Das Dickicht völkisch-nationaler Publizistik in den 20er-Jahren stellt Historiker vor ein Relevanzproblem. Die zentrale Frage dabei lautet: Welcher Verlag hatte welchen Anteil an der Entfesselung der Barbarei?
Für die Gegenwart kann diese Frage leichter beantwortet werden. Der Antaios-Verlag hat einen massiven Beitrag zur Verbreitung von Ressentiments geleistet. Seit mehreren Wochen ist sein Titel Finis Germania ein Bestseller in der Amazon-Verkaufsstatistik – dabei ist der Text aus dem Nachlass des jüngst verstorbenen Historikers Rolf Peter Sieferle ein ebenso haarsträubendes wie zynisches Traktat gegen die Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit.
holocaust Ausschlaggebend für den Erfolg war eine Lektüreempfehlung in einer von NDR und Süddeutscher Zeitung herausgegebenen Sachbuchliste. Der Spiegel-Redakteur Johannes Saltzwedel hatte den Titel im Alleingang nominiert. Taz und FAZ kritisierten die Wahl scharf, andere Juroren zeigten sich empört. Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler nannte Finis Germania ein »zutiefst von antisemitischen Vorstellungen getränktes« Buch. Doch in Zeiten der von dem AfD-Politiker Björn Höcke ausgerufenen »erinnerungspolitischen Wende« taugt so etwas zum Bestseller.
»Ende Deutschland« also nannte der Industriehistoriker Sieferle sein Buch. Triebkraft dieses Untergangs war für ihn die Aufarbeitung des Holocaust, die aus den Deutschen für alle Zeiten ein »negativ« und aus den Juden ein »positiv auserwähltes Volk« gemacht habe. In Deutschland habe man sich »ebenso daran gewöhnt, mit dem Antigermanismus fertig zu werden, wie die Juden lernen mussten, mit dem Antisemitismus zurechtzukommen«.
Sieferle bedient den Jargon klassischer Antisemiten. Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum betitelte Wilhelm Marr 1879 seine Kampfschrift, mit der er »den weltgeschichtlichen Triumph der Juden« zu beklagen dachte. Sieferle hat Marrs Motto Finis Germaniae für seinen Titel verfremdet und schreibt diese Geschichte aus der Post-Holocaust-Perspektive fort. Für ihn sind die Deutschen heute unmittelbar von Vernichtung bedroht, deutsche und jüdische Erfahrung setzt er gleich. Was bei Wilhelm Marr als »Verjudung der germanischen Welt« beklagt wurde, liest sich bei Sieferle so: »Da die Juden keinen Anteil an der christlichen Ehre haben konnten, nisteten sie sich in den Nischen dieser Gesellschaft ein, als Wucherer und Händler. Auch hier eine Affinität zu den Deutschen, die von Helden zu Händlern geworden sind, von aller Welt verachtet und auf ihren Vorteil bedacht.«
Verwegen konstruiert er eine Opferumkehr, gewissermaßen vom »ewigen Juden« zum »ewigen Deutschen«: »Die Schuld der Juden an der Kreuzigung des Messias wurde von diesen selbst nicht anerkannt. Die Deutschen, die ihre gnadenlose Schuld anerkennen, müssen dagegen von der Bildfläche der realen Geschichte verschwinden, müssen zum immerwährenden Mythos werden, um ihre Schuld zu sühnen.«
Kreuzigung Dies führe die Deutschen jedoch direkt in den Untergang, als »die restlose Austilgung des Verbrechers«. Zum Beleg bietet der Autor späte Prozesse gegen deutsche Kriegsverbrecher auf. Während den Juden die Kreuzigung Jesu, »das große Menschheitsverbrechen«, verziehen wurde, treffe ihre Rache die Deutschen auf ewig: Aus ihrer »Kollektivschuld«, die »auf ›Auschwitz‹ zurückgeht, folgt ebenfalls der Aufruf zur permanenten Buße, doch fehlt in dieser säkularisierten Form der Erbsünde das Element der Gnade und Liebe vollständig.« Mittel für diese ewige Sühne sei, so Sieferle, die »Vergangenheitsbewältigung« als »Staatsreligion«. Da hätte Sieferle auch gleich Marr bemühen können, für den das Judentum der »Diktator Deutschlands« war.
Der Autor Sieferle vollzog keineswegs eine plötzliche Wende. Die äußerste Rechte hatte seinen Wandel vom Ökologen zum pessimistischen Zivilisationsdeuter in der Tradition Oswald Spenglers seit den 80er-Jahren goutiert. 1995 hatte er eine apologetische Textsammlung zu Autoren des Weimarer Nationalismus publiziert, deren »Faszination« und »Distanzlosigkeit« die »Politische Vierteljahresschrift« damals scharf kritisierte. Bereits darin zog Sieferle eine Parallele zwischen Überlebenden der Materialschlachten des Ersten Weltkriegs und denen der NS-Vernichtungslager.
Ein Abschnitt über den Antisemitismus ließ offen, ob der Autor Positionen der 20er-Jahre oder seine eigenen referierte: »Die Juden als extrem endogame Gruppe achten unter sich selbst auf Reinheit ihrer Rasse, während sie für andere Völker wahllose Vermischung propagierten.« Im aktuellen Buch beklagt er, Antisemitismus sei ein »unverrückbares Tabu«.
Wilhelminismus Das Kapitel »Ernst Jünger als Erzieher« ist eine Referenz sowohl an Jünger, den deutschen Chronisten des Heroischen, als auch an den Schriftsteller und Philosophen Julius Langbehn, der eine völkische Ästhetik des Erhabenen predigte. Dessen Buch Rembrandt als Erzieher zählte zu den einflussreichsten antisemitischen Büchern des Wilhelminismus. Bei dieser Verweisdichte fällt kaum mehr ins Gewicht, dass im Nachwort von Finis Germania Werner Best bemüht wird, die rechte Hand von Reinhard Heydrich, einem der einflussreichsten und am meisten gefürchteten Männer des »Dritten Reichs«.
Floss Wilhelm Marr noch »resignierter Pessimismus« aus der Feder, erreichte Sieferles Weltsicht pathologische Züge. Angeblich aus Verzweiflung über die Flüchtlingspolitik nahm er sich im Herbst 2016 das Leben. Wenig verwunderlich ist, dass sein Pamphlet beim AfD-nahen Verleger Götz Kubitschek erschien. Er betreibt den Antaios-Verlag als Ideologielieferant der äußersten Rechten und trachtet danach, die Grenzen des Sagbaren systematisch auszudehnen.
Erst kürzlich war in Götz Kubitscheks Zeitschrift »Sezession« die Forderung zu lesen, »Holocaust-Forschung muss freie Forschung sein dürfen«, die Klage vom »Schuldkult« gehört fest zum Repertoire. Mit Finis Germania hat sich Antaios einmal mehr deutlich positioniert.
Der Autor ist Historiker und forscht zur Geschichte und Gegenwart der extremen Rechten in Deutschland sowie der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.