Biografie

Fühlendes Herz der alten Welt

Ein neuer Band aus der Reihe »Jüdische Miniaturen« erinnert an den autodidaktischen Künstler John Elsas

von Jan Grossarth  04.11.2020 13:17 Uhr

Erstaunlich: Rund 20.000 Collagen und Zeichnungen hat John Elsas der Nachwelt hinterlassen. Foto: Städel Museum

Ein neuer Band aus der Reihe »Jüdische Miniaturen« erinnert an den autodidaktischen Künstler John Elsas

von Jan Grossarth  04.11.2020 13:17 Uhr

Das fühlende Herz ist zeitlos und überlebt manche Geringschätzung. 1969, auf einer Auktion, waren die Collagen des Künstlers John Elsas noch unverkäuflich. Erst 1993 gab es wieder eine erste kleine Ausstellung, danach manche mehr, auch in der Frankfurter Schirn-Kunsthalle (2001). Gegenwärtig gerät der eigenartige Künstler durch die kleine, aber sehr lesenswerte Biografie John Elsas. Vom Börsenmakler zum Künstler in der Reihe »Jüdische Miniaturen« wieder in Erinnerung.

Elsas’ Verse und Collagen entstanden von 1927 bis 1935 und kommen aus einer vergangenen Welt. Die Illustrationen zeigen Hampelmänner, Clowns, Püppchen und Harlekine. Mit der zittrigen Schreibschrift eines alten Mannes notiert er dazu einfache, hintersinnige Zeilen. Nur wenige aber sind politisch, und die gibt er zu Lebzeiten nicht aus den Händen: »Alle Rassen / und alle Nationen / können zusammen / in Frieden wohnen.«

Fantasie Erhalten blieb in seinem Werk eine Welt aus Schlangen, Elfen, Feen und anderen bunten Fantasiegestalten, an die das neue Büchlein dankenswerterweise erinnert. Die Autorin der Künstler-Miniatur, die langjährige Elsas-Forscherin Dorothee Hoppe, notiert, diese Bilder seien voller fantastischer Wesen, auch Engel und Teufel, und der Künstler »schien sich manchmal selbst inmitten all dieser Gestalten zu befinden«. Das bezeugt er selbst. In einem Vers hält John Elsas fest: »Umgeben nur / von Traumgestalten / kann unser Leben / sich erhalten.«

Die Fülle an Vorstellungskraft, die aus diesem alten Leben strömt, kann bis heute begeistern, aber ihre Quellen lassen sich nur erahnen. Je näher er selbst dem Tod ist, desto mehr zieht es Elsas offenbar in die Welt der kindlichen Wahrnehmung, in der nicht Angst, Zorn und Bitterkeit dominieren, sondern in der Neugier und Staunen Bestand haben.

Der künstlerische Ausdruck ist seine Überlebensstrategie.

Der künstlerische Ausdruck ist seine Überlebensstrategie. Einmal schreibt er lakonisch: »Wir wolln im Kinderzimmer sein / bei unseren braven Kinderlein.« In solcher Beziehung lässt es sich existieren.

kunstmarkt Elsas malt zunächst, beginnend mit einer schweren Krankheitserfahrung, für seine Enkel Hans und Herbert. Als diese aus dem Kindesalter herauswachsen, verschenkt er die Collagen manchmal auch an befreundete Kinder. Daraus erwächst eine gewisse Außenorientierung: Dorothee Hoppe stellt in ihrem Buch fest, dass Elsas als Rentner zunehmend auf Nebeneinnahmen angewiesen ist, also auch an den Markt- und Verkaufswert seiner Collagen denkt.

Das Malen wird vom Privat- zum teils öffentlichen Projekt. Elsas ist sich der Besonderheit seines Stils bewusst. Er verschickt einige Bilder an Kunstkritiker, verschenkt andere an das Städel-Museum, erfährt Würdigungen in der Presse, und bis 1932 gibt es einige nennenswerte Ausstellungen seines Werks auch außerhalb von Frankfurt.

Erstaunliche rund 20.000 Collagen und Zeichnungen sind der Nachwelt geblieben, die meisten lagern heute in den Archiven eines Museums in St. Gallen, dem Elsas’ Enkel die Sammlung überließ. Das Werk zeugt von einer vergangenen Epoche, der Blütezeit des Bildungsbürgertums des langen 19. Jahrhunderts. Elsas’ Lebenszeit fällt in die Blütezeit der bürgerlichen Emanzipation, die auch eine bedeutende Epoche der Begegnung christlicher und jüdischer Bürger im Zeichen der neuen Freiheiten ist. Von 1857 bis 1867 besucht Elsas das Philanthropin, die liberale jüdische Reformschule. Er wird später Mitglied in der Freimaurerloge »Zum Frankfurter Adler«.

Viele Verse – nicht für Kinder gemacht, nur Erwachsenen verständlich – enthalten Anspielungen auf nationalistische und andere politische Dummheiten.

Viele Verse – nicht für Kinder gemacht, nur Erwachsenen verständlich – enthalten Anspielungen auf nationalistische und andere politische Dummheiten: »Ich sag’ in der / Hanswurstenwelt / eine Fahne / gut gefällt.« Auch dem Philanthropin blieb Elsas zeitlebens verbunden, zum 125. Jubiläum der Schule im Jahr 1929 schenkte er dem Schulleiter einige seiner Collagen.

Aber auch die neue Biografie lässt weitgehend im Dunkeln, aus welcher Berufswelt Elsas kam. Über den Börsenmakler Elsas gibt es nahezu keine Quellen. Bloß biografische Daten: Geboren und großgeworden in den jüdischen Gassen der Frankfurter Altstadt, lebt der Börsenmakler Elsas mit seiner Frau und den drei Kindern ein jüdisch verwurzeltes, zunehmend großbürgerliches Leben, dessen materielle Grundlagen im Alter aber schwinden. Die hohe Produktivität im Alter steht aber womöglich in Bezug zu einer weniger erfüllten Berufszeit – dieser Vers deutet dies an: »Mein ganzes Leben war ein Fehler / da wurd ich Maler und Erzähler.«

versteck Als Künstler verbringt er seine späten Jahre mit seiner jüngeren Tochter Irma in einer kleinen Mietwohnung. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme zeichnet, tuscht, klebt und dichtet er noch zwei Jahre, bis zu seinem Tod 1935. Irma kann das Lebenswerk ihres Vaters in Holzkisten konservieren und verstecken. 1942 wird sie ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und 1944 dort ermordet.

Es ist aber bis heute ein Rätsel, wo die Kisten verwahrt wurden. Erst 1954 sind sie wieder in der Welt. Sie werden an Elsas’ ältere Tochter Fanny und ihren Sohn Herbert Raff geschickt, die beide nach Zürich emigriert waren.

»Mein ganzes Leben war ein Fehler / da wurd ich Maler und Erzähler«, schrieb der Börsenmakler.

In den Symbolen seiner Werke liegt tiefe Sehnsucht verborgen. Regenbogen und Sterne, schreibt Dorothee Hoppe, »stehen für Heimkehr und Glück und drücken die Sehnsucht des Künstlers nach dem erträumten Land aus«. Im Jahr der NS-Machtergreifung schreibt Elsas: »Die schwarzen die roten / und gelben Rassen, / die dürfen wir vor Gott nicht hassen, / Der weißen Rasse / ihr Geschicht’ / die las ich und / versteh sie nicht«. Nun wird eine Emigration nach Palästina Thema seiner Kunst, doch dafür ist Elsas zu alt: »Nach Osten geht / des Schiffes Lauf, / in Zion geht / die Sonne auf.« Kurz vor seinem Tod 1935 notiert er: »Ich gehe jetzt ins / Morgenland, / in dem der Ahnen / Wiege stand.«

Als die Elsas-Biografin Dorothee Hoppe 2010 für ihre Recherchen nach Rhode Island reist, begegnet sie dort kurz vor deren Tod der alten Dorothee Krahn (geborene Einstein). Dorothee Einstein, geboren 1922 in Offenbach, war eine der Kinder aus Elsas’ Bekannten- und Familienkreis, die öfter mit Collagen beschenkt wurde. Das Mädchen gelangte im Jahr 1938 mit einem Kindertransport nach England, ihre Eltern und Großeltern folgten ihr, und später zogen sie weiter in die Vereinigten Staaten.

Im Fluchtgepäck hatten sie 15 Blätter von Elsas bei sich. Hoppe erinnert sich daran, wie die 88 Jahre alte Frau Krahn ihr diese Collagen zeigte, die sie ihr ganzes Leben begleitet hatten. Und an der Wand im Haus von Dorothee Einstein in Providence, Rhode Island, da hing eine Ansicht vom alten Frankfurt.

Dorothee Hoppe: »John Elsas. Vom Börsenmakler zum Künstler«. Hentrich & Hentrich, Leipzig/Berlin 2020, 80 S., 9,90 €

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