Die Ursprünge der Hebräischen Universität Jerusalem (HUJ) sind tief in der deutschen akademischen Tradition verwurzelt. Seit ihrer formellen Eröffnung im Jahr 1925 und während der gesamten 30er-Jahre zeichnete sich die neu gegründete Universität durch ihren Bezug auf das deutsche Hochschulsystem aus, das damals als das avancierteste der Welt galt und eine wichtige Inspirationsquelle war.
Mehr als die Hälfte der Gründer und der Mitglieder der ersten Generation des akademischen Personals hatte ihre eigene universitäre Ausbildung in Deutschland oder anderen Ländern des deutschsprachigen Kulturraums wie der Schweiz oder den wichtigsten Städten der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie (Wien, Prag) genossen.
Die Organisation der ersten Forschungsinstitute – das Institut für Jüdische Studien und das Orientinstitut, um die wesentlichen im Bereich der Geisteswissenschaften zu nennen – orientierte sich, manchmal in geradezu extremer Form, an den Forschungseinrichtungen deutscher Universitäten. Die Forschungsarbeit in den frühen Jahren der Hebräischen Universität blieb den Inhalten und Zielen der zeitgenössischen deutschen Wissenschaftskultur treu, insbesondere dem Ideal der »reinen« Wissenschaft (»Wahrheit um der Wahrheit willen«) und der Forschungsfreiheit.
Einstein Der Verweis auf den gemeinsamen deutschen Bildungshintergrund war ein Bindeglied zwischen jenen Professoren und Dozenten, die bereits in den 20er-Jahren aus zionistischer Überzeugung gekommen waren, und denjenigen, die nach dem Aufstieg des Nationalsozialismus neu hinzukamen.
Unter den Erstgenannten verdienen zahlreiche bedeutende Persönlichkeiten Erwähnung, darunter, um nur einige zu nennen, Gershom Scholem (1897–1982), der große Gelehrte der jüdischen Mystik, Hugo Bergman (1883–1975), der erste Direktor der jüdischen Nationalbibliothek und spätere erste Rektor der Hebräischen Universität, oder Shlomo Dov Goitein (1900–1985), ein äußerst produktiver Orientalist, der vor allem für seine Studien über die Dokumente der Kairoer Geniza bekannt wurde. Neben ihnen waren zahlreiche andere Mitglieder der deutsch-jüdischen Elite fester Bestandteil der Hebräischen Universität. Das bekannteste Beispiel ist wohl Albert Einstein, der als Mitglied des ersten Direktoriums und später als der erste Vorsitzende des Akademischen Rates fungierte.
Unter dem Eindruck des nationalsozialistischen Rassenwahns wurde der Umgang mit der deutschen Tradition in Jerusalem erschwert. So wurde etwa ab 1934 die deutsche Sprache nicht mehr an der Hebräischen Universität gelehrt. Doch nur 19 Jahre später, also 1953, wurde in der Folge des Wiedergutmachungsabkommens zwischen dem jungen Staat Israel und der Bundesrepublik der Deutschunterricht in Jerusalem wieder eingeführt.
Das war nur einer der ersten Schritte in dem komplexen Prozess der langsamen Wiederannäherung – parallel zu dem, was auf politischer und diplomatischer Ebene geschah. In der zweiten Hälfte der 50er-Jahre gab es bereits sporadische Kooperationen zwischen einzelnen Wissenschaftlern, die Bemühungen einiger deutscher Hochschulen, etwa der Freien Universität Berlin und der Universität Hamburg, Kontakte zur Hebräischen Universität zu knüpfen, sowie die nicht minder bedeutende Wiedergründung der Gesellschaften der Freunde der Hebräischen Universität in Westdeutschland.
Proteste Nach der Aufnahme formeller diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Ländern im Jahr 1965 wurden Kontakte zwischen der Hebräischen Universität und deutschen Partnern nach und nach wiederbelebt.
Während jedoch Kooperationen in den Naturwissenschaften aufgrund ihrer schwächeren politischen und sozialen Implikationen wahrscheinlich leichter waren und somit bereits in den späten 60er-Jahren auf einige konkrete Ergebnisse verweisen konnten, war die Situation in den Geisteswissenschaften wesentlich heikler. Noch im Jahr 1977 sorgte die Einrichtung eines Lehrstuhls für deutsche Sprache und Literatur unter der Leitung von Stéphane Mosès (1931–2007) für harsche Kritik und nicht wenige Proteste sowohl innerhalb der israelischen akademischen Welt als auch in der breiten Öffentlichkeit.
Dennoch – und obwohl dieser Prozess in Jerusalem langsamer verlief als an anderen israelischen Universitäten, wohl aufgrund des nationalen und institutionellen Gewichts der Hebräischen Universität – kam es seit Mitte der 70er-Jahre schließlich zu intensiveren Beziehungen mit deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen.
Archive Ein erstes erfolgreiches Ergebnis dieser Kontakte war die Gründung des Richard-Koebner-Zentrums für Deutsche Geschichte im Jahr 1980, dessen langjähriger Direktor Moshe Zimmermann war. Zehn Jahre später wurde das Franz Rosenzweig Minerva Research Center ins Leben gerufen, das der Erforschung der deutsch-jüdischen Literatur und Kulturgeschichte gewidmet ist.
Seit 2010 hat das Zentrum unter seiner Direktorin Yfaat Weiss sein Forschungsinteresse von klassischen Themen auf innovativere Felder ausgeweitet. Zu diesen zählen vor allem der Wissenstransfer zwischen deutschsprachigen Ländern und dem Mandatsgebiet Palästina und später Israel, die Frage des Kulturerbes sowie die reichhaltigen Archivschätze, die sich in Israel und vor allem in Jerusalem finden lassen. Gefördert durch das Auswärtige Amt in Kooperation mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach sucht das Zentrum dort nach Dokumenten, Sammlungen und privaten Nachlässen, die die deutsch-jüdische Geschichte betreffen.
Nicht zuletzt ist eines der laufenden Projekte des Rosenzweig Center (»Das historische Archiv der Hebräischen Universität Jerusalem. Deutsch-jüdischer Wissens- und Kulturtransfer 1918 bis 1948«) die Erhaltung und Katalogisierung des Archivbestands der HUJ. Dieses Projekt, das von der Gerda-Henkel-Stiftung finanziert wird und ebenfalls in Kooperation mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach stattfindet, wird in einem systematischen Erfassungsprozess wichtiges Material aus den frühen Jahren der HUJ ans Tageslicht fördern, das bislang nur wenigen Forschern bekannt ist.
Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Franz-Rosenzweig-Zentrum in Jerusalem. Er schreibt derzeit an einer intellektuellen Biografie Schmuel Hugo Bergmans.
Die Europäische Konferenz der Hebräischen Universität
findet in diesem Jahr vom 14. bis zum 17. April in Berlin statt. Wissenschaftler der Hebräischen Universität (HUJ) stellen in Vorträgen neueste Ergebnisse aus ihren Forschungsschwerpunkten vor – unter den Titeln »Heal the world«, »Feed the world« und »Innovate for Progress«. Das Werk Albert Einsteins, eines der Gründerväter der HUJ, wird beleuchtet. Die Konferenz legt spezielle Aufmerksamkeit auf die Kooperationen der Hebräischen Universität mit ihren europäischen Partnern. Eröffnet wird die Konferenz am 15. April von Außenminister Frank-Walter Steinmeier.