Er mischt sich ein: Zu aktuellen Fragen wie rechtsextremen Tendenzen in europäischen Staaten sowie zum Atomabkommen mit dem Iran hat der US-Historiker Stellung genommen. Am 2. Februar wird Fritz Stern 90 Jahre alt. Er kam 1926 in Breslau zur Welt, dem heutigen polnischen Wroclaw.
Auf die deutschen Bestsellerlisten gelangte er 2011 mit dem Buch Unser Jahrhundert, einer Transkription seines »dreitägigen Gesprächsmarathons« mit Altkanzler Helmut Schmidt (1918–2015), mit dem er befreundet war.
2013 publizierte Stern zusammen mit seiner zweiten Ehefrau, der Autorin Elisabeth Sifton, Keine gewöhnlichen Männer über die Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi. Die Lebensgeschichte des emeritierten Professors der Columbia Universität in New York City reicht zurück in Welten von gestern.
»Zweite Chance« Fünf Deutschland und ein Leben, heißt Fritz Sterns 2007 erschienener Memoirenband, sein wohl bekanntestes Werk. Der Historiker reist darin von der Weimarer Republik und von Nazi-Deutschland in die Nachkriegs-Bundesrepublik, die DDR und letztendlich ins vereinte Deutschland. Bei der Schaffung eines vereinigten und demokratischen Europas habe Deutschland eine »zweite Chance« bekommen, sagt Stern gerne. 1989 sei das »glücklichste Jahr eines grausamen Jahrhunderts« gewesen.
Fünf Deutschland und ein Leben verflicht historische Analysen mit persönlichen Erinnerungen. Fritz Stern wuchs in einer privilegierten Familie mit jüdischen Wurzeln auf, wurde aber protestantisch getauft. Die Mutter war Physikerin und Pädagogin, der Vater Mediziner. Nur wenige Wochen vor der Pogromnacht von 1938 flüchteten die Sterns in die USA. »Freiheitsliebe und Exil – das sind Themen, die mir nicht fremd sind; sie bewegten mein Leben«, sagte Stern in seiner »Willy Brandt Lecture« im Juni vergangenen Jahres an der Humboldt-Universität in Berlin.
Nationalsozialismus sei für ihn »Gebrüll und Gewalt« gewesen und »Angst vor den Knüppeln, vor der Folter, in deren Schatten ich aufwuchs«. Amerika unter Präsident Franklin D. Roosevelt dagegen war der »Hoffnungsträger der demokratischen Welt«, wie Stern sagte. Er schätzt die transatlantische Freundschaft, hat die wachsende USA-Skepsis mancher Deutscher seit der Wiedervereinigung bedauert.
Ideologie Der Historiker, der vielen in Deutschland auch als moralische und politische Instanz gilt, veröffentlichte mehrere große Bücher und Hunderte von Aufsätzen und Essays. Sein Werk Kulturpessimismus als politische Gefahr – eine Analyse nationaler Ideologie in Deutschland gilt als klassische Untersuchung über die geistigen Wegbereiter des Nationalsozialismus. Stern zufolge waren sie getrieben vom Hass auf liberale Gedanken und demokratische Prinzipien.
In Gold und Eisen beschrieb Stern die Beziehungen zwischen Reichskanzler Otto von Bismarck und dem jüdischen Bankier Gerson Bleichröder. Es geht um die »paradoxe« Situation der deutschen Juden im 19. Jahrhundert: Einerseits waren sie integraler Bestandteil der Gesellschaft, andererseits nie ganz akzeptiert, wie Stern urteilt.
Nach seiner Ansicht dürfen Geschichtswissenschaftler nicht im Elfenbeinturm verweilen. Sie müssen am Tagesgeschehen teilnehmen. Dies tat Stern häufig: gegen den antikommunistischen McCarthyismus der 50er Jahre, gegen den Vietnamkrieg und als Kritiker des Irak-Krieges.
Iran Im September vergangenen Jahres empörte er sich in der »New York Times« über manche Gegner des seiner Ansicht nach »umsichtig ausgearbeiteten« Atomabkommens mit dem Iran. Die Gegner des Abkommens sprachen von einem drohenden »Holocaust«. Diese Wortwahl beleidige »die Erinnerung an Millionen, die von politischen Fanatikern ermordet worden sind«, hielt Stern ihnen entgegen.
Der Historiker, der in New York lebt, macht sich offenbar Sorgen um die USA. Bedroht von Terror, sei ein Teil der Amerikaner anscheinend bereit, »Freiheit für angebliche Sicherheit zu tauschen«, sagte Stern an der Humboldt-Universität.
1987 sprach er als erster ausländischer Staatsbürger im Bundestag zum 17. Juni. Im Jahr 1999 erhielt Stern den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für seinen Bau von »Brücken des Verständnisses zwischen den Zeiten und den Völkern«, weitere Auszeichnungen folgten.
»Es gibt kein Ende der Geschichte, auch keinen Schlussstrich, keinen völlig neuen Anfang«, mahnte Stern damals. Er wünsche Deutschland »eine gerechtere, liberale Streitkultur«. Verschweigen sei gefährlich. Denn »«Ressentiments nisten in der Gesellschaft, bleiben sie unausgesprochen, dringen sie noch tiefer«.