»Match of the Day« heißt Großbritanniens wichtigste Fußballsendung. Kaum jemand hätte gedacht, dass sie innerhalb von Stunden zum Politikum über Flüchtlingspolitik und Pressefreiheit werden könnte. Doch genau das ist geschehen.
Am Samstag sollte die Sendung, normalerweise präsentiert von Englands Ex-Stürmerstar Gary Lineker, ohne Moderator und Experten auskommen, weil der 62-Jährige auf Twitter die Regierung kritisiert hatte. Die öffentlich-rechtliche BBC sah ihre Unabhängigkeit in Gefahr und hatte ihn suspendiert. Die Folge: Experten, TV-Mitarbeiter und Fußballer solidarisierten sich und stürzen die Rundfunkanstalt damit in eine Krise.
Aber der Reihe nach: Alles begann mit einem Tweet Linekers am Dienstag, in dem er die Wortwahl der konservativen Regierung zu Flüchtlingen mit Nazi-Rhetorik aus den 1930er-Jahren verglich.
Premierminister Rishi Sunak und seine Innenministerin Suella Braverman hatten zuvor einen Gesetzentwurf vorgestellt, der irregulär eingereisten Menschen das Recht auf Asyl verwehren soll. Kritik daran kam nicht nur von der Opposition, sondern auch von der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR, die Großbritannien einen Bruch internationaler Verpflichtungen vorwarf.
Rechtsaußen Braverman hatte zuvor von einer »Invasion« von Bootsflüchtlingen gesprochen. Und das, obwohl Großbritannien im Vergleich zu Deutschland nur eine geringe Zahl an Flüchtlingen aufnimmt.
Braverman warf Lineker vor, den Holocaust zu verharmlosen. Mehrere konservative Abgeordnete forderten Konsequenzen für den Ex-Fußballer. Doch Lineker wollte sich nicht entschuldigen. Am Freitag suspendierte die BBC dann ihren bestbezahlten Moderator.
Womit die Anstalt wohl nicht gerechnet hatte: Seine Kollegen bei »Match of the Day«, die Ex-Fußballstars Ian Wright und Alan Shearer, kündigten an, ebenfalls nicht in die Sendung zu kommen. Mehrere BBC-Kollegen schlossen sich an. Die Fußballergewerkschaft PFA stellte sich hinter Premier-League-Spieler, die der Sendung keine Interviews geben wollten. Auch weitere Sportsendungen im Radio und TV mussten abgesagt werden. Die BBC entschuldigte sich am Samstag bei den Fans für die eingeschränkte Berichterstattung.
Lineker ist eine Fußball-Ikone wie in Deutschland Jürgen Klinsmann oder Rudi Völler. Von dem 62-jährigen Ex-Stürmer stammt der noch heute oft zitierte Satz: »Fußball ist ein einfaches Spiel. 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball hinterher und am Ende gewinnen die Deutschen.« Er ist bereits seit mehr als 20 Jahren das Gesicht von »Match of the Day«.
Lineker hat auch 8,8 Millionen Follower auf Twitter und teilte auch in der Vergangenheit immer wieder politische Ansichten, die mit der Meinung der konservativen Regierung in London kollidierten. Vor allem sprach sich der selbstständig für die BBC tätige Moderator offen gegen den Brexit aus und machte sich damit bei den Tories mächtige Feinde.
Die BBC steht schon seit Jahren unter dem Druck der Brexit-Anhänger und Rechtspopulisten in der konservativen Tory-Partei. Deren Darstellung nach ist die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt durchsetzt mit linkslastigen Journalisten, die eine urbane Elite repräsentieren. Aktionen wie im Fall Lineker wirken da wie vorauseilender Gehorsam der BBC, um derartige Kritik zu umgehen.
Es ist nur die jüngste in einer langen Reihe von Auseinandersetzungen, bei der Top-Journalisten der BBC den Rücken kehrten. Hinzu kam immer wieder die Drohung der Regierung, die Rundfunkbeiträge abzuschaffen. Ein Einfrieren der Beiträge führte bereits zu schmerzhaften Sparrunden.
Medienexperten sehen in der Dauerkritik der Tories an der BBC den Versuch, die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu brechen. Die frühere BBC-Journalistin Emily Maitlis machte ihrem Frust darüber bei einer Vorlesung im vergangenen Jahr Luft: »Wir beobachten, wie Politiker eine Richtung einschlagen, die zutiefst und eindeutig schädlich ist für unsere grundlegende demokratische Regierung«, so Maitlis. Wenn eine Seite konstant die Unwahrheit sage, müsse man das auch beim Namen nennen, forderte sie.
Im aktuellen Streit um die Lineker-Suspendierung stellte auch der frühere BBC-Generaldirektor Greg Dyke der Anstalt ein schlechtes Zeugnis aus. »Das wirkliche Problem heute ist, dass die BBC ihre eigene Glaubwürdigkeit untergraben hat, indem sie das getan hat. Weil es von außen so aussieht, als habe sie sich dem Druck der Regierung gebeugt«, sagte Dyke dem Radiosender BBC 4. Premierminister Sunak versuchte am Samstagabend die Regierung aus der Schusslinie zu bringen. Es handle sich um eine Angelegenheit zwischen Lineker und der BBC, die »hoffentlich zeitnah beigelegt werden kann«, ließ er mitteilen.
Nach Ansicht mancher Kritiker ist die »Auntie« (das Tantchen), wie die BBC manchmal auch liebevoll genannt wird, ohnehin längst im Griff der Regierungssympathisanten. So hatte es etwa keine Konsequenzen, als enthüllt wurde, dass der aktuelle BBC-Vorsitzende Richard Sharp dem bei seiner Einstellung amtierenden Premierminister Boris Johnson einen Privatkredit verschafft hatte - ohne das als Interessenkonflikt anzugeben.