David, Mitte 20, betritt einen Spielzeugladen in Tel Aviv. Sein Blick schweift über die Teddybären in den Regalen – doch viel mehr interessiert ihn der Verkäufer. Der ist Anfang 50 und heißt Mosche Lew. Viele Jahre zuvor, als er sich noch Jochanan Kedoschim nannte, leitete er eine ultraorthodoxe Jeschiwa in Jerusalem. David war sein Schüler – und wurde von Rabbi Jochanan damals sexuell missbraucht.
wahrer fall Über diese erste Begegnung knapp 20 Jahre nach der Tat hat der Israeli Dan Lahav ein Drama geschrieben: Teddybären weinen nicht. Es basiert auf einem wahren Fall, der in der jüdischen Gemeinschaft weltweit für Entsetzen sorgte. Vergangene Woche hatte das 80-Minuten-Stück Premiere im Berliner Jüdischen Theater Bimah. Lahav, der die Bühne leitet und in dem Stück auch selbst Regie führt, zeigt, dass nicht nur an katholischen und Reformschulen, sondern auch in jüdischen Kreisen Kinder und Jugendliche missbraucht werden. Wobei hier wie dort die Auseinandersetzung zwischen Opfern und Tätern oft nach ähnlichem Muster abzulaufen scheint: Der eine klagt an, der andere streitet ab, stilisiert sich selbst zum Opfer und wird damit erneut zum Täter.
»Warum hast du mir das angetan«, fragt David (Matthias Riexinger). »Warum, warum, warum?«, äfft ihn Mosche (Joachim Kelsch) nach. Leider tut er das so schlecht und gekünstelt, dass man ihn lieber an der Kasse gesehen hätte als auf der Bühne. Aber die beiden Darsteller haben es auch nicht leicht mit ihrem Text. Wie kann man einem Täter nur die gestelzte Frage in den Mund legen: »Arbeitest du vielleicht für eine Organisation, die sich mit Kindesmisshandlungen beschäftigt?« Ähnlich peinlich ist es, wenn David sagt: »Gut, dass es heute Beratungsstellen gibt, die uns unter Schutz stellen.« Echtes Theater geht anders.
Lächerliche Wäre Teddybären weinen nicht ein szenisches Stück von Sozialarbeitern, um Sechstklässler über Missbrauch aufzuklären, ließe man das durchgehen. Aber in einer Theatervorstellung für Erwachsene berühren solche Plattitüden unangenehm. Selbst so ernste Themen wie dieses gleiten ins Lächerliche ab, wenn sie schlecht auf die Bühne gebracht werden. Lahav wäre gut beraten gewesen, sich dem Sujet sexueller Miss- brauch weniger als Lehrer, sondern als Dramaturg zu nähern. Zumal der Zuschauer für eine Karte selbst auf den schlechtesten Plätzen 22 Euro hinblättern muss.
Dass das Theater Bimah finanziell nicht gut dasteht, ist seit Langem bekannt. Gegründet vor neun Jahren, wird es bis heute weder vom Bund noch vom Berliner Senat unterstützt. Deshalb bittet Lahav auf einem Zettel, der dem Programmheft beiliegt, um Spenden. Er wolle das Thema Missbrauch, das ihm sehr wichtig sei, »dem breiten Publikum in Form von Plakaten vermitteln«. Aber ist eine Plakatkampagne wirklich die Aufgabe eines Theaters – vor allem, wenn es kein Geld hat? Schuster, bleib bei deinem Leisten! Sonst muss Bimah sich den Vorwurf gefallen lassen, Missbrauch mit dem Missbrauch zu treiben.
»Teddybären weinen nicht«. Theater Bimah, Berlin, Jonasstr. 22. Nächste Vorstellungen 4., 9., 16. Dezember, 6., 15., 22. Januar www.juedischestheaterberlin.de