Ein weiblicher Don Quixote, allein gegen die ganze Welt: Nira ist eine junge Kindergärtnerin und liebt Poesie. Eines Tages bemerkt sie, dass Yael, eines der von ihr betreuten Kinder, wie selbstverständlich dichtet. Offensichtlich eine Naturbegabung. Der Junge wird aber von seiner Umgebung und den auf begabte Kinder kaum eingestellten Institutionen nicht zureichend gefördert, und deshalb beschließt die junge Frau, sich auf eigene Faust des Kindes anzunehmen.
Nadav Lapid, einer der begabtesten Nachwuchsregisseure des israelischen Kinos, erzählt diese Geschichte – in seinem zweiten Spielfilm The Kindergarten Teacher, der in der kommenden Woche bei den Filmfestspielen von Cannes Premiere feiert. Er läuft zwar nicht im Wettbewerb, sondern in der Sektion »Semaine de la Critique«, aber auch dort kann man Preise gewinnen.
Wie sich das anfühlt, weiß Lapid bereits: 2011 erhielt er den Silbernen Leoparden bei den Filmfestspielen von Locarno für sein Spielfilmdebüt Hashoter (Policeman). »Mir ging es um die Verteidigung der nutzlosen Dinge«, erzählte Lapid vorab in einem Interview. »Poesie verweigert sich den Zwängen des Ökonomismus.«
Sein Film erzähle auch von einem Mysterium – denn wie ein Fünfjähriger dazu komme, Gedichte zu erfinden, sei unerklärlich. Der Film sei sogar zu Teilen autobiografisch: »Im Alter zwischen vier und sieben Jahren schrieb ich etwa 100 Gedichte«, erzählt Lapid. Obwohl Policeman, der auch in Deutschland startete, auf den ersten Blick sozialrealistischer wirke als diese Fabel, sieht der Regisseur große Ähnlichkeiten zwischen den zwei Werken: »Beide Filme handeln von jungen Frauen, die sich im Krieg mit der ›Welt, wie sie ist‹ befinden.«
Godard Am Mittwoch ging es los mit diesem wichtigsten Filmfestival der Welt. Die 67. Ausgabe hat von Beobachtern nicht allzu viele Vorschusslorbeeren bekommen – zu viele der »usual suspects«, der üblichen Verdächtigen, enthalte das Programm. Tatsächlich haben die Brüder Dardennes und die Briten Ken Loach und Mike Leigh alleine bereits vier Goldene Palmen gewonnen. Dagegen hat der 83-jährige Jean-Luc Godard noch nie eine erhalten. Er wäre der älteste Palmengewinner aller Zeiten.
Jüdisches findet sich in allen Sektionen. Noch ein zweiter israelischer Film läuft in der »Semaine«: Self Made (Boreg) von der 1971 geborenen Shira Geffen. Der Film erzählt die Geschichte zweier Frauen, einer Israelin und einer Palästinenserin, deren Leben nichts miteinander gemein hat. Eines Tages kommt es an einem Grenzübergang zu einer folgenschweren Verwechslung – plötzlich muss jede der jungen Frauen das Leben der anderen leben.
Im Wettbewerb begegnet man einem alten Bekannten: Der Kanadier David Cronenberg war bereits acht Mal in der »Offiziellen Sektion« eingeladen – ausgezeichnet wurde er noch nie. Der inzwischen 71-jährige Vielfilmer mit immer noch jugendlichem Gemüt und Hang zu Wissenschafts- und Bio-Horrorgeschichten unternimmt in seinem neuen Anlauf etwas Ungewohntes: Bei Maps to the Stars handelt es sich um eine Satire auf den Filmbetrieb – das klingt nach einem idealen Film für Cannes. In den Hauptrollen sind unter anderem Carrie Fisher (einst »Prinzessin Leia« in Star Wars) und Robert Pattinson (bekannt als Vampirschönling und Teenieschwarm in Twilight) zu sehen. Ein weiterer alter Bekannter im Programm ist der Dokumentarfilmer Frederick Wiseman, dessen National Gallery in der Quinzaine läuft.
almodovar Ein bislang fast völlig unbekannter Regisseur ist dagegen der 38-jährige Argentinier Damian Sziffron. Mit Relatos Salvajes (Wilde Geschichten) ist er erstmals in den Wettbewerb eines derart bedeutenden Festivals eingeladen. Der Spanier Pedro Almodovar produzierte diesen Film, über den im Vorfeld noch nicht viel zu erfahren war.
Viel bekannter dagegen ist zumindest Insidern die Geschichte von Menahem Golan und Yoram Globus. Die beiden überaus ungleichen Cousins, die in Israel in armen Verhältnissen aufgewachsen sind, wollten diesen mit aller Kraft entkommen und wagten die ungewisse Reise ins Gelobte Land – die USA der späten Sechziger.
Das amerikanische Filmstudiosystem war gerade am Tiefpunkt, und die beiden wurden eher durch Zufall zu Begründern des amerikanischen Independent-Kinos. Sie produzierten Low-Budget-Filme, darunter Schlüpfriges und Schrilles, aber auch Charles-Bronson-Streifen oder den 80er-Hit Fool for Love, und rollten Hollywood gewissermaßen von unten auf – eine sehr persönliche Variante des »American Dream«.
Irgendwann waren Golan und Globus so bekannt und reich, dass sie sogar mit der Queen von England verkehrten. Inzwischen ist es um die beiden stiller geworden. Der Dokumentarfilm The Go-Go Boys, der in den »Cannes Classics« gezeigt wird, erzählt die ungewöhnliche Geschichte der Cousins. Gedreht hat ihn die israelisch-amerikanische Regisseurin Hilla Medalia, die bisher für schwerere Kost bekannt war: To Die in Jerusalem erzählte 2007 von Selbstmordattentätern, Dancing in Jaffa hatte Tanzunterricht in den besetzten Gebieten zum Thema und ging um die Welt.
Die letzten israelischen Filme sind Gett, the Trial of Vivianne Amsalem – er läuft ebenfalls in der Nebenreihe Quinzaine –, Regie führten Ronit und Schlomi Elkabetz, sowie das Debüt At Li Leyla von Asaf Korman. Es gibt viel zu sehen in den nächsten zwei Wochen.