Frau Ben Shalom, wie fühlen Sie sich, wenn Sie verliebt sind?
Das, was Menschen als Verliebtsein verstehen, wenn man sich zu jemandem hingezogen fühlt, ist nicht unbedingt Liebe, sondern Lust. Das ist Begehren, das ist »Ich mag dich. Ich will dich«. Aber Liebe, das ist ein tiefes Gefühl. Die Wurzel des Wortes »Liebe« im Hebräischen ist auch die des Wortes »geben«. Das Geben ist die Wurzel der Liebe. Wenn du also verliebt bist, fühlst du dich mit einem Partner verbunden. Du fühlst den Wunsch, deinem Partner etwas zu geben. Daher ist das Gefühl der Liebe für mich ein sicheres, ruhiges, geerdetes Gefühl, ein sehr tröstliches Gefühl – wie eine große Umarmung. Daran sollten die Leute denken, wenn sie an Liebe denken und Schmetterlinge im Bauch haben.
Warum scheint es so schwer, diese eine Liebe zu finden?
Es gibt mehr als eine da draußen für uns, und wir haben die Möglichkeit zu wählen, mit wem wir zusammen sein wollen. Vielleicht ist es schwierig, weil wir in dieser Welt zwei individuelle Wesen miteinander verbinden, aber spirituell gesehen wollen wir Menschen zu einer Einheit zusammenbringen. Dahinter stehen auch zwei Familien, die Art und Weise, wie und wo wir aufgewachsen sind, Hobbys, Persönlichkeit, unser Judentum. Es gibt so viele Nuancen und Details. All dies zusammenzubringen, gehört dazu. Es ist übrigens ganz normal, dass man Menschen findet, die nicht zu einem passen. Jemanden zu finden, mit dem alles wirklich einen Sinn ergibt, ist schon sehr besonders.
Und da kommen Sie ins Spiel. Ist Matchmakerin für Sie Beruf oder Berufung?
Definitiv eine Berufung. Ich wusste früher gar nicht, dass es diesen Beruf eines Tages geben könnte. Heute gibt es Coaching-Schulen und professionelle Institute. Und wir sind auch dabei – das ist jetzt übrigens sehr exklusiv –, eine »Match University« zu gründen. Wir werden Matchmaker, Coaches und Menschen ausbilden, die den Matchmaking-Prozess auf eine sehr professionelle, reale Art und Weise erlernen und unterstützen wollen.
Welche Begabung muss eine Matchmakerin oder ein Matchmaker mitbringen?
Intuition.
Wie sah der Anfang als Matchmakerin aus?
Ich bin säkular aufgewachsen, nicht religiös. Trotzdem habe ich schon immer Menschen zusammengebracht. Ich war immer eine gute, angenehme, glückliche Vermittlerin. Auf dem College habe ich dann zum ersten Mal ein Paar zusammengebracht, das auch geheiratet hat. Nachdem ich selbst Kinder bekommen hatte, wollte ich einfach wieder arbeiten, aber nicht irgendeinen Job annehmen, weil ich ja mit meinen Kindern zu Hause war. Ich wollte mit Erwachsenen zusammenarbeiten. Eine Freundin erzählte mir davon, Singles zusammenzubringen; und so ging es los. Es hat sich irgendwie alles ganz natürlich ergeben. Von ersten Kursen bis zu internationalen Treffen …
… bis zur Show »Jewish Matchmaking« bei Netflix. Wie kam es dazu?
Über eine Matchmakerin. Meine Freundin Laurie Young, ein Schadchen aus Seattle, rief mich an und sagte: »Aleeza, ich habe einen Anruf von einer Produktionsfirma bekommen, die eine Verkupplungsshow machen will.« Sie gab ihnen meine E-Mail, Telefonnummer und sagte: »Nimm den Hörer ab, sie werden dich anrufen.« Wir haben dann mehrere Interviews gemacht. Ich war unter den ersten fünf, dann unter den ersten drei. Und so weiter.
Sie haben für die Sendung viele Menschen getroffen, die einen Partner oder eine Partnerin finden wollten. Hatten Sie ein Lieblingspaar?
Oh, das ist wie bei Kindern – ich kann keinen besonders hervorheben. Ich habe Lieblingsgeschichten von jedem Einzelnen von ihnen. Einmal sind wir alle zum Schabbat zusammengekommen. Ohne Kameras. Und es war so schön. Einige Leute hatten schon vorher Schabbat gefeiert, andere hatten es noch nie getan. Das war neu für sie, und es war einfach etwas ganz Besonderes. Es war sehr, sehr echt. Jeder der Teilnehmer hat einen besonderen Platz in meinem Herzen – jeder aus einem anderen Grund.
In der Show kommen immer wieder Ausdrücke wie »Flexidox« oder Sprüche wie »If in doubt, go out«, »Date ʼem til you hate ʼem«. Was ist Flexidox?
»Flexidox«, das bedeutet eben etwas anderes als traditionell oder modern orthodox. »Flexidox« bedeutet, ich habe keine Angst vor dem orthodoxen Judentum, aber ich praktiziere es nicht wirklich. Es ist wie ein Menü des Judentums, und ich ziehe das heraus, was für mich funktioniert. Menschen sind nicht säkular, aber auch nicht sehr observant – sie sind irgendwo dazwischen. Und das beschreibt so viele Menschen, mit denen ich gearbeitet habe, dass ich immer wieder Witze mit meinen Kunden gemacht habe. Ich fragte sie: ›Seid ihr Flexidox?‹ Und sie sagten: ›Ja.‹ Und ich sagte: ›Alles gut!‹
Wie kommen Sie auf diese Sprüche?
Ich denke mir einfach solche Sätze und Dinge aus, die Sinn ergeben und einprägsam sind. Flexidox, das ist ein neuer Begriff. Es ist eine neue Art, etwas zu sagen und etwas auszudrücken. Nehmen wir »Date ʼem til you hate ʼem« – niemand vergisst das, auch wenn wir das Wort Hass nicht mögen, wenn es um Liebe geht. Unsere Show soll lehrreich und unterhaltsam sein. Sie sollte spielerisch sein. Es gibt dieses jüdische Sprichwort: »Worte, die aus dem Herzen kommen, gehen ins Herz.« Und spielerische, liebevolle Worte wie diese gehen in die Herzen der Menschen. Sie fühlen sich verbunden. Und das ist so wichtig. Wenn du jemandem helfen willst, sein Leben zu verändern und etwas Sinnvolles für ihn zu tun, dann brauchst du seine Unterstützung. Man braucht da etwas Fingerspitzengefühl und kann nicht einfach sagen: »Du bist zu wählerisch, du bekommst nicht, was du willst, und du solltest dich lieber der Realität stellen.« Das will doch keiner hören. Das ist auch einfach nicht meine Art. Ich mache es auf eine andere Art. Und all diese Sätze sind eben meine Art, das, was ich sagen will, mit einer kleinen Wendung und einem gewissen Pepp zu sagen.
Sind Paare früher länger zusammengeblieben oder täuscht das?
Dafür gibt es wahrscheinlich viele Faktoren: finanzielle Notlage, sozialer oder familiärer Druck. Es könnte sein, dass sie sich in der Welt umgesehen haben, und die Welt war sehr klein, weil es ihre Nachbarschaft war, und sie sagten sich, na ja, es gibt niemand Besseren. Das muss die beste Person für mich sein. Scheidungen waren nicht so üblich und wurden auch definitiv nicht so wie heute akzeptiert. Früher ist man bei einem Partner geblieben. Es war eine ganz andere Welt.
Trotzdem stellen sich auch heute Verabredungen in einigen Fällen als kleine Herausforderungen dar.
Verabredungen sind in jedem Alter und in jeder Phase schwierig. Wenn man will, dass es für einen gemacht wird, dann sind arrangierte Ehen der einzige Weg. Dann heiratet man einfach. Aber es ist nicht leicht, verheiratet zu bleiben.
Wie haben Sie Ihren Mann gefunden?
Wir waren auf einem Treffen in Orlando. Es war eher ein spirituelles Treffen, kein Singletreff. Ich war aus Philadelphia. Er war aus Philadelphia. Ich war damals mit jemand anderem zusammen. Er war mit einer anderen zusammen. Wir kehrten beide nach Philadelphia zurück. Dann fing ich an, Schabbat im Haus seines besten Freundes zu feiern, und er war auch da, weil es sein bester Freund war. Und so lernten wir uns kennen.
Wie viele Jahre sind Sie nun schon zusammen?
Seit über 20 Jahren.
Dating ist überall anders. Warum?
Wir sind sehr stark in unseren Traditionen oder Werten verwurzelt. Und wenn man weniger stark verwurzelt ist, dann stützt man sich vielleicht auf die Kultur des Landes. Jedes Land hat seinen eigenen Geschmack und sein eigenes Gefühl. Ich würde sagen, dass Amerika wahrscheinlich ähnlich ist wie Berlin, was die Art und Weise angeht, wie man sich verabredet.
Braucht man Geduld?
Wenn man eine wirkliche emotionale Bindung aufbaut, dann ist das so etwas wie der Klebstoff, der die Dinge zusammenhält. Wenn man eine körperliche Verbindung hat, hat man eben nur eine körperliche Verbindung. Es ist egal, ob das Körperliche funktioniert. Es ist keine Beziehung, die ein Leben lang halten wird.
Was ist Ihr Rat für all die Frauen und Männer, die einen Partner finden wollen?
Finden Sie jetzt Ihren Partner. Machen Sie alles andere zweitrangig und suchen Sie Ihren Partner. Holen Sie sich ein Netzwerk von Menschen, die Ihnen helfen können. Wenn Sie es allein machen wollen, machen Sie es allein. Aber erschöpfen Sie dadurch nicht. Fragen Sie Freunde, Familie und Kollegen oder engagieren Sie einen Profi. Machen Sie es zu Ihrer vorrangigen Aufgabe. Sie wissen nicht, wann Sie jemanden finden werden. Sie wissen nicht, wie Sie den oder die finden werden. Es ist nicht leicht. Und manchmal ist es ein langer Prozess, manchmal nicht. Wenn Sie wirklich einen Partner wollen, warten Sie nicht noch ein paar Jahre, bis das passiert. Tun Sie es einfach. Jetzt. Wenn es passiert, dann passiert es, und alles andere wird sich von selbst ergeben.
Werden Sie bei der Partnerwahl Ihrer Kinder mitreden?
Ich werde auf jeden Fall eine Meinung haben. Meine Jüngste ist neun, und meine Älteste ist 19. Mit der Älteren sprechen wir natürlich über Verabredungen. Meine Kinder sagen: »Wisst ihr was? Ich mag meine Freunde, und wenn wir nicht heiraten, warum sollte ich mir dann die Mühe machen, auszugehen? Heiraten wird meine Beziehungen ruinieren. Wahrscheinlich werden wir uns trennen, weil wir nicht reif genug sind, um damit umzugehen. Also bleiben wir einfach Freunde.« Und beide haben klugerweise Verabredungen und Verabredungsmöglichkeiten abgelehnt. Aber wenn es darum geht, wirklich jemanden zu finden, haben wir schon gescherzt: Wenn es nicht klappen sollte, wissen sie ja, an wen sie sich wenden können. ›Verkuppeln ist dein Ding.‹ Wenn ich denke, dass es der falsche Partner ist, werde ich ehrlich zu ihnen sein. Aber ich werde nicht einfach sagen: Oh, diese Person ist nicht gut für dich. Ich werde erklären, warum. Ich bin sehr vorurteilsfrei.
Haben Sie und Ihr Mann eigentlich ein gemeinsames Lied?
Mein Mann singt. Er hat eine unglaubliche Stimme. Wir haben einen Niggun – ohne Worte, nur Melodie. Das ist eines dieser Lieder, die unsere Herzen berühren.
Und haben Sie Dinge, die nur Sie als Paar verstehen?
Wir machen immer Witze, wenn etwas passiert, und das ist vielleicht einer dieser Pärchen-Momente, in dem wir dann sagen: ›Das ist ein weiteres Kapitel in unserem Buch.‹ Wir schreiben dieses Buch über all die zufälligen Dinge, die passieren, und die Dinge, die uns einfallen. Zwischendurch denken wir dann über passende Titel nach. Es ist wie eine bewegende Geschichte, die mit uns reist. Vielleicht ein bisschen so wie mit der Tora. Es gibt eine schriftliche und eine mündliche Tradition, und dies ist eben unsere mündliche Tradition. Sie lässt sich nicht so gut aufschreiben. Es ist der Moment, dem etwas Schönes innewohnt.
Mit der Matchmakerin sprach Katrin Richter. »Jewish Matchmaking« ist bei Netflix zu sehen.
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