Familie

Frau Nußbaum aus Straßburg

Peter Scholl-Latour 1924–2014 Foto: dpa

Der am 16. August 2014 hochbetagt verstorbene Journalist, Publizist und Bestsellerautor Peter Scholl-Latour stand jahrzehntelang im medialen Blickpunkt und zählte zu den bekanntesten Nahost- und Asienexperten Deutschlands.

Nahezu unbekannt ist erstaunlicherweise der jüdische Hintergrund seines außergewöhnlichen Lebens. Scholl-Latours Mutter war Jüdin. Jahrzehntelang war im Zusammenhang mit Scholl-Latours Herkunft meist nur von »deutsch-französisch« die Rede – passend zu seinem entsprechend klingenden Doppelnamen. Wenn es etwas konkreter wurde, fielen noch Stichworte wie Saarland und Elsass-Lothringen.

anonym Zwar verheimlichte Peter Scholl-Latour seine Herkunft nicht völlig. Sogar im Wikipedia-Artikel über ihn findet sich der Hinweis auf seine jüdische Mutter. Aber während Scholls Vater Otto dort mit Namen genannt wird, blieb seine Mutter Mathilde Nußbaum bis jetzt anonym. Dabei könnte man gerade auch in Wikipedia Näheres über Scholl-Latours mütterliche Verwandtschaft finden. Sein Onkel, der Bruder seiner Mutter, war der sozial hoch engagierte Arzt Robert Nußbaum (1892–1941), über den dort wichtige und nützliche Informationen zu finden sind. Robert Nußbaum wurde im Konzentrationslager Sachsenhausen ermordet.

Der in Straßburg geborene Robert Nußbaum war wie seine Schwester Mathilde, die Ehefrau von Otto Scholl und Mutter von Peter Scholl-Latour, ein Kind der jüdischen Eheleute Moritz Nußbaum und Ida Koppel. Scholl-Latours jüdischer Großvater Moritz Nußbaum, später Gymnasialdirektor in Straßburg, hatte mit einer 1875 veröffentlichten Arbeit zum Thema »Observationes in Flavii Josephi Antiquitaties, lib. XII. 3-XIII. 14« zum Doktor der Philologie promoviert. Man könnte in der Beschäftigung mit dem berühmten jüdischen Autor Flavius Josephus (ca. 37–100 n.d.Z.), der sich nach der Niederlage der Zeloten im Jahr 70 n.d.Z. in den Dienst der römischen Staatsmacht stellte, eine Art Vorgriff auf die nichtjüdisch-jüdische Doppelexistenz seines Enkels Peter Scholl-Latour sehen.

katholisch War Peter Scholl-Latour Jude? Nach traditioneller jüdischer Auffassung ist Jude jedes Kind einer jüdischen Mutter. Demnach könnte man Peter Scholl-Latour mit Fug und Recht als Juden bezeichnen. Andererseits bleibt natürlich das Faktum, dass er katholisch getauft und erzogen wurde. In zahlreichen Interview-Äußerungen hob Scholl-Latour seine Sympathien für das römisch-katholische Christentum hervor.

Und ich bin sicher, auch wenn ich nicht dabei war: Wenn er irgendwo auf seinen vielen Reisen in der Welt nach seiner Religion gefragt wurde, hat er sich als katholischen Christen bezeichnet. Hätte er sonst in der islamischen Welt so herumreisen können, wie er es tat, wenn er als Jude bekannt gewesen wäre? Hätte ihm Ajatollah Chomeini Interviews gewährt? Und wie wäre er in deutschen Talkshows oder andernorts angesprochen worden, wenn man in ihm den Juden gesehen hätte? Welche Stellungnahmen hätte man von ihm erwartet, die er vielleicht nicht geben wollte? Eines kann man sicherlich sagen: Peter Scholl-Latour hätte als Jude nicht das Leben führen können, das er führte.

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  14.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  13.11.2025

Kino

Zwischen »Oceans Eleven« und Houdini-Inszenierung

»Die Unfassbaren 3« von Ruben Fleischer ist eine rasante wie präzise choreografierte filmische Zaubershow

von Chris Schinke  13.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 13.11.2025

Film

Dekadenz, Krieg und Wahnsinn

»Yes« von Nadav Lapid ist provokativ und einseitig, enthält aber auch eine tiefere Wahrheit über Israel nach dem 7. Oktober

von Sascha Westphal  13.11.2025

Kolumne

Hineni!

Unsere Autorin trennt sich von alten Dingen und bereitet sich auf den Winter vor

von Laura Cazés  13.11.2025

Zahl der Woche

-430,5 Meter

Fun Facts und Wissenswertes

 12.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 13. November bis zum 20. November

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025