Gender Studies

Gebete und Gerechtigkeit

Bertha Pappenheim als Glückel von Hameln auf einem Gemälde von Leopold Pilich (1925) Foto: JMB

Gender Studies

Gebete und Gerechtigkeit

Zum 75. Todestag von Bertha Pappenheim

von Hartmut Bomhoff  23.05.2011 18:18 Uhr

Wir wollen nicht glauben, dass das Gefäß solcher Kraft zerbrochen ist», schrieb die Historikerin Eva Reichmann nach dem Tod von Bertha Pappenheim. Die Begründerin des Jüdischen Frauenbundes war am 28. Mai 1936 im Alter von 77 Jahren in Frankfurt am Main an einem Krebsleiden gestorben, zusätzlich erschöpft durch eine Befragung durch die Offenbacher Gestapo. Der Philosoph Martin Buber war von der Frauenrechtlerin so sehr beeindruckt, dass er sie an ihrem Grab als «weiblichen Mose» bezeichnete.

Bertha Pappenheim, deren Lebenswerk inzwischen als weiblich-jüdisches «Projekt der Moderne» bezeichnet wird, stammte aus einer wohlhabenden und streng orthodoxen jüdischen Familie in Wien. Ein Jahr nach ihr, 1860, wurde der ständig bevorzugte Bruder Wilhelm geboren: «Trotzdem den alten Juden die Erfahrung der Unentbehrlichkeit der Frau nicht entgangen sein konnte, wird das weibliche Kind bei ihnen als Geschöpf zweiter Güte betrachtet», schrieb sie später.

Als höhere Tochter lebte sie mit Gouvernante, Mädchenschule und Platz auf der Frauenempore, kultureller Bildung, Fremdsprachen-, Klavier- und Reitunterricht, Sommerfrische und Vorbereitung auf eine arrangierte Ehe.

psychoanalyse Bei der Pflege ihres kranken Vaters war Bertha Pappenheim um 1880 selbst von einer Krankheit befallen worden, die als «Hysterie» diagnostiziert und als Folge eines unausgefüllten Lebens verstanden wurde. 1895 beschrieben Sigmund Freud und Josef Breuer ihren Fall; als «Anna O.» erlangte Pappenheim so Weltberühmtheit als Beispiel-Hysterikerin und verhalf Breuer und Freud zur Begründung ihrer Thesen zur Psychoanalyse. Vollkommen geheilt war sie erst mit 29 Jahren, als sie ihr eigenes Leben führen konnte und ihre Aufgabe gefunden hatte.

1888 begann sie, eigene Erzählungen zu veröffentlichen. Ab 1893 leistete sie in Frankfurt am Main Wohlfahrtsarbeit und übernahm 1895 die Leitung eines Waisenhauses für jüdische Mädchen. Mit dem Schicksal der Mädchen konfrontiert, begann sie sich mit Frauenfragen auseinanderzusetzen: 1899 übersetzt sie schließlich Mary Wollstonecrafts A Vindication of the Rights of Women. 1904 gehörte Pappenheim zu den Begründerinnen des Jüdischen Frauenbundes, den sie über 20 Jahre lang leitete und der ein Mädchenwohnheim in Neu-Isenburg einrichtete. Ihr Bemühen galt mehr und mehr der Berufsausbildung und der Selbstständigkeit der Frauen im Leben nach dem Heimaufenthalt und weniger der ausschließlichen Ausrichtung auf eine spätere Verheiratung.

Mit ihrer liberalen Haltung trug sie sich die Kritik orthodoxer jüdischer Kreise ein. Pappenheim betonte die Wichtigkeit, armen Frauen eine Ausbildung zu geben, um sie vor unkontrollierbaren Abhängigkeitsverhältnissen zu bewahren. 1917 regte sie die Gründung der Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden an.

frauengeschichte Pappenheim beschäftigte sich auch mit jüdischer Frauengeschichte. Sie übersetzte 1910 die Memoiren der Glückel von Hameln und 1930 die Frauenbibel Zeena u’Reena ins Deutsche: «Das Volk der Bücher verschloss den Frauen den Zugang zum jüdischen geistigen Leben, zu seinen Quellen; nur stückweise und zurechtgestutzt sollten sie glauben und tun, ohne zu wissen, warum», lautete ihr Resümee.

1925 ließ sie sich von Leopold Pilichowski im historischen Kostüm ihrer entfernten Verwandten Glückel malen. 1936 erschien eine Auswahl ihrer Gebete, die 2003 im Berliner Verlag Hentrich und Hentrich neu aufgelegt wurden. Darin findet sich auch das Gebet «Anruf» (1935), das mit diesen Zeilen endet: «Fordere, fordere, damit ich jeden Atemzug meines Lebens in meinem Gewissen fühle, es ist ein Gott.»

«Bertha Pappenheim appellierte immer wieder an das Gemeinschaftsgefühl aller, soziale Verantwortung nicht allein an Fachkräfte zu delegieren, sondern als Persönlichkeitsbereicherung und gemeinschaftsfördernden Impuls zu leben», schrieb dazu die evangelische Theologin Britta Konz in ihrer 2005 veröffentlichten Dissertation über Pappenheim.

Der Nachlass von Bertha Pappenheim verbrannte in der Pogromnacht im November 1938 im Isenburger Heim. Die Erinnerung an sie ist aber zumindest innerhalb der Tradition der jüdischen Frauenbewegung lebendig geblieben. «Als in den 90er-Jahren vielerorts in Deutschland Aufbruchstimmung in den jüdischen Gemeinden herrschte, engagierten sich gerade viele Frauen in Rosch-Chodesch-Gruppen oder egalitären Minjanim für ein geschlechtergerechtes Judentum», erklärt dazu Lara Dämmig, Mitinitiatorin des jüdischen Frauennetzwerkes Bet Debora, das der Frauenrechtlerin und Sozialarbeiterin Pappenheim Anfang Mai in Berlin eine Podiumsdiskussion widmete. «Als wir Bet Debora vor mehr als zehn Jahren gründeten, wollten wir auch an unsere eigenen Traditionen anknüpfen. Deshalb ist es uns ein wichtiges Anliegen, an Bertha Pappenheim zu erinnern, die sich vor der Schoa auf vielfältige Weise für die Rechte von Frauen einsetzte.»

Antisemitismus

Gert Rosenthal: »Würde nicht mit Kippa durch Neukölln laufen«

Die Bedrohung durch Antisemitismus belastet viele Jüdinnen und Juden. Auch Gert Rosenthal sieht die Situation kritisch - und erläutert, welche Rolle sein Vater, der Entertainer Hans Rosenthal, heute spielen würde

 01.04.2025

Berlin

Hans Rosenthal entdeckte Show-Ideen in Fabriken

Zum 100. Geburtstag des jüdischen Entertainers erzählen seine Kinder über die Pläne, die er vor seinem Tod noch hatte. Ein »Dalli Dalli«-Nachfolger lag schon in der Schublade

von Christof Bock  01.04.2025

Künstliches Comeback

Deutschlandfunk lässt Hans Rosenthal wiederaufleben

Der Moderator ist bereits 1987 verstorben, doch nun soll seine Stimme wieder im Radio erklingen – dank KI

 01.04.2025

Interview

Günther Jauch: »Hans Rosenthal war ein Idol meiner Kindheit«

Der TV-Moderator über den legendären jüdischen Showmaster und seinen eigenen Auftritt bei »Dalli Dalli« vor 42 Jahren

von Michael Thaidigsmann  01.04.2025

Jubiläum

Immer auf dem Sprung

Der Mann flitzte förmlich zu schmissigen Big-Band-Klängen auf die Bühne. »Tempo ist unsere Devise«, so Hans Rosenthal bei der Premiere von »Dalli Dalli«. Das TV-Ratespiel bleibt nicht sein einziges Vermächtnis

von Joachim Heinz  01.04.2025

TV-Legende

Rosenthal-Spielfilm: Vom versteckten Juden zum Publikumsliebling

»Zwei Leben in Deutschland«, so der Titel seiner Autobiografie, hat Hans Rosenthal gelebt: Als von den Nazis verfolgter Jude und später als erfolgreicher Showmaster. Ein Spielfilm spürt diesem Zwiespalt nun gekonnt nach

von Katharina Zeckau  01.04.2025

Geschichte

»Der ist auch a Jid«

Vor 54 Jahren lief Hans Rosenthals »Dalli Dalli« zum ersten Mal im Fernsehen. Unser Autor erinnert sich daran, wie wichtig die Sendung für die junge Bundesrepublik und deutsche Juden war

von Lorenz S. Beckhardt  01.04.2025 Aktualisiert

Hans Rosenthal

»Zunächst wurde er von den Deutschen verfolgt - dann bejubelt«

Er überlebte den Holocaust als versteckter Jude, als Quizmaster liebte ihn Deutschland: Hans Rosenthal. Seine Kinder sprechen über sein Vermächtnis und die Erinnerung an ihren Vater

von Katharina Zeckau  01.04.2025

TV-Spielfilm

ARD dreht prominent besetztes Dokudrama zu Nürnberger Prozessen

Nazi-Kriegsverbrecher und Holocaust-Überlebende in einem weltbewegenden Prozess: Zum 80. Jahrestag dreht die ARD ein Drama über die Nürnberger Prozesse - aus der Sicht zweier junger Überlebender

 01.04.2025