Ein starkes Stück zum Auftakt: Mit dem Spielfilm Crescendo #Makemusicnotwar beginnt an diesem Sonntag in Potsdam das 25. Jewish Film Festival Berlin & Brandenburg (JFBB). Peter Simonischek (Toni Erdmann) spielt darin den Dirigenten eines israelisch-palästinensischen Jugendorchesters, der in einem herausfordernden Projekt mit Musikern beider Seiten arbeitet. Ein gemeinsames Konzert (ausgerechnet in Südtirol) soll zur Völkerverständigung beitragen – aber auf dem Weg liegen schwere Hindernisse. Der Film von Dror Zahavi, produziert von Alice Brauner, läuft im Januar 2020 in den deutschen Kinos an und hat beste Voraussetzungen, Zuschauer in allen Altersgruppen zu finden.
Denn der Streifen ist inspiriert von Daniel Barenboims West-Eastern Divan Orchestra, transportiert aber mehr als eine platte Friedensbotschaft und bleibt mit seinen frischen Darstellern, der Handlung inklusive Terror und zarter Liebesgeschichte sowie der schönen (und nicht zu dick aufgetragenen) Musik spannend bis zum Schluss.
Gala »Celebration!« – unter diesem Motto steht das diesjährige Programm. Auch die Politik feiert mit: Dass es Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) bei der Landtagswahl am 1. September schaffte, die AfD zumindest auf Abstand zu halten, dürfte Veranstalter und Gäste des JFBB gleichermaßen freuen.
Woidke zählt zu den Promi-Gästen der traditionellen Eröffnungsgala mit Knut Elstermann an diesem Sonntagabend im Potsdamer Hanns-Otto-Theater. Erwartet werden außer Simonischek, Zahavi, Brauner und weiteren Künstlern auch Christian Gaebler, Chef der Senatskanzlei Berlin, IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch und der israelische Kulturattaché Doron Lebovich.
Artur Brauner Am Montag startet das JFBB in Berlin im Wilmersdorfer Kino Eva-Lichtspiele mit einer Hommage an Filmproduzent Artur Brauner und seinem Klassiker Morituri von 1947/48 – einer der ersten Filme, die sich in der Nachkriegszeit mit der Schoa auseinandersetzten und der beim Publikum floppte.
Gleichzeitig läuft im Haus der Wannsee-Konferenz die 1977 von Henryk M. Broder und Frans von der Meulen produzierte Doku Joseph Wulf – Ein Schriftsteller in Deutschland. Der Schoa-Überlebende und Historiker, dessen Weggefährten zu Wort kommen, hatte sich 1974 das Leben genommen. In den 60er-Jahren waren seine Bemühungen gescheitert, in der ehemaligen Wannsee-Villa ein Dokumentationszentrum zu errichten. Erst 1992 wurde die Gedenk- und Bildungsstätte in den Räumen der Wannsee-Villa eröffnet – sie trägt den Namen Joseph Wulfs.
Leben Anatol Schusters Spielfilm Frau Stern, der vergangene Woche in den Kinos anlief, widmet sich einer zugleich lebensmüden und lebenslustigen Schoa-Überlebenden, deren Motto lautet: »Auch der Tod gehört zu einem selbstbestimmten Leben«.
Aber auch dieses Mal sind wieder zahlreiche israelische Filme zu sehen, wobei sich das JFBB und das israelische Filmfestival »Seret«, das an diesem Sonntag in Berlin zu Ende geht, kaum überschneiden. Beide Festivals zeigen Chained von Yaron Shani – der Spielfilm mit Laiendarstellern über den Kontrollverlust eines israelischen Polizisten lief auch bei der Berlinale 2019.
In »Autonomies« ist Israel geteilt – in einen säkularen Staat und die Charedi-Autonomie.
Beim JFBB darf man auch gespannt sein auf die israelische Serie Autonomies von Yehonatan Indursky und Ori Elon. Die beiden Regisseure sind einem israelischen und internationalen Publikum bekannt durch die Orthodoxen-Serie Shtisel. In Autonomies (2018), angekündigt als dystopisches Drama, ist Israel nach einem Bürgerkrieg durch eine Mauer geteilt – in einen säkularen israelischen Staat mit Tel Aviv als Hauptstadt und die Charedi-Autonomie mit Jerusalem. Zwischen beiden Gebieten blüht der illegale Handel, der Held der Serie ist ein Schmuggler.
The Bar Mitzvah von Eytan Fox, in der Berliner Szene ein alter Bekannter durch seine Spielfilme Yossi und Yagger und Walk on Water, läuft als internationale Premiere beim JFBB. Die Komödie von 2018 dreht sich um ein schwules jüdisches Paar in den USA, das mit seinem 13-jährigen Adoptivsohn Angel zur Barmizwa nach Israel reist.
Highlight Eines der Highlights ist In Between von Maysaloun Hamoud. Der israelisch-französische Spielfilm von 2016, ausgezeichnet bei den Filmfesten Toronto und Haifa, schildert die Beziehungen dreier arabischer Frauen in einer WG in Tel Aviv.
Die lesbische DJane Salma und die kiffende Anwältin Laila sind rebellische Nachteulen, während sich die praktizierende Muslimin und IT-Studentin Nur aus der arabisch-israelischen Stadt Um El-Fachem auf dem rechten Weg wähnt. Doch als Nur von ihrem zukünftigen Ehemann vergewaltigt wird, helfen ihr Salma und Laila, aus der Gewaltbeziehung auszusteigen.
Salmas Vater wiederum will seine Tochter zwingen, ihre Freundin aufzugeben – eine Lesbe in der Familie habe ihm vor den Kommunalwahlen gerade noch gefehlt. Die palästinensische Regisseurin traf offenbar ins Schwarze: Der Bürgermeister von Um El-Fachem erklärte den Film für »haram«.
MeToo Interessant könnte auch Working Woman (2018) von Michal Aviad werden – ein Drama um sexuelle Belästigung und Machtmissbrauch am Arbeitsplatz. Weitere Filme drehen sich um das Leben in der Negevwüste, wie etwa die Kurzfilm-Reihe Shorts in the Desert.
Zwei Produktionen beschäftigen sich mit Juden aus Äthiopien: Fig Tree (2019) von Aäläm-Wärque Davidian schildert die Liebe der 16-jährigen Jüdin Mina in Zeiten des Bürgerkrieg 1989 in Äthiopien zu dem jungen Christen Eli. Die Regisseurin ist 1991 als Elfjährige nach Israel eingewandert. Der Film zeigt in wunderschönen Aufnahmen eine fast unbekannte Welt – das Ende ist allerdings erwartbar. Und die Doku No Promised Land (2019) von Raphael Bondy schildert das Leben äthiopischer Juden in Israel.
Außerdem wird M (2018) von Yolande Zauberman gezeigt – ein jiddisch-hebräischer Dokumentarfilm über Menahem Lang aus Bnei Brak. Der frühere orthodoxe Jude kehrt in dem Film der französischen Filmemacherin in seine Heimatstadt in Israel zurück, in der er sexuell missbraucht wurde – kein spezifisch jüdisches, sondern ein universelles Thema.
Fotografie Fans der Fotografie sollten auf keinen Fall The Last Resort (2018) von Dennis Scholl und Kareem Tabsch über das Werk von Andy Sweet und Gary Monroe verpassen. Zehn Jahre lang hatten die beiden in der jüdischen Community von Miami Beach fotografiert.
Viele Fotos galten nach dem Mord an Andy Sweet (1982) als verschollen und tauchten erst später wieder auf. Wer »South Beach« bisher nur für ein spießiges jüdisches Rentner-Resort hielt, wird in der empathischen Doku eines Besseren belehrt.