Frau Nachshon Levin, am Samstagabend haben Sie auf Ihrem Balkon ein Konzert für Ihre Nachbarn gegeben. Wie hat sich das angefühlt?
Es war einfach wunderbar. Wir sind vollkommen ohne Erwartungen an die Sache herangegangen, wir wollten es einfach nur machen. So vielen Leuten haben wir eigentlich auch gar nicht davon erzählt – nur einigen Nachbarn, aber als wir so gegen Mittag mal kurz den Sound ausprobierten, kamen hier und da einige Menschen vorbei, fragten, was wir planten, und dann hörten uns doch viele zu.
Wie haben die Nachbarn auf den anderen Balkonen reagiert?
Ach, sie waren so glücklich. Es war Musik pur. Wenn sich niemand ein Ticket kaufen muss, wenn keiner daran etwas verdient, wenn niemand etwas dadurch verliert, dann spricht die Musik für sich, und das ist großartig.
Hatten Sie Bedenken, dass es der Berliner Nachbarschaft seltsam vorkommen könnte?
Überhaupt nicht. Obwohl mein Bassist sagte, dass so etwas in seinem Kiez nicht funktionieren würde. Aber die Menschen in unserer Straße waren einfach toll und hörten uns auch noch beim zweiten Teil zu.
Ist es schwierig, als Künstlerin ein Konzert mit Abstand zu singen?
Es war gar nicht so fern, wie es vielleicht klingt. Im Gegenteil: Es fühlte sich sehr nah an. Wir sind in einer absolut einzigartigen Situation, und auf eine sehr spezielle distanzierte Weise kommen Leute zusammen. Jeder weiß, dass es allen gleich ergeht. Keinen, auf den man neidisch oder wütend sein muss. Jedem geht es gleich.
Wie groß ist der therapeutische Effekt von Musik gerade jetzt?
Musik hat ja immer eine besondere Auswirkung auf Menschen. Und wenn alles auf einmal zusammenkommt, merkt man, was im Leben das Wichtigste ist. Ich denke, dass Menschen wieder anfangen, Musik wertzuschätzen.
Wie bleiben Sie eigentlich gelassen?
In der ersten Woche war ich komplett am Boden zerstört, geschockt und deprimiert. Ich habe mir ein Video eines buddhistischen Gurus angesehen. Er sprach über Veränderung und wie wir ein Teil davon sind. Und dann wurde mir klar: Wir sind da mittendrin, und jeder sollte sich von seiner besten Seite zeigen. Und das versuche ich. Denn alles andere stresst nur und schafft Angst.
Sie haben mit »Framed.Process« eine Initiative für Künstler ins Leben gerufen. Was verbirgt sich dahinter?
Damit wollen wir Künstlern helfen, dass sie auch von zu Hause aus kreativ sein können. Wir werden von einem unglaublich großzügigen privaten Spender unterstützt.
Wenn Sie nicht damit befasst sind: Welche Musik oder welche Podcasts helfen Ihnen in dieser Zeit?
Ein Album. Ich höre sehr intensiv »Big Vicious«, das neue Album von Avishai Cohen, das vor wenigen Tagen erschienen ist. Es ist ein Instrumental-Album.
Musiker wie Igor Levit oder Daniel Hope geben nun regelmäßig Hauskonzerte. Wäre das auch etwas für Sie?
Ich habe anfangs auch mit dem Gedanken gespielt, mit zwei oder drei Musikerin Konzerte ohne Publikum zu geben, aber in diesen Tagen Menschen so nahe zusammenzubringen ist nicht ganz einfach. Und ehrlich gesagt: Ich kann mir auch eher vorstellen, einmal die Woche live für meine Nachbarn zu singen.
Was werden Sie als Erstes tun, wenn die Kontaktsperre gelockert wird?
Ich vermisse meine Familie in Israel sehr. Also wenn alles vorbei ist und ich es mir leisten kann, werde ich zu ihnen fliegen.
Mit der Musikerin telefonierte Katrin Richter.