Alexander Gauland kann sich mittlerweile fast sicher sein, nicht selbst »Vogelschiss« der deutschen Geschichte zu sein. Weil sich seine Partei etabliert hat, glaubt der AfD-Vorsitzende und -Vordenker, er könne den NS-Terror derart bagatellisieren.
Gauland. Die Rache des alten Mannes heißt nun eine neue Biografie, die der Journalist Olaf Sundermeyer vorgelegt hat und die die Frage beantworten möchte, wie der Politiker »vom konservativen Gentleman zum rechten Scharfmacher« wurde, wie der Verlag vorab ankündigte.
»Für seine neuen Parteigänger ist er die Identifikationsfigur und das alterskluge Gesicht der Bewegung«, schreibt Sundermeyer über Gauland. Dass der Mann, der die Bundeskanzlerin »jagen« und Politiker mit vielen Ös und Üs im Namen »in Anatolien entsorgen« will, etlichen Zeitgenossen als seriös erscheint, liegt an Gaulands Vorleben, dem Sundermeyer kenntnisreich und minutiös nachgeht.
Beziehungen Gauland ist, wie Sundermeyer beschreibt, »Fleisch vom Fleische der CDU«, war lange Zeit rechte Hand des damaligen hessischen Ministerpräsidenten und Frankfurter Bürgermeisters Walter Wallmann und unterhielt als politischer Beamter auch gute Beziehungen zur jüdischen Gemeinde Frankfurts. Sogar im Beirat des Jüdischen Museums Berlin saß Gauland eine Weile, und auch mit Marcel Reich-Ranicki, dem Überlebenden des Warschauer Ghettos, pflegte der heutige AfD-Mann freundschaftlichen Kontakt, wie Gauland zumindest heute behauptet.
Mittlerweile relativiert Gauland die Verbrechen der Wehrmacht, aber der Sinn von Sundermeyers Biografie liegt nicht zuletzt darin, zu untersuchen, ob Gauland nicht mehr oder weniger schon immer so gedacht hat und ob sein früheres politisches Wirken nicht ein Hinarbeiten auf den von ihm heute gewollten Schlussstrich unter die Geschichte war.
Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Damals erschien Gauland so manchem jüdischen Frankfurter, etwa Daniel Cohn-Bendit, eher als Linksliberaler, der den reaktionären Wallmann kompatibel für eine weltoffene Großstadt machen sollte. Cohn-Bendit glaubt, in Gaulands Denken einen Bruch erkennen zu können, bedingt durch die Kränkung, nach Wallmanns Aus 1991 nicht mehr gebraucht worden zu sein.
Noch 1994 mischte Gauland bei einer Initiative mit, die den linksliberalen DDR-Bürgerrechtler Jens Reich zum Bundespräsidenten küren wollte. Auch Ignatz Bubis gehörte übrigens zu dieser »Frankfurter Initiative«, die Parteigrenzen überwinden wollte. Gauland wurde bald, als Mann mit exzellenten Verbindungen, Herausgeber der Regionalzeitung »Märkische Allgemeine« und beklagte dort, dass er kein bundesweites Gehör finde. Gern schrieb er deshalb Gastbeiträge für die »Frankfurter Allgemeine«.
wutbürger Bei der AfD war Gauland von Anfang an dabei. Die gilt seinem Biografen Sundermeyer als »eine männlich dominierte Partei mit zwei Ressourcen im Übermaß: Zeit und Wut«. Genau der richtige Verein für Rentner, die sich wichtig wähnen und gerne die Welt lenken würden. Was aber Gauland, der in der AfD die Funktion des »wichtigsten Türöffners für Rechtsextremisten« übernommen hat, wie Sundermeyer schreibt, selbst zu offen völkischen Thesen gebracht hat, wird damit nicht klar.
Gaulands Habitus ist der des kultivierten konservativen Intellektuellen, und diese Rolle spielt Gauland auch noch nach dem mittlerweile dritten Rechtsruck der von Beginn an äußerst rechten Partei. Während Gründungsfiguren wie Bernd Lucke oder Hans-Olaf Henkel und rechte Nachrückerinnen wie Frauke Petry schon längst als zu links aus der Partei vertrieben wurden, ist Gauland immer noch da, immer noch mit dem alten Image und dem alten braun karierten Sakko.
Sundermeyer zeichnet die AfD und die Rolle des Protagonisten Gauland im Vergleich zur Partei der Grünen nach. Der analytische Gewinn dieses Vorgehens, das davon geleitet ist, dass es sich jeweils um erfolgreiche Parteigründungen im parlamentarischen Bereich handelt, überzeugt letztlich aber nicht ganz. Zu sehr gerät das politische Programm Gaulands und seiner Leute aus dem Blick: Was Gauland und die AfD politisch wollen, welche Republik mit welcher außenpolitischen Verortung, welcher Sozialpolitik, welchen Minderheitenrechten, welchem Verständnis von historischer Verantwortung et cetera – darüber erfährt man leider eher wenig in Sundermeyers sonst insgesamt exzellenter Biografie.
macht Die nicht unwichtige Frage, ob Gaulands AfD eher konservativ-rechtspopulistisch oder bereits als faschistisch gelten muss, wird so umschifft. Gauland selbst erscheint in Sundermeyers Darstellung als einer, der primär an persönlicher Macht interessiert ist und seinen Geltungsdrang befriedigt wissen will.
Wenn das jedoch so wäre, hätte ein Alexander Gauland politisch gefahrlos zu den Grünen wechseln und sich als Vordenker schwarz-grüner Bündnisse feiern lassen können. Dass er aber zur ersten offen rechtsextremen Partei, die es in der Geschichte der Bundesrepublik in den Bundestag geschafft hat, gegangen ist – und sogar noch selbst daran mitwirkt, dass diese AfD immer weiter nach rechts rückt –, das ist ein Umstand, der sich so nicht aus dieser sehr informativen Biografie ergibt.
Olaf Sundermeyer: »Gauland. Die Rache des alten Mannes«. C.H. Beck, München 2018, 176 S., 14,95 €