Balkonkonzert

»Ganz nah«

Yael Nachshon-Levin Foto: Stephan Pramme

Balkonkonzert

»Ganz nah«

Die israelische Sängerin Yael Nachshon Levin über Musik in Krisenzeiten, ein Projekt für Künstler und Pläne für später

von Katrin Richter  31.03.2020 07:32 Uhr

Frau Nachshon Levin, am Samstagabend haben Sie auf Ihrem Balkon ein Konzert für Ihre Nachbarn gegeben. Wie hat sich das angefühlt?
Es war einfach wunderbar. Wir sind vollkommen ohne Erwartungen an die Sache herangegangen, wir wollten es einfach nur machen. So vielen Leuten haben wir eigentlich auch gar nicht davon erzählt – nur einigen Nachbarn, aber als wir so gegen Mittag mal kurz den Sound ausprobierten, kamen hier und da einige Menschen vorbei, fragten, was wir planten, und dann hörten uns doch viele zu.

Wie haben die Nachbarn auf den anderen Balkonen reagiert? 
Ach, sie waren so glücklich. Es war Musik pur. Wenn sich niemand ein Ticket kaufen muss, wenn keiner daran etwas verdient, wenn niemand etwas dadurch verliert, dann spricht die Musik für sich, und das ist großartig.

Hatten Sie Bedenken, dass es der Berliner Nachbarschaft seltsam vorkommen könnte?
Überhaupt nicht. Obwohl mein Bassist sagte, dass so etwas in seinem Kiez nicht funktionieren würde. Aber die Menschen in unserer Straße waren einfach toll und hörten uns auch noch beim zweiten Teil zu.

Ist es schwierig, als Künstlerin ein Konzert mit Abstand zu singen?
Es war gar nicht so fern, wie es vielleicht klingt. Im Gegenteil: Es fühlte sich sehr nah an. Wir sind in einer absolut einzigartigen Situation, und auf eine sehr spezielle distanzierte Weise kommen Leute zusammen. Jeder weiß, dass es allen gleich ergeht. Keinen, auf den man neidisch oder wütend sein muss. Jedem geht es gleich.

Wie groß ist der therapeutische Effekt von Musik gerade jetzt?
Musik hat ja immer eine besondere Auswirkung auf Menschen. Und wenn alles auf einmal zusammenkommt, merkt man, was im Leben das Wichtigste ist. Ich denke, dass Menschen wieder anfangen, Musik wertzuschätzen.

Wie bleiben Sie eigentlich gelassen?
In der ersten Woche war ich komplett am Boden zerstört, geschockt und deprimiert. Ich habe mir ein Video eines buddhistischen Gurus angesehen. Er sprach über Veränderung und wie wir ein Teil davon sind. Und dann wurde mir klar: Wir sind da mittendrin, und jeder sollte sich von seiner besten Seite zeigen. Und das versuche ich. Denn alles andere stresst nur und schafft Angst.

Sie haben mit »Framed.Process« eine Initiative für Künstler ins Leben gerufen. Was verbirgt sich dahinter?
Damit wollen wir Künstlern helfen, dass sie auch von zu Hause aus kreativ sein können. Wir werden von einem unglaublich großzügigen privaten Spender unterstützt.

Wenn Sie nicht damit befasst sind: Welche Musik oder welche Podcasts helfen Ihnen in dieser Zeit?
Ein Album. Ich höre sehr intensiv »Big Vicious«, das neue Album von Avishai Cohen, das vor wenigen Tagen erschienen ist. Es ist ein Instrumental-Album.

Musiker wie Igor Levit oder Daniel Hope geben nun regelmäßig Hauskonzerte. Wäre das auch etwas für Sie?
Ich habe anfangs auch mit dem Gedanken gespielt, mit zwei oder drei Musikerin Konzerte ohne Publikum zu geben, aber in diesen Tagen Menschen so nahe zusammenzubringen ist nicht ganz einfach. Und ehrlich gesagt: Ich kann mir auch eher vorstellen, einmal die Woche live für meine Nachbarn zu singen.

Was werden Sie als Erstes tun, wenn die Kontaktsperre gelockert wird?
Ich vermisse meine Familie in Israel sehr. Also wenn alles vorbei ist und ich es mir leisten kann, werde ich zu ihnen fliegen.

Mit der Musikerin telefonierte Katrin Richter.

Zahl der Woche

12.466.215 Kinotickets

Funfacts & Wissenwertes

 25.03.2025

Weimar

Hochschule benennt Aula nach jüdischer Kammersängerin

Die einst gefeierte jüdische Sängerin wählte am 7. April 1942 gemeinsam mit ihrer Nichte Edith Gál unter dem Druck der nationalsozialistischen Verfolgung den Freitod

 25.03.2025

Fernsehen

Doku zum 100. Todestag zeigt fremde Gedankenwelt von Rudolf Steiner

Anlässlich seines hundertsten Todestags erinnert eine Arte-Dokumentation an Rudolf Steiner, den geschäftstüchtigen Begründer der Anthroposophie, und schlägt etwas bemüht den Bogen ins Tiktok-Zeitalter

von Manfred Riepe  25.03.2025

Jubiläum

Zum 100. Geburtstag von »Dalli Dalli«-Erfinder Hans Rosenthal - Immer auf dem Sprung

Der Mann flitzte förmlich zu schmissigen Big-Band-Klängen auf die Bühne. »Tempo ist unsere Devise«, so Hans Rosenthal bei der Premiere von »Dalli Dalli«. Das TV-Ratespiel bleibt nicht sein einziges Vermächtnis

von Joachim Heinz  25.03.2025

Geschichte

»Der ist auch a Jid«

Vor 54 Jahren lief Hans Rosenthals »Dalli Dalli« zum ersten Mal im Fernsehen. Unser Autor erinnert sich daran, wie wichtig die Sendung für die junge Bundesrepublik und deutsche Juden war

von Lorenz S. Beckhardt  24.03.2025 Aktualisiert

Porträt

»Das war spitze!«

Hans Rosenthal hat in einem Versteck in Berlin den Holocaust überlebt. Später war er einer der wichtigsten Entertainer Westdeutschlands. Zum 100. Geburtstag zeigt ein ZDF-Spielfilm seine beiden Leben

von Christof Bock  24.03.2025 Aktualisiert

Gert Rosenthal

»Mein Vater war sehr bodenständig«

Am 2. April wäre Hans Rosenthal 100 Jahre alt geworden. Zum Jubiläum würdigt ihn das ZDF. Ein Gespräch mit seinem Sohn Gert über öffentliche und private Seiten des Quizmasters

von Katrin Richter  24.03.2025 Aktualisiert

Hans Rosenthal

»Zunächst wurde er von den Deutschen verfolgt - dann bejubelt«

Er überlebte den Holocaust als versteckter Jude, als Quizmaster liebte ihn Deutschland: Hans Rosenthal. Seine Kinder sprechen über sein Vermächtnis und die Erinnerung an ihren Vater

von Katharina Zeckau  24.03.2025

Essay

Herausforderung Trump

Warum eine Zusammenarbeit zwischen Europa und Israel jetzt das Gebot der Stunde ist

von Rafael Seligmann  24.03.2025