Ehrung

Geboren in Magdeburg, geborgen in Tel Aviv

In Berlin: Menahem Pressler Foto: Marco Borggreve

Zuerst sollte es die Geige werden. Als Menahem Pressler am 16. Dezember 1923 in Magdeburg zur Welt kam, verlief das Leben seiner Eltern in festen Bahnen. Das Textilgeschäft florierte, die Presslers waren eine angesehene Familie. Als gläubige Juden gingen sie außerdem an allen Feiertagen in die Schul, wo nicht nur gebetet, sondern auch gesungen und getanzt wurde. Die Musik gehörte dazu, und weil sein Vater Geige spielte, entschied sich auch Menahem dafür.

Das Klavier überließ er seinem jüngeren Bruder. »Doch als der Klavierlehrer zu uns nach Hause kam, war mein Bruder immer müde«, erinnert sich der 88-Jährige, »deswegen habe ich die Klavierstunden genommen. So hab’ ich beide Instrumente gespielt.« Erst als die Schule mehr Zeit fordert und er sich zwischen den Instrumenten entscheiden muss, fällt die Wahl auf das Klavier.

Pogromnacht Den Namen seines Klavierlehrers hat er nie vergessen: »Herr Kitzel war Organist in einer Kirche, und als die Zeit kam, da man jüdische Kinder nicht unterrichten durfte, hat er mich trotzdem unterrichtet, darum denke ich sehr oft an ihn.« Auch viele der Kunden blieben dem jüdischen Textilgeschäft treu, doch nach der Pogromnacht, die die Familie versteckt in ihrer abgedunkelten Wohnung verbrachte, war klar, dass die Presslers keine Zukunft in Deutschland hatten. Im Sommer 1939, wenige Wochen vor Beginn des Krieges, flohen sie über Italien nach Palästina. Der 15-jährige Menahem reagierte auf seine Weise auf die Emigration: »Ich wurde immer dünner und schwächer und von Ärzten in ein Erholungsheim geschickt, aber es war die Musik, die mich rettete. Sie war für mich wie eine Hülle, die mich geschützt hat: Nur in ihr konnte ich Gefühle zulassen und ausdrücken.«

In Palästina erhält Pressler von ebenfalls emigrierten Pianisten professionellen Klavierunterricht, hier lernt er seine Frau kennen, mit der er seit über 60 Jahren verheiratet ist. Und auch sein Selbstverständnis als Jude hat sich durch diese Zeit verändert: weg von der Religion und hin zur Nation. Pressler ist überzeugter Zionist: »Wir haben all das, was ein Volk braucht: ein Land, eine Sprache, Musiker, Ärzte, Wissenschaftler, Lehrer, Piloten.«

Die Verbundenheit mit dem jüdischen Staat ist tief, auch wenn Pressler kaum in ihm gelebt hat. Bis heute hat er eine Wohnung in Tel Aviv, mit seiner Frau spricht er Hebräisch, doch um seine Karriere als Klavierspieler voranzutreiben, zog er bereits Mitte der 40er-Jahre in die USA. Dort gelang ihm der Durchbruch: 1946 gewann er beim Debussy-Klavierwettbewerb in San Francisco den ersten Preis.

Solist Danach folgte eine bis heute ungebrochene Karriere: Zunächst machte sich Pressler als Solist einen Namen, 1955 gründete er das Beaux Arts Trio: Bis zu seiner Auflösung vor vier Jahren galt es als eines der bedeutendsten Klaviertrios weltweit. Daneben unterrichtet er seit sechs Jahrzehnten als Professor an der größten Musikhochschule der Welt: der »Jacobs School of Music« an der Universität Indiana in Bloomington.

Noch heute ist Menahem Pressler ständig auf Achse. »Ich bin wie Barenboim«, sagt er, »ich muss immer Konzerte geben.« Seine Reisen führen ihn rund um den Globus – und immer wieder in das Land, in dem er geboren wurde, in dessen Sprache er träumt und dessen kulturelles Erbe er bis heute bewundert. Aber es ist auch das Land, das für die Schoa verantwortlich ist, macht Pressler in seiner Antwort auf die ihm angebotene Einbürgerung deutlich: »Meine nächsten Angehörigen überlebten, aber die meisten meiner Verwandten kamen um. Ich nehme diese Staatsangehörigkeit im Gedenken an all die tapferen Herzen an, denen es versagt war, mein Glück zu teilen.«

Zur feierlichen Übergabe der Einbürgerungsurkunde am heutigen Donnerstag macht Pressler gerne einen Abstecher nach Berlin. Die Stadt sei für ihn wie ein zweites Zuhause: »Ich liebe Berlin genauso, wie ich Bloomington liebe, wo ich seit über 50 Jahren lebe. Aber geborgen«, fügt er nach einer Pause hinzu, »fühle ich mich in Tel Aviv, wo ich weiß, dass ich jederzeit willkommen bin.«

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. Februar bis zum 27. Februar

 21.02.2025

Berlinale

»Das verdient kein öffentliches Geld«

Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner hat seine Karte für die Abschlussgala zerrissen – und will die Förderung für das Filmfestival streichen

von Ayala Goldmann  21.02.2025

Bayern

NS-Raubkunst: Zentralrat fordert schnelle Aufklärung

Der Zentralrat der Juden verlangt von den Verantwortlichen im Freistaat, die in der »Süddeutschen Zeitung« erhobenen Vorwürfe schnell zu klären

 20.02.2025

Kolumne

Unentschlossen vor der Wahl? Sie sind in guter Gesellschaft – mit Maimonides

Der jüdische Weise befasste sich mit der Frage: Sollten wir als Kopfmenschen mit all unserem Wissen auch bei Lebensentscheidendem dem Instinkt vertrauen?

von Maria Ossowski  20.02.2025

Berlin

Eine krasse Show hinlegen

Noah Levi trat beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. In die nächste Runde kam er nicht, seinen Weg geht er trotzdem

von Helmut Kuhn  20.02.2025

NS-Unrecht

Jüdische Erben: »Bayern hat uns betrogen« - Claims Conference spricht von »Vertrauensbruch«

Laut »Süddeutscher Zeitung« ist der Freistaat im Besitz von 200 eindeutig als NS-Raubkunst identifizierten Kunstwerken, hat dies der Öffentlichkeit aber jahrelang verheimlicht

von Michael Thaidigsmann  20.02.2025

Literatur

»Die Mazze-Packung kreiste wie ein Joint«

Jakob Heins neuer Roman handelt von einer berauschenden Idee in der DDR. Ein Gespräch über Cannabis, schreibende Ärzte und jüdischen Schinken

von Katrin Richter  20.02.2025

Berlinale

Auseinandergerissen

Sternstunde des Kinos: Eine Doku widmet sich David Cunio, der am 7. Oktober 2023 nach Gaza entführt wurde, und seinem Zwillingsbruder Eitan, der in Israel auf ihn wartet

von Ayala Goldmann, Katrin Richter  19.02.2025

Berlin

»Sind enttäuscht« - Berlinale äußert sich zu Antisemitismus-Skandal

»Beiträge, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, überschreiten in Deutschland und auf der Berlinale eine rote Linie«, heißt es in einer Erklärung des Festivals

von Imanuel Marcus  19.02.2025