Film

Fingerübungen des Königs

Höre Israel: Ausschnitt aus Dan Shadurs Dokumentarfilm »King Bibi« Foto: © Kobi Gideon Israeli /GPO

In einem Interview für das US-Fernsehen Anfang der 80er-Jahre erklärt Benjamin Netanjahu, damals stellvertretender Botschafter in Washington, den westlichen Umgang mit Israels Terrorbedrohung anhand einer Parabel: »Zwei Freunde gehen in den Wald. Plötzlich taucht ein Grizzlybär vor ihnen auf. Der erste Freund rennt weg. Der zweite ruft ihm hinterher: ›Was machst du denn, glaubst du etwa, du bist schneller als ein Grizzly?‹ Der erste dreht sich um: ›Natürlich nicht, aber es reicht, wenn ich schneller bin als du.‹« Bedeutungsschwangere Pause, Blick in die Kamera. »Viele westliche Regierungen glauben, sie könnten dem Grizzly des Terrors entkommen, indem sie ihm Israel überlassen«, erklärt Netanjahu. »Aber man kann dem Terror nicht entfliehen. Der einzige Weg ist, ihn gemeinsam zu bekämpfen.«

Der Interviewer ist begeistert. Wann hat man schon mal einen Diplomaten vor sich, der komplexe politische Zusammenhänge so erklärt, dass auch ein Zuschauer in Montana oder Alaska, der Israel kaum auf der Landkarte finden würde, etwas damit anfangen kann? Und auch Netanjahu selbst scheint ziemlich zufrieden mit sich, lässt seinen Worten mehrere Sekunden Zeit, ihre volle Wirkung zu entfalten, bevor er das Gespräch fortsetzt.

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TRAINING Was der Dokumentarfilm King Bibi uns neben dieser Szene jedoch auch zeigt, sind die Versionen, die dieser nahezu perfekt vorgetragenen vorausgehen – jene, in denen die Worte eben noch nicht richtig sitzen, in denen Netanjahu sich verhaspelt, stecken bleibt, neu ansetzt; sie lassen uns miterleben, wie er mit jedem Durchgang etwas besser wird, als würde man einem Pianisten bei seinen Fingerübungen lauschen. Was der Film uns zeigt, ist, wie aus einem jungen Mann mit einer auffallenden sprachlichen Begabung jener Meister der Rhetorik wird, der sich gerade anschickt, Ben Gurion vom Thron des am längsten amtierenden Ministerpräsidenten zu stoßen, einer, der Vorwürfe gegen seine Person sprichwörtlich »wegredet«, die Kraft der Worte so gekonnt zu nutzen weiß, dass seine Gegner in ihm den Inbegriff des Demagogen sehen – und seine Unterstützer jenen »König Bibi«, der Regisseur Dan Shadur den Titel für seine Dokumentation liefert.

Über drei Jahre hat Shadur an seinem Film gearbeitet, monatelang mit Festivals und Sendern verhandelt, bis YES Doku Ende 2018 endlich einen Termin zur Ausstrahlung festsetze. Wenige Wochen später zerbrach die Regierungskoalition – und Neuwahlen wurden ausgerufen.

Seine Gegner sehen in ihm einen Demagogen. Seine Unterstützer loben ihn als »König Bibi«.

Die Aufmerksamkeit bei der Premiere war dementsprechend groß. Einige Kommentatoren mutmaßten gar, King Bibi könnte wahlentscheidend sein, was man durchaus in Zweifel ziehen darf, dafür birgt der allein aus Archivmaterial bestehende Film schlichtweg zu wenig Neues.

VISION Was die Doku trotzdem absolut sehenswert macht: Sie beleuchtet einen Aspekt, der sonst eher beiläufig miterzählt wird – Netanjahus Umgang mit den Medien. Ideologie spart er dabei völlig aus. Was Bibis eigentliches Ziel ist, ob er überhaupt ein Ziel vor Augen hat, einen Plan, eine Vision – darauf liefert der Film keine Antwort.

Einige Kommentatoren mutmaßten, »King Bibi« könnte wahlentscheidend sein.

Das gleiche gilt für die Frage nach dem Warum seines politischen Handelns, dieses oft etwas notorische »What makes him tick?«, um das so viele Filme, Biografien und Porträts kreisen und dabei doch fast immer zwischen denselben zwei Polen schwanken – hier der Vater Benzion, der, von der linken Elite in seinen akademischen Ambitionen ausgebremst, den politischen Kompass seines Sohnes auf rechts eicht; dort der Bruder Yoni, der bei der Geiselbefreiung in Entebbe 1976 ums Leben kommt, woraufhin Bibi, so die These, zum Hardliner wird.

Tatsächlich streift King Bibi Yonis Tod nur am Rande, interpretiert ihn in Bezug auf Netanjahus weitere Karriere vor allem als Eines: seine erste Begegnung mit dem Scheinwerferlicht. Das kann man durchaus zynisch finden, sicher ist es verkürzt. Faktisch richtig ist, dass Netanjahus politische Laufbahn ihren Ursprung nicht in einer Partei nimmt, er die ersten Jahre nicht mal Likud-Mitglied ist. Vielmehr sind es die Veranstaltungen des Anti-Terror-Instituts, das die Netanjahus im Namen Yonis gründen, bei denen er erstmals als begnadeter Redner in Erscheinung tritt.

Der US-Botschafter Moshe Arens ist davon derart beeindruckt, dass er ihn kurzerhand mit nach Washington nimmt, wo Netanjahu nicht nur mit einer werbefinanzierten Fernsehwelt Bekanntschaft macht, die griffige Soundbites ausschweifenden Analysen vorzieht – sondern auch mit Lilyan Wilder, Autorin des Bestsellers 7 Steps to Fearless Speaking, die schon Stars wie Oprah Winfrey und Politikern wie George Bush beigebracht hat, wie man sich richtig vor der Kamera verhält. Nicht zuletzt mit Lilyan Wilders Hilfe wird er das Gesicht Israels im US-Fernsehen, sitzt bei CNN, ABC, Larry King, wofür man ihn in der Heimat wiederum so liebt, dass sich neue Türen öffnen.

1988 kehrt er nach Israel zurück, wird zunächst Minister – und strebt schließlich nach dem Amt des Premiers.

1988 kehrt er nach Israel zurück, wird zunächst Minister, strebt schließlich nach dem Amt des Premiers – und bringt dabei einen Stil in die israelische Medienlandschaft, den man dort bis dato nicht kennt. Dazu gehört, dass er seiner bildreichen Sprache immer öfter auch kamerataugliche Bilder folgen lässt, so etwa, als er während des Golfkriegs ein Interview mit Gasmaske absolviert. Dazu gehört, dass er den Israelis eine Einführung in die Kunst des Spins gibt, als er, von Journalisten mit dem Vorwurf konfrontiert, seine Frau Sara betrogen zu haben, den Spieß erfolgreich umdreht und einen Monolog über den Sittenverfall der Medien hält. Und dazu gehört auch, dass er jene, die vor der Kamera eine weniger gute Figur abgeben als er, die eigene Überlegenheit deutlich spüren lässt.

WAHLEN Ob dieser Stil bei den Israelis weiterhin ankommt, wird sich diesen Dienstag zeigen. Erstmal hat der Likud einen neuen Wahlspot geschaltet. Darin ist zu sehen, wie Bibis Widersacher Benny Gantz sich in einem Interview ziemlich verhaspelt. In den sozialen Medien erntet er dafür jede Menge Spott.

Aber es gibt auch andere Stimmen. »Was sagen diese Versprecher denn darüber aus, ob er als Führungsfigur taugt«, schreibt zum Beispiel eine gewisse Neta E. in der Kommentarspalte einer israelischen Zeitung. »Nur zur Info: Unser Stammvater Moses hat auch gestottert.«

»King Bibi. Benjamin Netanjahu – Der Medienprofi und die Macht« läuft am 8. April um 22.10 Uhr auf ARTE.

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