Levana Kirschenbaum. Helen Nash. Stella Cohen. Diese drei Köchinnen aus New York und Zimbabwe haben in jüngerer Zeit fast im Alleingang der jüdischen Küche wieder zu Reputation verholfen. Auch dank bunt bebilderter Kochbücher. Im Gegensatz dazu ist Claudia Rodens Das Buch der Jüdischen Küche angenehm altmodisch, denn es verzichtet gänzlich auf bunt lockende Foodfotografien, deren dokumentierte Endergebnisse wohl nur hoch ambitionierte Hobbyköche erreichen. Dafür weist es reizvolle historische Aufnahmen auf. Und überragt Kirschenbaums The Whole Foods Kosher Kitchen oder Helen Nashs New Kosher Cuisine.
Jahrzehntelang hat die 1936 in Kairo geborene, heute in London lebende Autorin, deren Vorfahren aus Aleppo stammen, recherchiert für ihr großformatiges, fast 600-seitiges Opus magnum. Hat mit unüberschaubar vielen Menschen gesprochen, gekocht, sich durch Tausende von Speisen probiert und abgeschmeckt, hat das gleiche Gericht mit Rezepten aus anderen Städten, Regionen, Ländern verglichen, nachgekocht, probieren lassen. Nun, nach mehreren Jahren Vorbereitung, liegt es endlich auch auf Deutsch vor, geschmeidig übersetzt von Margot Fischer und rezeptuös auf den neuesten Stand gebracht von Inge Fasan.
kulturarchiv Schön gedruckt ist das Buch, auf leicht gelbem, augenschonendem Papier. Und gut gebunden. Sodass es auch länger aufgeschlagen liegen bleiben kann, ohne dass man fürchten muss, es nehme Schaden. Obwohl es für die Küche fast zu wertvoll ist. Und derart überreich an Details und Anekdoten, bei denen man sich festliest, während das Hühnchen trocken wird, das Gemüse verkocht ist, der Spinat alt wird und die Mandelpaste unbearbeitet bleibt.
Denn es ist weitaus mehr als eine Anleitung zum Bereiten von Speisen. Es ist Geschichtswerk und Kulturarchiv. Es ist ethnologische Spurensuche und Reisebericht. Es ist Dokumentation verschollener Dinge und ein Geschmacksthesaurus aller Sinne, nicht zuletzt auch eine Autobiografie einer Autorin, die 1968 mit A Book of Middle Eastern Food ein bahnbrechendes und aufsehenerregendes Buch herausbrachte, das bis heute, überarbeitet und erweitert, ein Klassiker geblieben ist (und mit der in diesem Kulturzusammenhang durchaus kurios benannten »Glenfiddich Trophy« ausgezeichnet wurde).
»Jede Familie hatte ihre besonderen Speisen für festliche Anlässe.« Und Roden weiter, ihre erzählerische Methode en passant erläuternd: »Hinter jedem Rezept steht eine Geschichte regionaler Traditionen und des Alltagslebens in weit entfernten Städten und Dörfern.« Deshalb fängt sie auch mit Historischem an: mit Exkursen über Speisen in Bibel und Talmud, mit dem Kalender und Festtagen und damit verbundenen Gerichten, mit dem spezifisch aschkenasischen »Kochstil«, wobei hier dieser Ausdruck etwas fehl am Platze anmutet.
Verve Und erst auf Seite 44 findet sich dann das erste von insgesamt annähernd 800 allesamt nachkochbaren Rezepten: Gribenes, Gänse- oder Hühnergrammeln (dankenswerterweise hat der Wiener Mandelbaum-Verlag am Ende eine Übersetzung österreichischer Termini ins Hochdeutsche beigefügt). Dass darunter auch so manches hinlänglich Bekannte ist, Kartoffelsalat in mehreren Varianten, Leber in mehreren Zubereitungsweisen, ist verzeihlich, weil Claudia Roden von allem so unverstellt natürlich und zugleich mit ansteckender Verve schreibt.
Danach folgt sie einer Zweiteilung. Erst porträtiert sie die vielen Facetten der aschkenasischen Küche, dann die noch zahlreicheren der sefardischen. Jeweils in geografische Länder- und Regionenexkurse hineinmontiert sind Unterkapitel über Fisch, Brot, Geflügel, Nudeln, Gemüse, Dessert. Immer tiefer verliert man sich, in bucharischen Spezialitäten, in den Unterschieden der drei italienischen Gemeinden, in der Livorneser cuisine zu Tunis, liest sich bei Poisson hraymi (Fisch mit Pfeffer und Knoblauch, Libyen) fest, liest verwundert von jüdischer Nudelaffinität im Mittelalter und staunt über jüdisch-indische Gerichte. Ein Monument des Genusses und der Genüsse.
Claudia Roden:
»Das Buch der Jüdischen Küche. Eine Odyssee von Samarkand nach New York«. Aus dem Englischen von Margot Fischer. Mandelbaum, Wien 2012,
528 S., 54 €