Alle, die sich mit der Geschichte des modernen Hebräischen befassen, kennen die Erzählung, wie Eliezer Jitzchak Perlman (1858–1922), ein Jude aus dem Gebiet des heutigen Weißrussland, in seiner Jugend – schneller als er Rabbi werden konnte – zuerst ein jüdischer Aufklärer und dann beinahe ein russischer Nationalist wurde, um gleich danach ein französischer Arzt werden zu wollen. Er hat seine »Laufbahnkurve« gerade noch bekommen und schaffte es, ein Zionist und Publizist zu werden. Dann änderte er seinen Namen zu Ben-Jehuda, um kurz danach das moderne Hebräisch, so die Legende, zu erschaffen oder wiederzubeleben.
Diese romantische Vorstellung von Eliezer Ben-Jehuda als dem Vater des Iwrit lebt weiter, trotz aller neuen und alten Erkenntnisse über die Entwicklung dieser Sprache im 19. und im 20. Jahrhundert. Allerdings vergisst man allzu oft, dass gerade im 19. und sogar im ausgehenden 18. Jahrhundert das Hebräische viele wichtige Stationen auf dem Weg zu seinem modernen Status durchmachte. Und noch weniger bekannt ist, dass dem deutschen kulturellen und geografischen Raum dabei die Ehre zukam, diese »Geburt« in vielerlei Hinsicht zu gestalten und zu begleiten.
Die jüdischen Aufklärer glänzten mit religiöser und sprachlicher Bildung.
Die Teilhabe der vermögenden und interessierten Juden am kulturellen Geschehen der deutschen Gesellschaft im 18. Jahrhundert bedingte zusammen mit der politischen Emanzipation der Juden in europäischen Gesellschaften das Aufkommen der jüdischen Aufklärung. Die hebräische Bezeichnung dafür, Haskala, bedeutet »Verwendung des Verstandes« und steht programmatisch für die Hinwendung zu profanen Wissenschaften und aufklärerischen Methoden der Welterkenntnis und -erklärung.
Hebräisch war die Sprache der innerjüdischen Kommunikation nicht nur in Europa. Doch sie war noch nicht so stark vertreten, als dass sie sich mit den anderen Nationalsprachen hätte messen können. Während des Mittelalters und der Neuzeit wurden viele wissenschaftliche Abhandlungen auf Hebräisch verfasst. Die jüdischen Aufklärer bedienten sich ebenfalls dieser Sprache, um ihre Einsichten unter den Söhnen und Töchtern ihres Volkes zu verbreiten.
Moses Mendelssohn und Tuvia Bock verlegten die erste hebräische Zeitschrift
Dass der Philosoph und Aufklärer Moses Mendelssohn (1729–1786) zusammen mit einem gewissen Tuvia Bock, über den sonst nichts bekannt ist, anfing, die weltweit erste hebräische Zeitschrift zu verlegen, war eine Konsequenz daraus. 1755 erschienen in Berlin zwei Ausgaben dieses Werkes. Der kulturell-philosophische sowie der sprachliche Gehalt dieses Organs war hoch, die Sprache kein »leichtes Hebräisch«, sondern eine mit vielen Anspielungen an die biblischen Texte durchsetzte Ausdrucksweise eines Welterklärers.
Schon der hebräische Titel des Werkes Kohelet Musar (קהלת מוסר), der auf das biblische Buch Prediger/Kohelet anspielt, lässt sowohl die Tragweite des Anspruchs der Herausgeber erkennen als einen auch um die passende Übersetzung ringen. Übersetzen lässt er sich als »Verkünder der Moral«, als »Moralphilosoph« oder als »Anrater betreffs Ethik«. Wir wissen nicht, warum Kohelet Musar nicht fortgeführt wurde, doch auch das zweite jüdische Periodikum, genannt Hameasef (המאסף), »Der Sammler« oder »Der Zusammenleser«, erschien auf deutschem Boden.
Herausgegeben von Isaac Euchel (1756–1804), erschien es zuerst 1783 in Königsberg und ab 1787 in Berlin. Diese Zeitschrift, die mit einigen Unterbrechungen bis 1808 gedruckt wurde, war umfangreicher als ihr Vorläufer, enthielt Texte von mehreren Autoren sowie Leserbriefe und behandelte eine Fülle von Themen, angefangen von historischen und philosophischen Betrachtungen über aktuelle Ereignisse sowie eine Bücherschau bis zur Poesie und zu Lobesgesängen auf den König Wilhelm Friedrich II. (1744–1797).
Die hebräischen Periodika des 18. und 19. Jahrhunderts haben viel zum Werden des modernen Hebräischen beigetragen.
Das jüdische Volk ist bekanntermaßen ein Volk der Philosophen und Dichter, was die ersten Periodika mit ihren Texten eindrucksvoll belegen, konnten doch die jüdischen Aufklärer in ihren Publikationen mit religiöser und sprachlicher Bildung glänzen. Die Sprache des Hameasef, genauso wie die seines Vorgängers, orientierte sich an der Hebräischen Bibel, war bisweilen pathetisch und hochtrabend in poetischen Kompositionen, und es bedarf sowohl guter Kenntnisse der traditionellen literarischen Quellen als auch des Hebräischen, um die Gedichte und darin enthaltene Anspielungen zu verstehen.
Das Sprachniveau der Zeitschrift macht deutlich, dass die Texte nicht als Unterrichtsgegenstand, sondern als gelehrte Literatur verstanden wurden. Diejenigen, die die sprachlich verschlüsselten Bedeutungen decodieren wollten, mussten über eine solide jüdische Bildung verfügen.
Neben dem hebräischen Kulturraum sprach Hameasef ebenfalls die der deutschen Sprache mächtige Leserschaft an und tat dies bisweilen in einer Form, die Zusammenleben und Nebeneinander der beiden Kulturen offenbarte.
So erschien schon in der ersten Nummer der Zeitschrift auf ihrer letzten Seite eine deutsche »Nachschrift«, die in hebräischen Buchstaben gedruckt wurde und die Leser zur Zusammenarbeit mit den Herausgebern einlud. Solche Nachschriften gab es vereinzelt auch in den späteren Ausgaben. Die Januarausgabe von 1784 wurde von einer deutschen Beilage begleitet, die um ein Fünftel stärker war als der hebräische Textteil.
»Von Mose bis Mose stand keiner auf wie Mose«
Der Spruch »Von Mose bis Mose stand keiner auf wie Mose«, den Rabbiner Joseph Ben Hayyim Jabez (1438–1539) formulierte, ist eine Würdigung der geistigen Errungenschaften des Arztes, Philosophen und Gesetzeskommentators Moses Maimonides (1138–1204). Hierin werden die Leistungen des Maimonides mit denen des biblischen Moses verglichen.
Der Geltungsbereich dieses Spruches kann über seine zeitliche Verortung in eine weitere Vergangenheit des jüdischen Volkes und seiner Kulturen sowie in die Zukunft aus der Sicht des Urhebers des Spruches ausgedehnt werden. In einer womöglich kühnen Umdeutung beziehungsweise Überstrapazierung seiner ursprünglichen Intention kann der Geltungsbereich bis hin zu Moses Mendelssohn erweitert werden.
Somit kann eine Triade von Persönlichkeiten hervorgehoben werden, die nicht nur Formationen des Judentums prägten, sondern mit ihren Werken auch die hebräische Sprache mit ihren Ausdrucksmöglichkeiten weiterentwickelten.
Mit dem ersten Moses ist die Sprache der Tora in ihren prosaischen, juristischen und poetischen Texten verbunden. Maimonides prägte maßgeblich die Ausdrucksmittel des mittelalterlichen philosophischen und halachischen Hebräisch in einer arabischsprachigen Umgebung, während Mendelssohn in einer deutschsprachigen Umgebung sowohl zur Auseinandersetzung mit der jüdischen Bibel in hebräischer und deutscher Sprache als auch zur Rückkehr zum Hebräischen als dem kulturellen Erbe des unter den Nationen verstreuten jüdischen Volkes anmahnte.
Die Wirkmächtigkeit des antiken und des mittelalterlichen Moses ist unbestritten, und auch der neuzeitliche Moses gab mit seinen philosophischen und literarischen Vorstößen wichtige Impulse nicht nur für die jüdische Bildung und Religionsphilosophie, sondern auch für die Weiterentwicklung des Hebräischen.
Die hebräischen Periodika des 18. und des 19. Jahrhunderts stellen eine wichtige Quelle sowohl für die Geschichte des jüdischen Lebens in entsprechenden Regionen als auch für die Entwicklung der hebräischen Sprache dar. Den ersten beiden Zeitschriften folgten weitere Periodika, einige von ihnen wurden zu Wochenzeitungen ausgebaut und erschienen im deutschsprachigen Raum wie Haroeh (הרואה), »Der Seher«, in Lemberg (1837), Hamagid (המגיד), »Der Bote«, in Lyck (heute Ełk), Berlin, Krakau und Wien (1856–1903), Hajehudi hanitzchi (היהודי הנצחי), »Der ewige Jude«, in Lemberg (1866), Haschachar (השחר), »Der Morgen«, in Wien (1868–1884).
Sie alle haben viel zum Werden des modernen Hebräischen beigetragen, noch bevor Eliezer Ben-Jehuda Russisch oder Französisch lesen konnte.
Der Autor ist Professor für Hebräische Sprachwissenschaft und stellvertretender Rektor der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg (HfJS).