Mit zwei Toten beginnt dieser Film. Der eine ist ein in den letzten Jahren der Weimarer Republik von Polizisten erschossener demonstrierender Berliner Arbeiter. Der zweite ist der 1999 verstorbene Vater des Filmemachers Andreas Goldstein, der den toten Mann einst von seiner Wohnung in Berlin-Neukölln unten auf der Straße liegen sah.
In Der Funktionär geht es um diesen zweiten Mann, Klaus Gysi, den wir zuerst – mit dicker Brille und Stirnglatze – in grobkörnigen Schwarz-Weiß-Bildern zwischen anderen Kadern des SED-Politbüros sehen, bevor es mit einem persönlichen Kommentar des Filmemachers und eigenen Fotografien aus dem Prenzlauer Berg in Berlin auch atmosphärisch tief in die »windstillen Achtziger« der DDR und deren bald folgendes Ende geht. Eine Zeit, als bei den großen Demonstrationen am Alex – so Goldstein – die »Kellner mit dem Kapitän Fragen der Befehlsgewalt diskutieren, während das Schiff schon sinkt«.
Klaus Gysi war, so die von ihm oft wiederholte Anekdote, durch die Konfrontation mit dem toten Arbeiter zum Kommunisten geworden. Als solcher stieg er dann – nachdem er als Jude, untergetaucht in Berlin, Nazi-Deutschland überlebt hatte – zu einem der wichtigsten Kulturpolitiker in der DDR auf und auch wieder ab; inklusive einer Zeit heftiger Anschuldigungen im Stalinismus, dem schon das Überleben unter den Nazis als verdächtig galt.
BOTSCHAFTER Andreas Goldstein wurde in einer von mehreren Partnerschaften seines Vaters (der auch der Vater von Gregor Gysi ist) in der Zeit geboren, als Gysi vom Leiter des Aufbau-Verlags zum Kulturminister aufstieg. Gegenwärtig in seinem Leben war der auch in Frauengeschichten viel beschäftigte Vater aber nicht. Und als Andreas Goldstein 1973 nach der Entsendung des Vaters als Botschafter nach Italien mit der Mutter allein in der Villa in Berlin zurückblieb, war die Veränderung für ihn kaum spürbar.
»Für meinen Vater war die Partei wichtiger als das eigene Leben«, hat Gregor Gysi einmal in einem Interview über seinen Vater Klaus gesagt.
Goldsteins essayistisch angelegter Film kombiniert die Ich-Erzählung mit durch Soundakzente atmosphärisch verdichteten eigenen Fotos, kurzen Filmstücken und Archivmaterialien von Klaus Gysis Auftritten in diversen Talkrunden des DDR-Fernsehens und einem Gespräch mit Günter Gaus aus dem Jahr 1990. Ein erhellender Kunstgriff ist dabei, wie sich der Filmemacher in diese zwischen Eitelkeit, taktischer Anbiederung und Abwehr schwankenden Auftritte seines in der letzten beruflichen Phase mit »Kirchenfragen« befassten Vaters immer wieder mit Kommentaren einmischt.
»Für meinen Vater war die Partei wichtiger als das eigene Leben«, hat Gregor Gysi einmal in einem Interview über seinen Vater Klaus gesagt. Und dass dieser während der NS-Zeit unendlich mutig gewesen sei, während der DDR aber nie den Mut gehabt habe, gegenüber der SED seine wirkliche Meinung zu sagen. Lange habe er, Gregor Gysi, darüber nachgedacht, warum dies so gewesen sei.
Gysis Sohn Andreas Goldstein erforscht in seinem Film die Verzahnung privater Erfahrungen mit den historischen Zeitläuften.
KOHL Die Augen hätte ihm schließlich ausgerechnet Helmut Kohl in einem privaten Gespräch geöffnet: »Hätten die Nazis ihn umgebracht, wäre er als Held gestorben, als Teil der kommunistischen Familie. Hätte er der Partei den Rücken gekehrt, wäre er einsam zugrunde gegangen.«
Goldstein war gerade mit dem schönen Wende-Spielfilm Adam und Evelyn erfolgreich unterwegs. In Der Funktionär erforscht er nun die Verzahnung privater Erfahrungen mit den historischen und politischen Zeitläuften mit dokumentarischen Mitteln. Dabei kommt sein produktiv vielfach gebrochener Blick auf den Mann und das untergegangene Land ohne die üblichen Abgrenzungen aus. Das Ergebnis gleicht, wie Andreas Goldstein im Film in anderem Kontext einmal sagt, einer höchst aktuellen Flaschenpost aus einer inzwischen verschwundenen Welt.
Ab 11. April im Kino