Wer weiß, wie die Geschichte des erfolgreichsten deutschen Fußballklubs verlaufen wäre, wenn Kurt Landauer seine Rückkehr nach München 1947 tatsächlich dazu genutzt hätte, um sich bei den amerikanischen Besatzungsbehörden ein Visum zu besorgen und in die USA zu emigrieren? Genau das hatte der langjährige Präsident des FC Bayern nämlich vor.
Weil er Jude war, hatten die Nationalsozialisten ihn verfolgt, nach den Novemberpogromen 1938 ins Konzentrationslager Dachau gesperrt und anschließend ins Exil in die Schweiz getrieben, zudem hatten sie vier seiner fünf Geschwister ermordet. Im Land der Täter wollte Landauer deshalb nicht mehr leben, und die Einreisegenehmigung für die Vereinigten Staaten war nur noch eine Formsache, die er rasch erledigen wollte, als er zwei Jahre nach Kriegsende mit dem Zug von Genf aus in seine ursprüngliche Heimatstadt reiste.
neuaufbau Hier setzt der Fernsehfilm Landauer – Der Präsident von Hans Steinbichler ein, den die ARD am Mittwoch, den 15. Oktober, um 20.15 Uhr ausstrahlt. Kurt Landauer, charakterstark und einfühlsam gespielt von Josef Bierbichler, findet bei seiner Ankunft nicht nur München, sondern auch »seinen« FC Bayern buchstäblich in Trümmern vor. Der Klub ist pleite, das Stadion zerstört, die Spieler hungern. Zudem ist die Erteilung einer Spiellizenz äußerst unwahrscheinlich, weil die Amerikaner die Sportvereine als Brutstätten des Nationalsozialismus betrachten. Beim FC Bayern, dem letzten deutschen Fußballmeister vor der Machtübernahme durch die Nazis, herrscht resignatives Selbstmitleid, kaum jemand glaubt, dass der Verein wiederzubeleben ist.
Ganz anders Kurt Landauer: Gegen sämtliche Widerstände beginnt er mit dem Neuaufbau. Er motiviert bei der Hauptversammlung in einem stickigen, staubigen Münchner Keller die Vereinsmitglieder. Trifft sich mit dem Präsidenten des Erzrivalen 1860 München (gespielt von Eisi Gulp) – jener »Sechziger«, die es, anders als der weltoffene, liberale und kosmopolitische FC Bayern, früh mit den Nazis gehalten hatten –, um ihn davon zu überzeugen, dass ein Derby die Begeisterung für den Fußball in der Stadt neu entfachen und für ein Stück Lebensqualität sorgen kann.
Spricht mit dem Oberbürgermeister Karl Scharnagl (Harry Täschner) über seine Ideen. Versucht, die US-Besatzungsbehörden zur Genehmigung der Lizenz zu überreden. Unternimmt alles, um dem Verein wieder die professionellen Strukturen zu geben, die ihn vor 1933 auszeichneten.
Früh im Film deutet sich an, dass Landauer seine Auswanderungspläne über den Haufen werfen wird, obwohl es viele Gründe gäbe, an ihnen festzuhalten. Da ist vor allem der weiterhin überall präsente Antisemitismus, der auch Landauer immer wieder entgegenschlägt – nicht nur von den alten Nazis und deren Kindern, sondern auch aus den Reihen des Klubs. Mehr als einmal ist Landauer deshalb drauf und dran, sein neu begonnenes Engagement für den FC Bayern wieder einzustellen und sein Vorhaben zur Emigration nun doch in die Tat umzusetzen. Das wäre auch im Sinne von Maria (Jeanette Hain), der langjährigen Haushälterin seiner Eltern, die Lan-dauer heiraten und mit in die USA neh- men will – und die zunächst wenig begeistert davon ist, dass ihr Geliebter seine Prioritäten geändert hat.
fans Doch der setzt seinen Kopf durch. Er wird erneut Präsident des FC Bayern München, lässt die zerbombte Spielstätte wiederherrichten, gibt dem Verein eine finanzielle Grundlage und baut eine wettbewerbsfähige Mannschaft auf. Kurzum: Er setzt sein von den Nationalsozialisten jäh unterbrochenes Lebenswerk fort, das die Grundlage für die späteren Erfolge des Klubs bildete. »Der FC Bayern und ich gehören nun einmal zusammen und sind untrennbar voneinander«, lautet das wohl bekannteste Zitat von Kurt Landauer – und es war, verteilt auf zwei große Spruchbänder sowie ergänzt um ein riesiges Porträt, auch Bestandteil einer Choreografie, die im Februar dieses Jahres vor dem Spiel des Rekordmeisters gegen Frankfurt in der Südkurve des Münchner Stadions zu sehen war.
Verantwortlich für diese Aktion, die auch am Ende des Films zu sehen ist, war die größte Ultra-Vereinigung des Klubs, die »Schickeria«. Vor allem diesen Fans ist es zu verdanken, dass Kurt Landauer nicht in Vergessenheit geriet. Denn während der Vorstand des FC Bayern seinen jüdischen Präsidenten jahrzehntelang beschwieg und sich nicht dazu durchringen konnte, dessen Verdienste angemessen zu würdigen, führte die »Schickeria« Informationsveranstaltungen zu Landauer und anderen jüdischen Vereinsmitgliedern durch, benannte den Pokal ihres jährlichen antirassistischen Fußballturniers nach ihm und widmete ihm immer wieder große Choreografien. Für ihr Engagement zeichnete der Deutsche Fußball-Bund die Fan-Gruppierung in diesem Jahr mit dem renommierten Julius-Hirsch-Preis aus, benannt nach dem jüdischen deutschen Nationalspieler, der von den Nazis im KZ Auschwitz ermordet worden war.
stolz Inzwischen hat auch der Münchner Klub selbst seinen Umgang mit dem Vermächtnis Kurt Landauers und dem jüdischen Teil der Vereinsgeschichte geändert. Auf einer Veranstaltung im Mai 2011 sagte der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge: »Der FC Bayern hat eine jüdische Vergangenheit, eine sehr reiche und erfolgreiche. Wir sind stolz auf diese jüdische Vergangenheit, und gemeinsam mit unseren jüdischen Freunden werden wir auch eine stolze Zukunft haben.«
Im November 2013 wurde Landauer, der insgesamt 18 Jahre lang Präsident des Vereins war, auf der Jahreshauptversammlung von den Mitgliedern posthum zum Ehrenpräsidenten ernannt, und in der »Erlebniswelt« des FC Bayern im Münchner Stadion, einer Art Vereinsmuseum, ist sein Wirken ausführlich dokumentiert.
Dass Kurt Landauer nun in einem grandiosen, aufwendig produzierten Film zur besten Sendezeit in der ARD zu sehen ist, macht deutlich, wie wichtig dieser Mann für den Werdegang des FC Bayern München war. »Ohne sein Wirken vor und nach dem Zweiten Weltkrieg stünde der Verein nicht da, wo er jetzt ist«, brachte es der Weltmeister und derzeitige Kapitän des Klubs, Philipp Lahm, auf den Punkt. Umso unverständlicher ist es, dass der Verein so lange brauchte, um das zu begreifen.
»Landauer – der Präsident«. ARD, Mittwoch, 15. Oktober, 20.15 Uhr