Erfolgsrezepte sind nicht ohne Risiko. Das gilt auch für die Buchbranche. Da gibt es Trends, auf die man setzt, und von heut’ auf morgen will der Leser nichts mehr davon wissen. Die Sache ist ausgelutscht. Im Kinder- und Jugendbuchbereich ist das ein bisschen anders. Es gibt Trends, die haben beinahe etwas Gesetzhaftes. Tierbücher gehen immer, auch Internatsgeschichten, Detektivromane ... und Fantasy sowieso. Man darf es den Verlagen daher kaum verdenken, wenn sie in diesen harten Zeiten auf ein paar sichere Pferde setzen.
Zurück zum Erfolgsrezept. Wir werfen in einen großen Topf: etwas Fantasie, ein bisschen Zeitreise, eine Prise Mittelalter, einen Hauch Liebesgeschichte, viel Spannung und schlaue Kinderhelden. Dann kräftig rühren. Fertig. Nicht ganz. Ein Cover muss noch auf den Titel (von Claudio Prati), geheimnisvoll, fantastisch, ein bisschen düster, hyperrealistisch. Dann kann eigentlich nichts mehr schiefgehen.
schräg Dass Myriam Halberstam, Leiterin des Ariella-Verlags, des bis dato einzigen jüdischen Kinder- und Jugendbuchverlags in Deutschland, Die Gondel mit dem magischen Schwert von Rosa Hipp in ihr Programm aufgenommen hat, hat sicher mehrere Gründe. Jedenfalls macht das Buch mit dem etwas schrägen Titel deutlich, wie breit das Spektrum ist, wenn man mit seinem Angebot ein junges jüdisches (und nichtjüdisches) Lesepublikum bedienen möchte. Ja, eigentlich lässt sich sagen, dass das Spektrum kein bisschen kleiner ist als bei den Riesenverlagen.
Venedig mit seinen Gässchen, in denen Geheimnisse lauern, ist schon seit geraumer Zeit von Autoren für Kinder und Jugendliche entdeckt worden (ganz prominent: Cornelia Funkes Herr der Diebe und Mirjam Presslers Shylocks Tochter). Kommt ein aktueller Anlass hinzu – das jüdische Ghetto von Venedig, das erste Ghetto überhaupt, wird im kommenden Jahr 500 Jahre alt –, müsste alles passen.
Das Buch ist mustergültig, fast schablonenhaft. Es beginnt mit einem Kurzurlaub in Venedig, der für die jugendliche Heldin Maja, etwa zwölf Jahre alt, nichts verspricht (viel lieber würde sie in der Küche bei ihrer norddeutschen Oma sitzen und Kartoffelpuffer essen), der aber dann so richtig Fahrt aufnimmt.
unaufgeregt Deutsche Familie besucht italienische Familie, die Canettis nämlich, eine jüdische Mischpoche. Die Bekanntschaft beruht auf einer Brieffreundschaft zwischen den beiden Müttern. Dass das Jüdische in diesem Buch eine sehr unaufgeregte bis zufällige Rolle spielt (bis auf die eine, ein wenig pflichtbewusste Stelle, in der Maja ihre Mutter und Oma belauscht, die vom letzten Krieg und den Juden flüstern), ist eher angenehm. Zur Brieffreundschaft zwischen Gerlinde und Sarah ist es vor Jahren durch einen roten Luftballon mit Zettelchen daran gekommen, der es über die Alpen geschafft hatte.
Wo Konstruktion nötig ist, muss man konstruieren. Jedenfalls geraten das Mädchen Maja und der etwa gleichaltrige Sohn der italienischen Familie, Rafael, in eine Zeitmaschine und damit ins Ghetto des 16. Jahrhunderts, wo sie Rahel
kennenlernen. Der Leser erfährt die Enge, Armut und Bedrücktheit des Ghettos.
dicht Überhaupt bemüht sich Rosa Hipp in ihrem ersten Buch um dichte Atmosphäre. Man kann die Sehnsucht von Rahel nachvollziehen, aus dem Ghetto auszubrechen und das Leben jenseits der Mauern zu genießen. Dort allerdings sind Juden nicht gern gesehen. Höchstens, wenn die Reichen und Schönen, aber auch die Schurken, einen Nutzen davon haben.
Rahels Vater, ein anerkannter Dottore, der auch außerhalb des Ghettos gefragt ist, wird denunziert, er wird für einen Giftanschlag auf die Wachen im Arsenale verantwortlich gemacht, um von den wirklich Schuldigen abzulenken. Die haben ein Feuer gelegt und wollen wichtige Unterlagen entwenden, die dem Feind zugespielt werden sollen. Dem Vater droht Folter oder Schlimmeres. Ganz Venedig ist in Gefahr. Die Rettungsaktion ist eine Jagd von Campo zu Campo.
Das alles ist Unterhaltung pur, liest sich runter wie nichts und macht Lust auf einen Tag Venedig, zu dem nicht nur die Gondeln gehören, sondern auch das Ghetto.
Rosa Hipp: »Die Gondel mit dem magischen Schwert«. Roman. Ariella, Berlin 2015, 228 S., 14,99 € (ab 10 Jahren)