auch eine »simple« Ansichtskarte (!) mit einem vor einem Geschäft postierten SA-Mann und den auf die Fensterscheibe geschmierten Worten »Dir Judensau sollen die Hände abfaulen«. Öffentliche Sprache als Signal – Kraus hat das früh genug beobachtet, erkannt und benannt, so auch in seiner schon 1933 geschriebenen, aber erst postum erschienenen Dritten Walpurgisnacht mit seiner prophetischen Sicht auf den beginnenden Nazi-Terror.

Öffentliche Sprache als Signal – Kraus hat das früh genug beobachtet, erkannt und benannt.

Seit Ende der 20er-Jahre galt ausgerechnet der Jean-Paul-Verehrer Kraus als Linksradikaler. Die unter anderem auch kommunistischen Intellektuellen galten in Wien, anders als in Berlin damals, nicht als »salonfähig«. Dabei waren Kraus revolutionäre Bewegungen aller Art zuwider. Zum Kommunismus sagte er, der Teufel hole seine Praxis, »aber Gott erhalte ihn uns als konstante Drohung«.

Zum Beispiel beim Kampf gegen Heuchelei und Korruption in Politik und Gesellschaft, auch bei prominenten Journalisten. Aber letztendlich resümierte er seinen jahrzehntelangen publizistischen Kampf resignierend mit den Worten: »Es ist alles vergeblich, es sind lauter Irre, das Unvorstellbarste wird noch von der Wirklichkeit überholt.« Das Unvorstellbarste musste Kraus nicht mehr erleben, er starb, gesundheitlich am Ende, 1936 in seiner Wiener Wohnung.

RENAISSANCE Nach 1945 erlebte der sprachgewaltige Autor, Satiriker und Zeitkritiker eine erstaunliche Renaissance, jedenfalls zeitweise, wie Fischer in seiner Biografie hervorhebt. Es gab sogar eine umfangreiche, 12-bändige Reprint-Ausgabe sämtlicher »Fackel«-Hefte.

Kraus fand wieder Bewunderer, erstaunlicherweise sogar unter der rebellischen Jugend der 60er Jahre. Andere wie manche Literaturkritiker rümpften eher die Nase über den Wiener Caféhaus-Literaten. Kraus hatte für ähnliche Fälle ein Bonmot parat: »Größere Gegner gesucht.«

Kraus bat testamentarisch Familienangehörige darum, seiner Beisetzung fernzubleiben.

Den heutigen Bekanntheitsgrad von Kraus, soweit vorhanden, führt Fischer in seiner Biografie vor allem auf drei Aspekte zurück – das Drama Die letzten Tage der Menschheit (und hier wohl mehr der Titel), die Dritte Walpurgisnacht (unter Kennern) und vor allem auf die berühmten Kraus-Aphorismen, die echten oder auch verfälscht wiedergegebenen, von denen manche zum »geflügelten Wort« geworden sind. Zu den berühmtesten »Dauerbrennern« gehört sicherlich »Das Wort Familienbande hat einen Beigeschmack von Wahrheit« (Kraus bat testamentarisch Familienangehörige darum, seiner Beisetzung fernzubleiben).

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