Schoa-Kunst

Gefallen am Grauen

Clownerien vor Leichenbergen: Auch Roberto Benignis oscarprämierten Film »Das Leben ist schön« kann man dem Holo-Kitsch zurechnen. Foto: cinetext

Ein Selbstporträt mit Cola light zwischen Buchenwald-Insassen, eine Disney-Katze als Adolf Hitler, ein KZ aus Lego-Steinen, und ein Giftgas-Set von Chanel – das waren die provokativen Höhepunkte der Ausstellung Mirroring Evil, die im Frühjahr 2002 im Jewish Museum von New York eröffnet wurde und für monatelange Debatten sorgte: »Pervers«, »obszön«, »frivol« lauteten einige Vorwürfe. Den beteiligten Künstlern der zweiten und dritten Generation wurde mangelnder Respekt vor den Erfahrungen der Überlebenden vorgeworfen. Und es wurde die grundsätzliche Frage gestellt, ob es eigentlich überhaupt noch irgendwelche Tabus gebe und geben könne bei der Darstellung und beim Spiel mit der Darstellung der Schoa. Dabei waren manche der in New York ausgestellten Werke schon über zehn Jahre alt. Wirklich neu und verstörend war vor allem ihre Zusammenstellung. Der Tabubruch schien primär in der generellen Banalisierung – oder gar »Desakralisierung« – zu liegen, in der Kombination aus beispiellosem Schrecken und Labeln des Massenkonsums. Dabei war genau dies womöglich der intelligenteste Aspekt des Ganzen, steht doch die Chiffre »Auschwitz« eben nicht allein für Genozid, sondern für dessen Industrialisie- rung, für die Paarung von Massenmord und instrumenteller Vernunft.

holo-kitsch Die New Yorker Ausstellung beleuchtete aber noch ein weiteres prinzipielles Problem – das der Ästhetik. Etwas, das provoziert, muss deshalb noch lange keine gute Kunst sein. Naiv wäre auch die Annahme, eine Darstellung wachse automatisch mit ihrem Gegenstand künstlerisch. Warum sollten Kunst und Kunsthandwerk nur deshalb besser und ge schmacklich weniger fragwürdig sein als sonst, bloß weil sie die Schoa zum Gegenstand haben? Art Spiegelman, dessen Graphic Novel Maus bei ihrem Erscheinen Anfang der 7oer-Jahre selbst für heftige Debatten gesorgt hatte, war es, der den Begriff »Holo-Kitsch« prägte. Auslöser war seinerzeit Bernhard Schlinks Roman Der Vorleser, der es in seiner Mischung aus Sex und Nazi-Crime 1995 als erstes deutsches Buch auf Platz 1 der Bestsellerliste der New York Times geschafft hatte. Kitschigkeit attestierte Ruth Klüger auch den 1995 erschienen angeblichen KZ-Erinnerungen des Benjamin Wilkomirski. »Kitsch ist immer plausibel« schrieb sie. »Man mache die Probe aufs Exempel: Eine Stelle, die vielleicht gerade in ihren naiven Direktheit erschütternd wirkt, wenn man sie als Ausdruck erlebten Leidens liest, und die sich dann als Lüge erweist, verkommt in der Darstellung erfundenen Leidens zum Kitsch. Es ist ja ein Merkmal des Kitsches, dass er plausibel ist, allzu plausibel, und dass man ihn nur dann ablehnt, wenn man seine Pseudo-Plausibilität erkennt.«
sakralisierung Mehr noch als in der Literatur entzündet sich die Debatte regelmäßig an Filmen. Das Kino ist seit jeher das privilegierte Medium der Darstellung und der Auseinandersetzung mit der Schoa. Es mag dabei auch eine Rolle spielen, dass die Nachrichten über die Vernichtungslager das breite Publikum zuerst über Filmaufnahmen der Wochenschauen erreichten, und dass erst recht die Dimension des Völkermords nur im Bild wirklich deutlich wird. Hier stimmt die Phrase, ein Bild sage mehr als tausend Worte, tatsächlich. Zudem ist das Kino nach wie vor die einzige Kunstform, die zugleich Massenmedium ist. Und so hat sich auch von Anfang an der Spielfilm der Lager angenommen. Während Wolfgang Staudtes berühmtes Trümmermelodram Die Mörder sind unter uns sich noch auf vage Anspielungen beschränkte, ging Eugen Yorcks vom Lager-Überlebenden Artur Brauner produzierter Film Morituri bereits 1947 das Thema frontal an, und zeigte, was vermeintlich undarstellbar war: Ein deutsches Vernichtungslager, Selektion, Mord und die Flucht einiger Häftlinge. Prägender aber wurde lange eine »Sakralisierung« (Peter Novick) der Schoa, für die beispielhaft Alain Resnais’ Nacht und Nebel von 1955 steht. Der französische Regisseur zeigte bewusst nichtssagend gehaltene Bilder der Umgebung des Lagers Auschwitz zehn Jahre nach der Befreiung, und konfrontiert diese mit NS-Propagandabildern (Riefenstahl) und dem bekannten alliierten Dokumentarmaterial. Diese filmische Ikonografie der Schoa hat sich sich in groben Zügen bis heute erhalten, etwa bei Claude Lanzmann und dessen Tabu jeder repräsentativen Darstellung. Auf der anderen Seite florierte die provokative Verwandlung der Vernichtung in ein Konsumgut, etwa im italienischen Kino, das die Schoa zum monströsen sadomasochistischen Unternehmen stilisierte wie in Viscontis Die Verdammten (1969) und Liliana Cavanis Der Nachtportier (1974). »Exploitation« nennt man im Filmgeschäft solche Produktionen, die ein ernstes Thema als Vehikel nutzen, um billigen Publikumskitzel zu transportieren. Eine Definition, die in gewisser Weise auch auf Roberto Benignis Das Leben ist schön von 1998 passt. Nach anfänglicher Begeisterung regte sich an der oscarprämierten Tragikomödie bald Kritik: »Totaler Blödsinn. Es war kein Schutz möglich. Kinder sind außerdem systematisch umgebracht worden«, urteilte Ruth Klüger über Benignis Geschichte, in der ein Vater seinen Sohn im KZ beschützen und abschotten kann. Vielleicht sind Benignis krude Clownerien vor Leichenbergen in ihrer betonten Reflexionsfeindschaft ein weitaus besseres Beispiel für »Holo-Kitsch«, als die Arbeiten der New Yorker Ausstellung oder selbst Der Vorleser.

bilderverbot? Die Debatte über Kitsch und Kunst ist so alt wie die Kunst selbst. Eine klare Abgrenzung zwischen beiden ist unmöglich. Es gibt deshalb Stimmen, die über den Holocaust eine Art Bilderverbot verhängen, ihn der künstlerischen Darstellung völlig entziehen wollen. Imre Kertész, selbst Auschwitz-Überlebender, spricht vom »Chor von Holocaust-Puritanern, Holocaust-Dogmatikern und Holocaust-Usurpatoren«. Durchsetzen werden diese Stimmen sich nicht. Und so wird die Spannung zwischen dem, was objektiv und was subjektiv erlaubt ist, weiterhin den Diskurs bestimmen. Spätestens in vierzehn Tagen wieder, wenn Oskar Roehler auf der Berlinale seinen Jud Süß präsentieren wird, in dem es um Veit Harlans berüchtigtem antisemitischen Hetzfilm geht. Vor der Aufführung sollte man vielleicht noch einmal in Susan Sontags Essay Fascinating Facism hineinschauen. Darin warnt die 2004 verstorbene Autorin davor, »die Leute … unempfindlich zu machen, wenn Nazi-Material ins weite Repertoire der populären Ikonografie eingeht.«

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