Darfst du dich freuen darüber, dass du hier präsentieren darfst?», fragt sich Luigi Toscano, wenn er von seinen Porträts auf der Gedenkveranstaltung im ukrainischen Babi Jar spricht. Hier erschossen SS-Angehörige 1941 an zwei Tagen mehr als 30.000 Juden.
Der Mannheimer Fotograf hat im vergangenen Jahr zum 75. Jahrestag des Massakers 50 Porträts seiner Fotoinstallation «Gegen das Vergessen» in der Gedenkstätte in Kiew ausgestellt: Porträts von Opfern der NS-Verfolgung. «Ich habe an einem Gedenkort ausgestellt, der behaftet war mit so viel Leid. Ich konnte mich nie so richtig freuen», beschreibt Toscano seine ambivalenten Gefühle.
staatsakt Zum feierlichen Staatsakt am 29. September in Kiew kam auch Bundespräsident Joachim Gauck. «Der kam auf mich zu, hat mir so buddymäßig die Hand gegeben», erzählt Toscano. Gauck sei sehr beeindruckt gewesen von seinen Bildern. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat die Schirmherrschaft übernommen für das Fotoprojekt. Toscano könnte stolz sein auf sich, vielleicht ein bisschen abheben – stattdessen wirkt er ziemlich bodenständig wie der gute Junge von nebenan.
Für «Gegen das Vergessen» hat der 44-Jährige in den vergangenen zwei Jahren 200 Opfer des Nationalsozialismus fotografiert: ehemalige KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter, Vertriebene und Verschleppte. Er war in der Ukraine und in Russland, in Israel und den USA. Manche Menschen kamen auch zu ihm. Toscano fotografiert sie alle gleich: schwarzer Hintergrund, Ringleuchte, weiches Licht. Er wolle den Menschen sichtbar machen und ihn in den Vordergrund stellen, ein Gesicht zeigen. «Ich wollte nicht inszenieren, diese Nähe war für mich ausschlaggebend.»
Oft fehlt der geeignete Platz, die zu fotografieren, die mit ihrem Gesicht ein Zeichen gegen das Vergessen setzen wollen. Dann entstehen die Fotos eben auf dem Flur oder in einer Nische im Wohnzimmer. Zeit, zuzuhören, ist immer. «Ich habe mit den Leuten gelacht und geweint. Manchmal wollte ich einfach nur weg. Aber das kannst du ja nicht, das wäre respektlos gewesen», sagt Toscano. Stattdessen trägt er durch seine Bilder die Botschaft der Menschen weiter: keines der Opfer jemals vergessen.
ukraine Teilweise sucht Toscano nach ihnen, wieder andere melden sich bei ihm. Sein Engagement spricht sich herum – gerade in der Ukraine, wo die Verfolgten der NS-Zeit schlechter vernetzt sind. Toscano erlebt berührende und auch skurrile Begegnungen: Bei seinem Besuch berichtet die ehemalige Zwangsarbeiterin Marija Nasarenko ihrer Familie zum ersten Mal von ihrem Leid. Oder Edward Majewski: Als der für Toscano posiert, sagt der ehemalige Häftling des Warschauer Ghettos: «Mensch, das ist ja wie bei der Gestapo!» – weil das Licht ihn geblendet hat. Oft sei er ganz ehrfürchtig gewesen, erzählt Toscano. «Aber das war gut. Ich hatte immer Angst, in ein Fettnäpfchen zu tappen.»
Toscanos Eltern sind Italiener. «Klassisches Gastarbeiter-Ding, aber nicht so typisch Italo-Family», beschreibt Toscano seine Jugend. Er hat sechs Geschwister und muss früh schauen, wie er klarkommt. Die Familie ist zerstreut. Er lebt auf der Straße, zuletzt kommt er ins Heim, ist drogensüchtig, macht einen Entzug. Mittlerweile ist er seit 20 Jahren clean, das Fotografieren hat er sich vor 14 Jahren selbst beigebracht.
In all den Jahren begleitet ihn das Thema Holocaust. «Es gab zwei Seiten über den Nationalsozialismus in meinem Geschichtsbuch, die habe ich total aufgesaugt.» Was bleibt: Fragen, die ihm niemand beantworten konnte. Er fährt nach Auschwitz, um zu verstehen. «Die Zahl der Millionen Ermordeten ging nicht in meinen Kopf, das hat mich völlig verspult.»
heimat Damals distanziert er sich: «Ich wollte mit den Deutschen nix zu tun haben.» Heute sieht das anders aus: «Natürlich bin ich Deutscher, Deutschland ist meine Heimat.» Bis vor Kurzem musste Toscano immer wieder seine Aufenthaltsgenehmigung verlängern lassen. Das Wort Integration kann er nicht mehr hören. «Mehr Integration geht ja nicht bei mir.»
Toscano will Kunst machen, die eine klare Botschaft hat und für alle funktionieren kann. Deshalb ist die Fotoinstallation auch immer auf öffentlichen Plätzen zu sehen. «In Museen oder in Galerien kommt doch kein Arsch», sagt Toscano. Die Bilder sind bald erneut in der Ukraine zu sehen. Berlin, Washington und New York sollen folgen.
Er hat Respekt vor der Herausforderung, wurschtelt sich mit mäßig gutem Englisch und permanenter Sponsorensuche durch alle Widrigkeiten. Demnächst setzt er noch einen drauf: Während der Begegnungen sind einzelne Filmsequenzen entstanden. Sie eröffnen einen neuen Blick auf die Porträtierten, sollen aber auch Toscano bei der Realisierung seiner Vision zeigen. «Der Film wird gut», ist Toscano überzeugt. So langsam kommt auch bei ihm an, welche Kraft seine Arbeit entwickelt hat.