Seit Jerome David Salinger 2010 starb, ist der Autor des Kultromans Der Fänger im Roggen präsenter als zu Lebzeiten, als er in Cornish, New Hampshire, ein Einsiedlerleben führte und literarisch schwieg. Ständig tauchen neue Briefe von Salinger auf, werden Bücher über ihn geschrieben, Filme gedreht.
Noch bevor 2015 in den USA erste neue Storys über seine literarischen Familien Caulfield und Glass aus dem Nachlass ans Licht kommen, erscheinen in Deutschland im Frühjahr vier neue Bücher von und über Salinger: drei frühe Geschichten aus der Zeit vor dem Fänger im Roggen, ein Roman über seine Liebschaften, die Erlebnisse einer Frau, die für Salingers Agenten gearbeitet hat, sowie eine Dokumentation mit über 100 teils unbekannten Fotos.
kurzgeschichten Bei den Geschichten in Die jungen Leute, die im März bei Piper herauskommen, handelt es sich um die deutsche Erstveröffentlichung von drei Frühwerken, die ein US-Kleinverlag »in literarischen Zeitschriften aus den 40er-Jahren entdeckt« haben will. Tatsächlich waren die Geschichten längst bekannt und von Literaturwissenschaftlern untersucht. Salinger wollte sie allerdings »eines natürlichen Todes« sterben lassen. Doch die Verleger Tom Graves und Darrin Devault fanden heraus, dass der Autor versäumt hatte, für diese Publikationen sein Copyright anzumelden. Und so konnte ihr Verlag sie unter dem Titel Three Early Stories herausbringen.
»The Young Folks«, die Auftaktgeschichte, erschien erstmals Anfang 1940 in Whit Burnetts Magazin »Story«. Darin schildert Salinger eine New Yorker Party voller ketterauchender Teenager, darunter Edna Phillips und William Jameson. Von der Gastgeberin miteinander bekannt gemacht, können sie aber nichts miteinander anfangen: »Wudga say?« raunen sie oder »I’ll tell ya«.
Der damals 21-jährige Autor war zu der Zeit Student an der Columbia University und bekam für sein Debüt 25 Dollar. Im gleichen Jahr erschien in der »University of Kansas City Review« die Geschichte »Go See Eddie«, ebenfalls fast nur aus Dialogen bestehend. Bobby versucht darin, seine Schwester Helen, eine arbeitslose Tänzerin, zu einem Job in einer Show zu überreden und sich zwischen zwei Liebhabern zu entscheiden. »Once a Week Won’t Kill You« schließlich, 1944 wieder in »Story« erschienen, erzählt von einem Mann, der nach Europa in den Krieg ziehen soll. Während er packt, streitet er mit seiner Frau und verlangt von ihr, dass sie sich um die einsame Tante Rena kümmert.
Diese Geschichte hat Salinger als Soldat im britischen Devonshire geschrieben. Die drei Storys zeigen noch nicht die Meisterschaft wie in Franny und Zooey (1961), aber Salingers Vermögen, jugendliche Seelennöte in Worte zu fassen, blitzt hier schon auf.
erinnerungen Für Aufsehen sorgte in den USA auch Joanna Rakoff, die in Lieber Mr. Salinger Ende Februar bei Knaus ihre Erlebnisse als Angestellte der Literaturagentur Harold Ober schildert, die Privatsphäre und Werk des Schriftstellers beschützen half. Den Roman Oona & Salinger (ab März bei Piper) hat der bekennende Salinger-Fan Frédéric Beigbeder geschrieben.
Der Franzose fantasiert darin – auf der Basis von Tatsachen – über Salingers unerfüllte Liebe zu Oona O’Neill, der 16-jährigen Tochter des Dichters Eugene O’Neill (vgl. Jüdische Allgemeine vom 6. Oktober). Zu guter Letzt erscheint Anfang März bei Droemer Knaur Salinger. Ein Leben, die deutsche Ausgabe eines 900-Seiten-Buches, das ergänzend zu dem Film Salinger von 2013 erschien.
Die in der Tradition der Oral History montierte Doku von Shane Salerno und David Shields, in der Wegbegleiter sowie Freunde und Verwandte des Autors zu Wort kommen, beleuchtet erstmals Salingers Liebäugeln mit Jean Miller, die er 1949 als 14-Jährige in Florida getroffen hatte und die das Vorbild für das Chormädchen in der Geschichte Für Esmé – in Liebe und Elend gewesen sein dürfte.
Jerome David Salinger: »Die jungen Leute«. Übersetzt von Eike Schönfeld. Piper, München 2015, 96 S., 14,99 €
Joanna Rakoff: »Lieber Mr. Salinger«. Übersetzt von Sabine Schwenk. Knaus, München 2015, 304 S., 19,99 €
Frédéric Beigbeder: »Oona & Salinger«. Übersetzt von Tobias Scheffel. Piper, München 2015, 336 S., 19,99 €
David Shields/Shane Salerno: »Salinger. Ein Leben«. Übersetzt von Yamin von Rauch. Droemer Knaur, München 2015, 992 S., 34 €